
Wie stellt Amazon in Großbritannien frische Lebensmittel zu?
Der Onlinehändler kooperiert mit der Supermarktkette Morrisons. Sie bezieht frische Lebensmittel und Tiefkühlkost aus dem Großhandel und liefert sie an die Kunden von Amazon aus.
Ist das schon Amazon Fresh – oder noch eine Vorstufe?
Experten tun sich schwer, beim neuen Angebot direkt von Amazon Fresh zu sprechen – also dem eigenständigen Lieferdienst für frische Lebensmittel. Christian Kille, Professor für Handelslogistik an der Hochschule Würzburg, sieht in der Kooperation mit Morrisons zumindest eine letzte Vorstufe von Amazon Fresh. Seiner Meinung nach fehlt, dass Amazon die Lebensmittel selbst aus dem Großhandel bezieht und dem Kunden nach Hause liefert.
Kille ist überzeugt, Amazon wird langfristig die Partnerschaft mit der Supermarktkette in Großbritannien aufgeben. Derzeit wolle der Onlinehändler nur testen, wie die Kunden auf das neue Sortiment reagieren. Denn: "Amazon ist ein Unternehmen, das eigenständig und unabhängig auf dem internationalen Markt erfolgreich sein will", sagt Kille.
Wird der Onlinehändler auch in Deutschland frische Lebensmittel in sein Sortiment aufnehmen?
Auf Anfrage von WirtschaftsWoche Online will Amazon keine Auskunft darüber geben, ob Amazon Fresh auch in Deutschland geplant ist. "Für Deutschland hat Amazon keine Ankündigungen zu dem Thema gemacht", heißt es seitens der Pressestelle.
Wo es beim Online-Lebensmittelhandel hakt
Derzeit setzten die meisten Online-Lebensmittelhändler auf den Versender DHL (77 %), seltener auf Konkurrenten wie DPD (10 %) oder Hermes (4 %), haben die Handelsforscher des EHI herausgefunden. Lediglich größere Anbieter und Supermarktketten, haben einen sich einen eigenen Lieferdienst (13 %). Durch einen Partner entfallen Kosten für den Aufbau einer Logistik. Dafür entstehen fortlaufende Kosten - und die Gefahr vom Dienstleister, seinen Auftreten, seinem Service und seiner Pünktlichkeit abhängig zu sein.
Quelle: EHI-Studie: Lebensmittel E-Commerce 2015 // eigene Recherche
Die Anbieter von Getränken und haltbaren Lebensmitteln haben damit kein Problem, für Online-Supermärkte, die auch frische Produkte verkaufen, ist die Kühlung der Waren existenziell. Sie liefern ihre Waren meist in Styroporboxen und halten die Temperatur mit Trockeneis, Kühlakkus oder Gelpads. Der Aufwand dahinter ist enorm hoch,und verursacht hohe Kosten. Besonders herausfordernd wird die Lieferung, wenn Waren verschiedene Kühltemperaturen benötigen - Fisch und Salat zum Beispiel.
Grüne oder gelbe Bananen? Große oder kleine Äpfel? Supermarkt-Kunden haben meist spezielle Vorstellungen davon, wie ein Produkt auszusehen hat - und nehmen sich ihre Waren ganz bewusst aus dem Regal. Beim Online-Shopping übernimmt der Anbieter die Auswahl, und kann damit auch schon mal daneben liegen. In einem Praxistest fiel den Handelsforschern von EHI zudem ein weiteres Problem auf: Wenn ein Produkt nicht mehr auf Lager ist, fällt das häufig erst deutlich nach Bestellung auf. Dann bekommen die Kunden entweder eine Nachricht oder sogar ein Ersatzprodukt, das sie gar nicht wollten.
Wann das Paket beim Kunden eintrifft, ist besonders bei frischen Produkten entscheidend. Schließlich sollte die Lieferung in der Regel persönlich entgegen genommen werden. Manche Dienste garantieren deshalb immerhin die Zustellung in einem Zeitfenster von zwei Stunden. Das erforderte aber eine genaue Planung der Auslieferungen - und entsprechend viele Kunden, sonst wird die Zustellung zum Minusgeschäft. Vor allem kleine Dienste liefern deshalb nur an bestimmten Wochentagen. Das bedeutet lange Wartezeiten für den Kunden.
Anders als in England oder Frankreich ist der Zuspruch der Kunden hierzulande noch sehr gering. Das ist einer grundsätzlichen Skepsis der Deutschen gegenüber neuen Entwicklungen geschuldet, der guten Versorgung mit Läden insgesamt, und der Angst durch die oben genannten Punkte Nachteile zu erhalten. “Die Verbraucher haben zum Beispiel Angst in Bezug auf die Produktqualität und vor einer eventuellen Nichteinhaltung der Kühlkette”, fassen die EHI-Experten in ihrer Studie Lebensmittel “E-Commerce 2015” zusammen.
Hierzulande bietet das US-Unternehmen allerdings einige Dienstleistungen an, welche die Zustellung frischer Lebensmittel begünstigen – und die damit eine gute Voraussetzung für die Umsetzung von Amazon Fresh in Deutschland sind.
Welche Vorboten sind das?
Die Lieferung am Tag der Bestellung, eigene Verteilzentren in München und Amazon Pantry. Für 4,99 Euro liefert der Onlinehändler seinen Prime-Kunden seit 2015 haltbare Lebensmittel und Hauswarenartikel in einer Box nach Hause.
Seit einigen Monaten bietet Amazon zudem in 14 deutschen Großstädten Same Day Delivery an – neuerdings testet das US-Unternehmen sogar die Zustellung von Waren innerhalb von 90 Minuten. Damit der Onlinehändler schnell auf Kundenwünsche reagieren kann, kooperiert er nicht mehr ausschließlich mit Paket-Riesen wie DHL und Hermes, sondern setzt nun auf mittelständische Kurierdienste. "Amazon hat sich bereits ein logistisches Netzwerk geschaffen, auf dessen Basis es in den Großstädten durchaus möglich wäre, frische Lebensmittel zuzustellen", sagt Kille.
Die neuen Verteilzentren ermöglichen theoretisch die Lagerung frischer Lebensmittel. "Amazon könnte Lieferanten damit beauftragen, die Verteilzentren wie die von Supermärkten mit Lebensmitteln zu beliefern", sagt Kille. Die Ware würde dann direkt vom Hersteller oder vom Großhandel kommen. In den Verteilzentren könnten die Produkte direkt zu Paketen zusammengeschnürt – und per Kurier oder DHL schnell zum Kunden gebracht werden.