Mit einem leisen Piepsen schickt der Scanner Karolina los. Sie bahnt sich die Wege durch die Regale, angeleitet von dem Scanner. Sie greift in die Regalfächer, sammelt Saftpakete, Senf, Möhren und Brot ein und verstaut sie in den großen Papiertüten mit dem Amazon-Logo. Jedes mal piepst der Scanner zufrieden auf. Er verzeichnet im System: Das nächste Produkt ist schon so gut wie auf dem Weg zum Kunden.
Nirgendwo müssen die Produkte diesen Weg so schnell zurücklegen, wie hier, in Amazons Schnellverteilzentrum in Berlin. Mitten in der Innenstadt hat der Onlinegigant sein neuestes Lieblingsprojekt in Deutschland eröffnet: Ein kleines Lager voller Lebensmittel, Klopapier, Wasserflaschen oder Spielzeug. Das besondere: Jeder dieser Artikel soll in 60 Minuten beim Kunden sein.
Amazon Prime Now heißt der Service, den es mittlerweile in Berlin und München gibt. Die Lieferung - und das ist die zweite Besonderheit - kostet allerdings. 6,99 Euro müssen die Kunden zahlen. Wer mehr Zeit hat, kann statt der 60-Minuten-Lieferung auch die Zustellung in einem Zeitfenster von zwei Stunden anpeilen und dadurch sparen.
Amazon Dash: Diese Produkte gibt es in Deutschland auf Knopfdruck
Cornflakes, Agavensirup oder Hirse: Das kann man mit dem Dash-Button von Bio-Zentrale bestellen.
Auch fürs Büro gibt es den passenden Dash-Knopf: Nämlich den für Etiketten der Marke Herma.
Produkte wie den Falten-Expert-3-D-Hyaluron-Aktivator oder die Hochleistungs-Anti-Age-Nachtcreme No. 110 kann man sich auf Knopfdruck auf den Diadermine-Dash liefern lassen.
An manchen Stellen auf dem Körper soll das Haar gepflegt werden (dafür gibt es den Schwarzkopf-Knopf), an anderen Stellen kämpft man mit der Haarentfernung. Auch hierfür gibt es die passenden Knöpfe: Produkte der Marken Gilette und Veet kann man ebenfalls über Amazon-Dash-Buttons bestellen.
Vom Schauma-7-Kräuter-Shampoo bis zur got-2-B-Styling-Paste (matt, für den Surfer-Look) kann man sich über den passenden Dash-Button mit Haarpflege-Produkten von Schwarzkopf eindecken.
Ob entkoffeinisiert oder Espresso Lungo Intensivo: Mit dem Dash-Button von Caffè Vergnano 1882 ist der Kaffeenachschub auf Knopfdruck unterwegs.
Ja, Knete gibt es auch. Sie sollten diesen Knopf wahrscheinlich besser irgendwo außerhalb der Reichweite von Kinderhänden aufhängen. Oder Leiterin eines Kindergartens sein. Sonst haben Sie bald vielleicht mehr Play-Doh-Glitzerknete, als Ihnen lieb ist.
Auch Kondome und Gleitgel von Durex kann man über einen Amazon-Knopf kaufen.
Auch Müllbeutel lassen sich einfach bestellen: Mit dem Brabantia-Knopf, mit dem man auch gleich Müllbeutel-Spender einkaufen kann.
Für Allergiker und exzessive Liebesschnulzen-Gucker ist es eine besonders gute Nachricht: Kleenex gibt es ebenfalls über einen Dash zu bestellen.
Auch Tierfutter gibt es auf Knopfdruck. Eigene Dash-Buttons gibt es jeweils für Eukanuba, Whiskas, Dreamies und Pedigree.
Ja, diesen Knopf klebt man sich am besten ins Bad. Neben den Raumduft. Dann geht der Vorrat an feuchtem Toilettenpapier der Marke Cottonelle auch nicht aus.
Der Weg in den Drogeriemarkt um die Ecke bleibt dem Besitzer des Ariel-Dashs erspart: Für 4,99 gibt es den Knopf fürs neue Waschmittel. Auch Persil-Fans können ihr Waschmittel per Knopfdruck bestellen.
Auch Zahnbürstenköpfe und Zahnpasta von Oral-B gibt es per Druck auf den Amazon-Dash-Button.
Als Onlinehändler ist Amazon berühmt und berüchtigt davor, dass es konsequent den besten Service für seine Kunden bieten will: die größte Auswahl, die einfachste Bestellung, die schnellste Lieferung. Mit Ideen wie Amazon Prime Now steigert sich das Niveau noch. Doch sie markieren auch einen Richtungswechsel in der Strategie von Amazon. Denn den besten Service gibt es auch bei Amazon längst nicht mehr für jeden Kunden. Sondern nur für diejenigen, die dafür auch bereit sind zu zahlen.
17 Millionen Prime-Kunden in Deutschland
Im Reich von Amazon gibt es einen neuen König: Die Prime-Kunden. Prime, so nennt Amazon seinen Premiumdienst. In Deutschland kostet der 49 Euro pro Jahr. Der Betrag öffnet den Millionen Amazon-Bestellern eine neue Welt, mit eigenen Lieferbedingungen, Zusatzangeboten, Produkten und sogar eigenen Plattformen für Videos oder Musik.
