Amazon Handmade Amazon greift Dawanda und Etsy an

Amazon setzt mit Handmade auf den Verkauf von handgefertigten Produkten von Kunsthandwerkern. Wie Kunden, Händler und der Online-Riese davon profitieren – und wer weniger erfreut über das neue Geschäft sein dürfte.

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Amazon vertreibt nun auch Handgemachtes Quelle: PR

Jetzt auch handgeklöppelt: Online-Riese Amazon startet mit Handmade einen neuen Geschäftsbereich in Deutschland und auf vier weiteren europäischen Amazon-Webseiten. Auf dem neuen Marktplatz für Selbstgemachtes können Kunsthandwerker künftig ihre eigenen Produkte anpreisen und verkaufen.

Auf einen Schlag erweitert der Konzern sein Portfolio in den fünf Shops um mehr als 30.000 Artikel von Kunsthandwerkern. Weitere sollen täglich folgen. Im Vergleich zum restlichen Angebot sind es Nischenprodukte: Mehlsack-Geschirrtücher aus Kanada, italienische Holzlampen, Schmuck aus vergoldeten Blättern und nachhaltige Babyklamotten. Alles handgefertigt und teils individuell anpassbar, verspricht der Konzern seinen Kunden.

„Wir haben ein Einkaufserlebnis für Kunden geschaffen, die auf der Suche nach einzigartigen Artikeln sind“, wirbt Markus Schöberl, verantwortlich für Amazons Marktplatz-Geschäft im deutschsprachigen Raum. Neu ist die Idee nicht. Mit dem Fokus auf Handgemachtes betritt Amazon Terrain, das in Deutschland bislang von Platzhirschen wie Etsy und DaWanda beherrscht wird.

Das sind Amazons nächste Projekte

Etsy brachte den Trend der handgemachten Produkte 2005 im großen Stil in den USA ins Netz und kam 2009 nach Deutschland. Auf der Plattform finden sich 1,6 Millionen Verkäufer – und rund 25 Millionen aktive Kunden. Marktführer in Deutschland ist Dawanda, eine Etsy-Kopie. Die Berliner sind seit 2006 auf dem Markt. Der Umsatzerlös lag im vergangenen Jahr bei 11,7 Millionen Euro.

Amazon könnte in diesen Markt mächtig Bewegung bringen, ausgeschöpft ist das Potential mit dem Kunsthandwerk längst nicht, glauben zumindest die, die die Ware herstellen. „Der Markt in Deutschland für solche Produkte ist groß“, sagt Maria Angeles Marinas von Gemshine. Sie ist unter den ersten, die ihre Produkte künftig auch bei Handmade vertreiben. Wer bei ihr bestellt, kauft handgefertigten Schmuck und legt Wert auf Zertifikate und Nachweise, woher die Produkte kommen und wie sie gemacht werden. „Vergessen wir mal einen Nachweis, melden sich die Kunden sofort bei uns und verlangen eine Kopie.“

Die Zielgruppe ist eben eigen. Sie legt Wert auf nachhaltigen Konsum und gilt als zahlungskräftig. Marketingstrategen aus den USA haben sie “LOHAS” getauft, was für Lifestyle of Health and Sustainability steht. „Die Konsumenten treffen bewusste Kaufentscheidungen, legen aber trotzdem Wert auf Luxus, was sie von anderen ökologischen Bewegungen abgrenzt“, sagt Stefan Helmke, Marketingprofessor an der Fachhochschule der Wirtschaft Bergisch Gladbach (FHDW) und Partner bei der Managementberatung TGCG.

Einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zufolge zählten sich 2007 9,6 Prozent der Deutschen zur Kerngruppe der LOHAS und 12,4 Prozent zu ihrem erweiterten Kreis. 2015 waren es schon 15,1 Prozent, die sich zur Kerngruppe und 12,7, die sich zum erweiterten Kreis zählen.

