Wie gefährlich ist Amazon wirklich?
Meint Amazon es ernst, könnte der Konzern ziemlich schnell eine Konkurrenz für die Online-Angebote der Supermärkte werden. Der Online-Gigant verfügt über das Geld, die Kundendaten und das Image, um den Markt aufzurollen. „Amazon hat es bislang immer geschafft, Standards zu setzen, an denen sich die anderen dann messen müssen“, sagt Hofacker. „Der Online-Lebensmittelhandel würde durch einen Markteintritt kräftig durchgerüttelt werden.“ Bis das Internet-Geschäft aber ernstzunehmende Anteile am Gesamtmarkt hat, dürften noch Jahre vergehen – auch mit Amazon.
Aber Potential haben die Lebensmittelieferungen aus dem Netz doch?
Schon. Da sind zum einen die Kunden, die es nicht in den Laden schaffen – oder gar nicht schaffen wollen. „Potentielle Kunden sind etwa Berufstätige mit wenig Zeit“, sagt Hofacker. „Aber auch ältere Menschen, die ihren Einkauf nicht mehr allein bewältigen können.“
Und es gibt diejenigen, die vom Angebot der Supermärkte enttäuscht sind. Eine aktuelle Studie der Marktforscher von YouGov, die WirtschaftsWoche Online vorab vorliegt, zeigt, dass viele Kunden im Laden nicht bekommen, was sie kaufen wollen. Während demnach jeder dritte Kunde des stationären Handels häufig oder gar sehr häufig erlebt, dass ein Produkt im Laden nicht vorrätig ist, ist dieselbe Situation knapp 80 Prozent der Befragten beim Online-Shoppen in den letzten 12 Monaten überhaupt nicht oder nur selten passiert. Besonders ärgerlich finden Käufer das laut der im Auftrag der Lieferkettenplattform GT Nexus durchgeführten Studie bei Lebensmitteln. Wer eine bestimmte Tomatensoße sucht, will nun mal nicht mit Instant-Pulver nach Hause gehen. Amazon ist im Vorteil: „Die Lieferkette eines stationären Anbieters mit dezentralen Verkaufsstellen ist naturgemäß viel komplexer als die Lieferkette eines reinen Online-Händlers“, sagt Boris Felgendreher, Supply Chain-Experte bei GT Nexus.
Was bedeutet Amazon Fresh für die Lebensmittel-Hersteller?
Einen neuen Kunden – und das dürfte viele Lebensmittel-Produzenten zunächst freuen. Die ächzen schließlich unter der Stärke der großen Supermärkte und Ketten. Ganze 85 Prozent des Lebensmittelmarktes sind laut Bundeskartellamt unter der Kontrolle von fünf Händlern, die die Produzent so leicht gegeneinander ausspielen und die Preise drücken können. Ob Amazon aber tatsächlich auf Dauer eine produzentennahe Politik fahren wird, darf bezweifelt werden. In allen bisherigen Produktkategorien ist Amazon vor allem für seinen kundenfreundlichen Ansatz und niedrige Preise bekannt. Wer das als Händler nicht mitmachen möchte, hat das Nachsehen.
Was verspricht sich Amazon von den Lebensmittel-Lieferungen?
Amazon Fresh ist Teil einer neuen Strategie: Bisher war Amazon nur Distanzhändler, der von einem Lager irgendwo in der Ferne seine Pakete an Zusteller gibt, die dann vor der eigenen Haustür auftauchen. Doch nun zieht Amazon in die direkte Nachbarschaft seiner Kunden – und beginnt auch, selbst an den Haustüren zu klingeln.
Amazons Logistik-Netz in Deutschland
In Deutschland hat Amazon bislang neun Logistikzentren an acht Standorten: In Graben bei Augsburg, Bad Hersfeld mit zwei Logistikzentren, Leipzig, Rheinberg, Werne, Pforzheim, Koblenz und Brieselang.
Mehr als 9.000 Festangestellte aus über 100 Nationen. In der Weihnachtszeit kommen nach Angaben des Konzerns 10.000 weitere Saisonkräfte hinzu.
860.000 Quadratmeter (120,5 Fußballfelder) mit einer Lagerkapazität von mehr als 3 Mio. m³.
Am 15.12.2013 verzeichnete Amazon.de 4,6 Mio. Kundenbestellungen. Das waren 53 pro Sekunde.
In den USA und in Großbritannien ist Amazon damit schon am weitesten vorangeschritten. In Großstädten wie Seattle, Chicago und New York können Kunden ihre Pakete mittlerweile auch innerhalb von ein bis zwei Stunden liefern lassen. In New York benutzen die Amazon-Kuriere dafür sogar die U-Bahn, um die berühmten Staus auf den Straßen der Metropole zu entgehen. Auch in Großbritannien stellt Amazon in den Großstädten bereits selbst zu – und das auch am Sonntag. So einen Service gibt es in Deutschland noch lange nicht. Doch auch hierzulande eröffnet Amazon gerade Logistikzentren in der Nähe der Städte, die Amazon für seinen Fresh-Dienst und auch eine Zustellung am gleichen Tag nutzen könnte.
Zumindest den Bewohnern von San Francisco soll es bald auch möglich sein, Amazon selbst zu besuchen und dort einkaufen zu gehen. Nach Berichten des „Silicon Valley Business Journals“ plant das Unternehmen dort eine sogenannte „Drive-Up-Station“, eine Art Supermarkt, der sich mit dem Auto durchqueren lässt. Damit würde der Online-Gigant Amazon Fresh auf die nächste Stufe bringen.