Amazon legt Quartalsergebnis vor Tech-Gigant mit angehängtem Tante-Emma-Laden

Die Amazon-Aktie strebt auf die 1000-Dollar-Marke zu. Das ist weniger dem Verkauf von Büchern oder spektakulären Drohnen zu verdanken als einer langweiligen Sparte im Hintergrund.

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Das gewinnbringende Geschäft des Mischkonzerns ist das Cloud Computing. Quelle: AP

Wer kennt den alten Witz noch? „Siemens ist eine Bank mit angehängtem Elektroladen.“ Nun, die Zeiten sind vorbei. Aber in Seattle findet der Joke seine Fortsetzung: Amazon.com ist ein Technologiegigant mit angehängtem Tante Emma-Laden. Das war einmal anders.

Die Zahlen zum ersten Quartal des Technologiegiganten kann man lesen wie ein Buch. Richtig spannend wird es, wenn man das Kapitel AWS aufschlägt. AWS ist die Sparte für Cloud Computing. Hier kaufen sich Unternehmen Speicher, Computerleistung und Software von der Stange und bezahlen sie so, wie sie ihre Strom- oder Wasserrechnung begleichen. Ein Geschäft unter dem Radar der Öffentlichkeit. Doch der Laden brummt und verdient unverschämt viel Geld. Nachbörslich kletterte die Amazon-Aktie um 3,88 Prozent auf 954 Dollar und nimmt somit die 1000-Dollar-Marke ins Visier.

Amazon weist für das Quartal ein operatives Ergebnis von gewaltigen 1,01 Milliarden Dollar aus. Das Unternehmen verkauft CDs und Bücher, hat eigene Frachtflugzeuge angemietet um FedEx oder DHL auszubooten, baut einen Frachtflughafen, lässt Drohnen Pakete abwerfen, betreibt eine Video- und Musikplattform, stellt Computer-Tablets her und stellt den Kunden den persönlicher Assistenten Alexa in die Wohnzimmer, um ihnen jeden Kaufwunsch von den Lippen abzulesen. AWS, das farblose Geschäft mit Bits und Bites, hat ein analoges Highlight: ein 30-Tonnen-Lkw, mit dem man Terabyte von Daten vom eigenen Firmen-Rechenzentrum zu Amazons Cloudspeichern fahren und abladen kann.

Das Cloud Computing liefert einen Beitrag zum operativen Ergebnis von 890 Millionen Dollar bei gerade mal 3,66 Milliarden Dollar Umsatz, ein Plus zum Vorjahr von 43 Prozent.

Das heißt: Der ganze Amazon-Zirkus mit 35,7 Milliarden Dollar Umsatz, einem Plus von 23 Prozent zum Vorjahr, verdient operativ 1,01 Milliarden Dollar. Nimmt man die Cloud heraus, die nur zehn Prozent des Umsatzes beisteuert, verschwinden gleichzeitig fast 90 Prozent des operativen Gewinns. Das sagt viel darüber aus, wo das Potenzial liegt. Auch zum Nettogewinn von 724 Millionen Dollar im Quartal gegenüber 513 Millionen Dollar im Vorjahr trägt AWS seinen Teil bei. Die abnehmende Erratik der Gewinnausweise des Konzerns liegt am ausgleichenden Anteil der wiederkehrenden Umsätze aus dem Businessgeschäft.

Amazon-Gründer und CEO Jeff Bezos ist nicht auf ein paar schnelle Milliarden aus. Er nimmt lieber langsame Multimilliarden mit. Sonst hätte er AWS längst als eigene Einheit an die Börse gebracht. Die Investoren würden ihm das Papier zu jedem Preis aus der Hand reißen: ein Technologieunternehmen mit 42 Prozent Umsatzwachstum im Jahresvergleich und gleichzeitig operativ schwarzen und stark wachsenden Ergebnissen. Wann hat es das schon mal gegeben, seit Google an die Börse gegangen ist. Zuletzt mussten sich die Investoren mit so etwas wie Snap abspeisen lassen, ein typisches Silicon Valley-Gewächs mit mehr Verlust als Umsatz im Geschäftsjahr. Am 10. Mai wird Snap erstmals als börsennotiertes Unternehmen Ergebnisse vorlegen und die Wall Street zittert bereits. Oder „Unicorns“, wertvolle und seltene Einhörner wie Uber: Trotz aller Skandale und Probleme geistern noch immer Zahlen durch die Welt, die von einer Bewertung von bis zu 70 Milliarden Dollar ausgehen. Dabei hat der Taxikonkurrent laut Bloomberg gerade einen Nettoverlust von 2,8 Milliarden Dollar in 2016 bei 6,5 Milliarden Dollar Umsatz vermelden müssen. Was wäre dann AWS wert?


