




Ab heute ist es offiziell: Amazon startet seinen lange erwarteten Lebensmittellieferservice Fresh in Deutschland – und versetzt die Branche in Wallung. Schließlich wird dem US-Online-Primus zugetraut, Bewegung in das milliardenschwere Lebensmittelgeschäft zu bringen, in dem Online-Bestellungen bisher die große Ausnahme sind. Zum Start in Berlin und Potsdam (hier finden Sie die verfügbaren Stadtteile) bietet der Dienst rund 85.000 Produkte an, darunter 6000 Bio-Produkte. Angeboten werden unter anderem Artikel aus dem Sortiment der Biokette Basic, dem Fischspezialisten Nordsee oder dem Anbieter Kochhaus. Für die Lieferung wird pro Monat eine zusätzliche Gebühr fällig.
Schon im Vorfeld hatten Amazons Pläne die Branche in Alarmstimmung versetzt. Alain Caparros, Chef des Supermarktkonzerns Rewe, warnte bereits im vergangenen Jahr vor einer Verschärfung des Verdrängungswettbewerbs durch den neuen Player. „Wahrscheinlich wird nicht nur Staub aufgewirbelt, sondern ein Sturm entfacht“, sagte Caparros damals der WirtschaftsWoche. „Für Amazon ist Deutschland der zweitwichtigste Markt der Welt. Wer glaubt, dass dieses Unternehmen hierzulande nur mal so testet, was geht oder nicht geht, ist naiv“, so Caparros.
Teils wurde bereits über eine Pleitewelle spekulierte. „Angebote wie Amazon Fresh werden das milliardenschwere Lebensmittel-Geschäft über kurz oder lang umpflügen und für zahlreiche Insolvenzen sorgen“, erwartet etwa Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbands der Insolvenzverwalter in Deutschland (VID).
Der US-Konzern weist derlei Prognosen zurück. „Ich denke, dass es in Deutschland wie auch in den USA genug Platz für mehrere Anbieter und ganz unterschiedliche Formate gibt“, sagte der bei Amazon für das Konsumentengeschäft zuständige CEO Jeff Wilke der WirtschaftsWoche. Außerdem werde Amazon mit vielen Anbietern kooperieren. „Mit Amazon Fresh können Kunden beispielsweise auch Waren lokaler Händler ordern, wir liefern sie dann mit ihrer Bestellung aus“, sagte Wilke.
Amazon setzt auf KI
Damit frische Ware wie Fleisch, Salat oder Gemüse in Top-Qualität beim Kunden ankommt, setzt Amazon unter anderem auf Künstliche Intelligenz. „Heute helfen uns Maschinen bereits dabei, den Frischegrad von Erdbeeren zu bestimmen“, so Wilke. Lebensmittel auszuliefern, sei nicht so einfach. „Wir müssen uns sicher sein, dass sie jederzeit in hoher Qualität beim Kunden ankommen. Sonst funktioniert das ganze Konzept nicht“, sagte Wilke.
Amazon Fresh wird ein Millionen-Geschäft in Deutschland
In Teilen Berlins und Potsdams können Amazon-Kunden über den neuen Dienst Fresh frische Lebensmittel über das Internet bestellen. Geliefert wird per DHL-Bote.
Mit Prime Now verspricht Amazon die Lieferung tausender Produkte des täglichen Bedarfs in 2-Stunden-Fenstern. Derzeit wird es in Berlin und München angeboten. Im Prime Now Sortiment enthalten sind unter anderem verpackte, frische und tiefgekühlte Lebensmittel, Getränke, verpacktes Obst und Gemüse, Artikel des täglichen Bedarfs, Elektronik, Kindle Geräte, Bücher, Spielwaren, Drogerieartikel, DVDs und Bekleidung.
Fresh: 0 Millionen Euro
Prime Now: 2,2 Millionen Euro
Quelle: LZ (LZ Retailytics)
Fresh: 11 Millionen Euro
Prime Now: 10 Millionen Euro
Fresh: 46 Millionen Euro
Prime Now: 35 Millionen Euro
Fresh: 66 Millionen Euro
Prime Now: 50 Millionen Euro
Fresh: 90 Millionen Euro
Prime Now: 70 Millionen Euro
Fresh: 120 Millionen Euro
Prime Now: 98 Millionen Euro
Dass der Konzern aus Seattle wegen seiner wachsenden Marktmacht Probleme mit Regierungen und Wettbewerbshütern bekommt, glaubt Wilke nicht. „Weltweit geben sehr viele Menschen Geld für Dinge aus, die wir verkaufen“, sagte der Amazon-CEO. Trotzdem habe Amazon im globalen Einzelhandel gerade mal einen Anteil von einem Prozent. Wilke: „Es gibt ganz viel Platz für ganz viele Gewinner, Handel ist kein Fußballspiel, das nur einer gewinnt.
Tatsächlich ist der Vorstoß in den deutschen Lebensmittelmarkt selbst für den Online-Primus riskant. Nirgendwo sonst in Europa ist das Netz von Super- und Verbrauchermärkten, Drogerien und Discountern ähnlich dicht gespannt wie in Deutschland. In kaum einer anderen Region sind die Margen mickriger und die Verbraucher knauseriger.