Was Handmade den Händlern und Amazon nutzt

„Handgemachtes ist einzigartig und hebt sich vom gängigen Markt ab. Die Produkte stehen für Nachhaltigkeit und bewussten Konsum, das ermöglicht den LOHAS mit dem Konsum die eigene Einstellung zu belegen und sich zu positionieren“, sagt Helmke.   

Bewusster Konsum passt auf den ersten Blick nicht gerade zu Amazon, das vor allem für schnelle und effiziente Verkaufsprozesse steht. „Amazon wird nur als Kanal gesehen“, sagt Helmke. „Die Produkte dort sind für die Konsumenten interessant, weil sie die Kriterien erfüllen, die die Konsumenten an Handgemachtes stellen. Da nehmen sie auch in Kauf, dass die Produkte von Amazon sind.“

„Überzeugend für die Produzenten sind bei Amazon vor allem die Reichweite – und das Publikum“, sagt Petra Kammerlander-Jensen. Unter der Marke millemarille verkauft sie Babykleidung und Kinderzimmerausstattung – nachhaltig, giftstofffrei, eher kleine Volumen. Seit Jahren vertreibt die junge Unternehmerin ihre Produkte im Netz, nutzt ihre eigene Webseite und Marktplätze wie Etsy und DaWanda. Handmade soll ihr nächstes Standbein werden. „In diesem ganzen Amazon-Gebilde finden wir Kunden, die nie zu Etsy oder DaWanda kommen würden“, hofft Kammerlander-Jensen.

Die beliebtesten Händler der Deutschen
Das Logo des Parfümerie- und Handelskette "Douglas" Quelle: dpa
Das Aldi-Logo Quelle: REUTERS
Eine Kaffeetasse in einer Tchibo-Filiale vor einem Produktregal. Quelle: dpa
Ansicht des Logos und des Schriftzugs der Drogeriemarktkette Müller Quelle: dpa
Eine Kundin schiebt in einer Rossmann-Filiale einen Einkaufswagen. Quelle: dpa
Ein Kugelschreiber mit der Aufschrift "Otto...find ich gut." Quelle: dpa
Eine Verkäuferin ordnet die Buchauslagen in einer Thalia Filiale Quelle: dpa

Das Potential ist da. Rund 26 Millionen Besucher hat Amazon täglich – allein in Deutschland. „Dass wir relativ einfach auch die Marktplätze in Frankreich oder England nutzen können, bietet neue Chancen“, sagt sie.

Dass Amazon auch fremden Händlern die Chance gibt, die Infrastruktur zu nutzen, ist bekannt. So erweitert der Onlinehändler ohne Risiko das verfügbare Angebot – und verdient an den Gebühren und Abgaben. Der Marketplace ist längst zur bedeutenden Säule des Geschäfts geworden.

Was Handmade vom Marktplatz unterscheidet: Amazon gibt den Handwerken viel Raum, die Produkte vorzustellen und sich selbst zu inszenieren – mit Fotos, Werkstatteinblicken oder längeren Erklärtexten. Bei jedem der Artikel stecke eine Geschichte dahinter, „die Kunsthandwerker über die Amazon-Website erzählen können“, sagt Schöberl.

Laut Marketingexperten Helmke ein kluger Schachzug: „Die handgemachten Produkte werden so klar von denen abgegrenzt, die nicht den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen und mit nicht klarem Ursprung angeboten werden.“

Seine Dienste lässt sich Amazon gut bezahlen. Zwölf Prozent Verkaufsprovision streicht der Konzern pro verkauftem Artikel ein, bei Etsy sind es 3,5 Prozent, bei DaWanda rund fünf Prozent. Hinzu kommen gegebenenfalls Angebotsgebühren.

Trotz der vergleichsweise hohen Gebühren, trotz der ungewöhnlichen Konstellation ist Amazon Handmade in den USA, wo es im Oktober 2015 startete, stark gewachsen. Händler und Konzern hoffen, dass es in Deutschland ähnlich laufen wird.

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