Warum das Amazon-Modell so stabil ist

Am Donnerstag haben auch Microsoft und Google Zahlen vorgelegt. Microsoft ist der schärfste Konkurrent von AWS und meldete für sein Cloud-Kerngeschäft „Azure“ ein Plus von 93 Prozent, ohne allerdings den absoluten Wert zu nennen, der deutlich unter dem von AWS liegen dürfte. Google wäre gerne der schärfste Konkurrent, schafft es aber einfach nicht. Und das, obwohl CEO Sundar Pichai schon Anfang 2016 die Cloud zum „primären Investitionsziel“ erklärt hat. Von Googles 24,5 Milliarden Dollar Umsatz kamen im 1. Quartal des Jahres 21,4 Millionen Dollar aus Werbung. Der kleine Rest, in dem auch Google Cloud versteckt ist, wuchs allerdings um gut 50 Prozent. Ein Gutteil davon dürfte aus der Cloud kommen.

Tatsächlich rechnet die Synergy Research Group einen Marktanteil von AWS von 40 Prozent in den Boommärkten IaaS (Infrastructure as a Service) und PaaS (Platform as a Service) vor. Microsoft, Google und IBM zusammen schaffen es gerade mal auf 23 Prozent. Nehmen wir wieder das Beispiel Snap: Zwei Milliarden Dollar, verteilt auf fünf Jahre, wird das Unternehmen an AWS für seine IT-Infrastruktur überweisen. Es ist wie zu Goldgräberzeiten in Kalifornien: Die Abenteurer gegen auf risikoreiche Goldsuche und Jeff Bezos, der biedere Geschäftsmann, verkauft ihnen Schaufeln, Siebe und Bohnen. Snap ist der Goldgräber im hart umkämpften Social Networking-Bereich. Bezos verkauft die Schüppen und lässt noch nicht mal anschreiben. Und während bei Uber oder Snap die Kunden von heute auf morgen zur Konkurrenz wechseln können, ist das AWS-Geschäft stabil und langfristig. Kein Unternehmen zieht freiwillig mit seiner gesamten IT-Infrastruktur um, wenn es nicht sein muss.

Amazon gibt für das laufende Quartal eine Umsatzprognose von 35,2 bis 37,7 Milliarden Dollar aus, was 16 bis 24 Prozent Plus zum Vorjahr bedeuten würde. Während der Handel mit PCs, Smartphones oder Büchern seinen Teil beitragen wird, ist es aber die Entwicklung der Cloudsparte, die die Zukunft von Amazon definieren wird. Mit einer Microsoft Cloud, die bereits doppelt so stark wächst wie AWS, wird die Konkurrenz immer härter, zumal auch Googles Sundar Pichai endlich einmal Erfolge bei der Mutter Alphabet zeigen muss. Das Cloud-Geschäft wäre das zweite Standbein für Google, um aus der Abhängigkeit des Werbegeschäfts auszubrechen. Aber er kommt einfach nicht voran.

Denn bislang hat der Tech-Gigant mit dem Tante-Emma-Laden im Schlepptau die Lage noch unter Kontrolle. Seine funktionierende Wachstumsstory untermauert die Bewertungen der Aktie. Die Frage, ob Amazon wächst, werden nicht Drohnen oder selbstfahrende Lieferwagen beantworten. Wichtig ist, ob Microsoft den Druck auf AWS vergrößern und irgendwann sogar Google in den Wettbewerb eingreifen kann. Bis dahin kann der angehängte Tante Emma-Laden Geld verbrennen.

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