Das sind Amazons nächste Projekte
Unter Amazon Dash versteht der Internetkonzern eine Art Einkaufsliste auf Knopfdruck. Die kleinen Aufkleber mit Taste können die Kunden einfach im Haus an das Waschmittel oder an das Hundefutter kleben - und wenn die Packung leer ist, per Knopfdruck schnell bei Amazon eine neue bestellen. Bisher ist der Service nur für Kunden des Premiumdienstes Amazon Prime in den USA und in Großbritannien erhältlich - für 4,99 US-Dollar je Button.
Mit "Amazon Handmade" macht der Online-Händler Anbietern wie Etsy oder DaWanda Konkurrenz. Auf dem Marktplatz will Amazon Künstler und Bastler versammeln, die individualisierbare Produkte verkaufen: Selbstgeschneiderte Kleider und Taschen, Schmuck, Armbänder, Möbel. Die Plattform befindet sich in den USA noch im Aufbau. Wer dort verkaufen will, kann sich jetzt schon bewerben. Allerdings kostet ein professioneller Verkäufer-Account knapp 40 Dollar im Monat, und Amazon will bei jeder Bestellung zwölf Prozent Provision einstreichen. Bei anderen Plattformen sind diese Konditionen weitaus günstiger für die Verkäufer - allerdings erreichen sie dort wahrscheinlich nicht so viele Kunden. Ob und wann Amazon Handmade auch nach Deutschland kommen soll, ist nicht bekannt.
Über seine Plattform "Amazon Home Service" vernetzt der Online-Händler in den USA Techniker, Handwerker und Trainer mit seinen Kunden in den Großstädten. Wer bei Amazon einen neuen Fernseher kauft, kann also gleich einen Techniker beauftragen, der den Fernseher anschließt und einrichtet. Auch Yoga-Stunden und Gitarren-Lehrer lassen sich über die Plattform buchen. Bis zum Jahresende will Amazons einen Service in 30 amerikanischen Großstädten anbieten.
In der Amazon-Heimatstadt Seattle fährt seit diesem Sommer der "Treasure Truck" - ein Lkw, vollgeladen mit Sonderangeboten. Kunden können die Waren auf dem Truck per App bestellen und direkt liefern lassen - zum Beispiel ein Surfboard für den Preis von 99 Dollar anstatt den üblichen 499 Dollar.
Prime Music ist der Musik-Streamingdienst von Amazon, eine Konkurrenz zu Spotify oder Apple. Wer Mitglied beim Amazon Premiumdienst Prime ist, kann den Service in den USA und auch in Großbritannien ohne Zusatzkosten nutzen. Allerdings verfügt Amazon bisher nur über eine Bibliothek von etwa einer Millionen Songs.
Amazon begnügt sich schon lange nicht mehr, Medien zu verkaufen - der Online-Händler produziert sie mittlerweile auch selbst. Über seinen Streamingdienst zum Beispiel hat Amazon die ersten Folgen der Serie "The Man in the High Castle" veröffentlicht. Darin geht es um die Frage: Wie würde die Welt aussehen, wenn die Nazis den zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Auch einen eigenen Kinofilm mit dem Titel "Elvis & Nixon" produziert Amazon. Was danach kommt? Wahrscheinlich ein eigenes Videospiel. Laut Medienberichten hat Amazon Entwickler von bekannten Spielen wie World of Warcraft oder Halo verpflichtet.
Zudem haben die Chefs vieler Handelsketten die Verwerfungen im Buch-, Mode- und Elektronikhandel genau studiert – und wollen Amazon einen heißen Empfang bereiten. Am weitesten ist dabei Rewe – wo man sich die mahnenden Worte des scheidenden Vorstandschefs Caparros in den vergangenen Monaten offensichtlich zu Herzen genommen hat.
Noch bevor Amazon die ersten Bananen zu Berliner und Potsdamer Kunden gekarrt hat, sind die Kölner in 70 deutschen Städten mit einem Lieferangebot präsent. Auch der SB-Warenhausbetreiber Kaufland hat bereits im vergangenen Jahr einen Lieferservice in Berlin gestartet. Neben Rewe und Kaufland liefert auch die Edeka-Tochter Bringmeister dort Lebensmittel aus. In den Ausbau des E-Food-Händler will Edeka-Chef Markus Mosa zudem künftig stärker investieren. Das ist auch nötig. Denn Amazon will den Markt vor allem mit seiner Liefergeschwindigkeit aufmischen. Kunden können demnach bis 23 Uhr bestellen und die Bestellung am nächsten Tag in einem gewählten Zwei-Stunden-Lieferfenster erhalten.
Preislich ist das Angebot dagegen deutlich teurer als der Einkauf im Laden. So ist eine kostenpflichtige Mitgliedschaft beim Kundenbindungsdienst Amazon Prime Voraussetzung, um überhaupt Amazon Fresh nutzen zu können. Zusätzlich kostet der Dienst 9,99 Euro monatlich – mit unbegrenzter Anzahl an Gratis-Lieferungen bei einem Mindestbestellwert von je 40 Euro.
Ob die preissensiblen deutschen Konsumenten angesichts solcher Zusatzgebühren mitspielen, dürfte sich wohl erst in den nächsten Jahren entscheiden. Klar ist, das Rennen um den deutschen E-Food-Markt hat heute erst so richtig begonnen.