Täglich entwickelt und erfindet Amazon neue Ideen, um mehr Kunden auf diese Seite zu ziehen. Und so mehr zu erwirtschaften.
Mit der Strategie ist Amazon bisher enorm erfolgreich, auch in Deutschland: Laut einer Umfrage des Datenanbieters Statista gibt es allein in Deutschland 17 Millionen Prime-Kunden. Damit nutzen fast 40 Prozent der deutschen Amazon-Kunden den Bezahldienst. Für Amazon rechnet sich das: Die Kunden mit dem Abo bestellen häufiger, sie bestellen mehr, sie sind besonders treu.
Sie eröffnen Amazon damit eine Möglichkeit, die das Unternehmen aus Seattle bisher nur aus seinem Server- und Cloud-Geschäft kannte, und nicht aus dem Onlinehandel: eine Aussicht auf Profitabilität. Alleine im US-Handelsgeschäft konnte Amazon im vergangenen Quartal seinen operativen Gewinn von 348 auf 702 Millionen Euro deutlich steigern - auch dank der vielen zahlenden Prime-Kunden. Außerhalb der USA schreibt Amazon zwar noch immer meist rote Zahlen. Doch auch hier investiert der Online-Gigant Millionen.
Amazons Logistik-Netz in Deutschland
In Deutschland hat Amazon bislang neun Logistikzentren an acht Standorten: In Graben bei Augsburg, Bad Hersfeld mit zwei Logistikzentren, Leipzig, Rheinberg, Werne, Pforzheim, Koblenz und Brieselang.
Mehr als 9.000 Festangestellte aus über 100 Nationen. In der Weihnachtszeit kommen nach Angaben des Konzerns 10.000 weitere Saisonkräfte hinzu.
860.000 Quadratmeter (120,5 Fußballfelder) mit einer Lagerkapazität von mehr als 3 Mio. m³.
Am 15.12.2013 verzeichnete Amazon.de 4,6 Mio. Kundenbestellungen. Das waren 53 pro Sekunde.
Serien und Musik als Köder
In einem schlichten Gewerbegebiet in London sitzen Jeremy Clarkson, Richard Hammond und James May lässig dahingestreut an einem Holztisch und schweigen. May klappt sein Notebook auf, liest eine Mail: „Jeff hat sich gemeldet.“ Allgemeines Stirnrunzeln. „Er ist nicht begeistert darüber, dass wir auch nach neun Monaten noch keinen Namen haben.“ Das ist schlecht.
Denn der Amazon-Chef hat Millionen investiert, damit die drei Briten zwölf Folgen ihrer mittlerweile weltberühmten Auto-Sendung bei ihm abliefern. Die lief früher bei BBC und hieß Top Gear. Und nun? Clarkson, Hammond und May sitzen da und grübeln – und schüren mit der werbeträchtigen Namenssuche die Neugier ihrer weltweiten Fan-Gemeinde nach der neuen Sendung.
„The Grand Tour“, wie die PS-strotzende Serie nun heißen wird, ist das sichtbarste Signal an Branche und Publikum, wie Amazon beim Rennen um Zuschauer punkten will: Der Konzern kopiert die Rezepte der Konkurrenz wie Netflix oder Sky, die schon längst eigene Serien und Filme drehen lassen. Auch Amazon setzt dabei auf lokale Produktionen. „You are wanted“ heißt die Krimi-Serie, bei dem Filmstar Matthias Schweighöfer die Hauptrolle spielt und Regie führt. „Wir wollen einen Gassenhauer“, Christoph Schneider, Deutschland-Chef von Amazon Video.
Doch wer sich Matthias Schweighöfer ansehen will, muss dafür zahlen. 7,99 Euro kostet der Videodienst für diejenigen, die keine Prime-Kunden sind. Damit sind die Serien und Filme der perfekte Einstieg in die Prime-Welt: Denn wer zwölf Monate lang fleißig streamt, zahlt am Ende sogar fast doppelt so viel wie die Prime-Kunden. Und die erhalten nicht nur Zugang zu Serien, sondern neuerdings sogar zu exklusiv für sie gefertigten Produkten und technischen Spielereien.
So wie den Dash-Button, der Bestellen per Kopfdruck ermöglicht. Die Buttons von bestimmten Produkten wie Waschmittel, Toilettenpapier und Kondomen können Kunden an den entsprechenden Stellen im Haushalt anbringen. Ist das Waschmittel leer, reicht ein Knopfdruck, und das nächste Paket macht sich von einem Amazon-Lager aus auf den Weg.
Amazon Echo kommt nach Deutschland
Seit Anfang September sind die Buttons in Deutschland erhältlich - nur für Prime-Kunden, selbstverständlich. Vorteil für den Kunden: Möglichst wenig Aufwand. Vorteil für Amazon: Der Kunde achtet nicht mal auf den Preis und verrät gleichzeitig wichtige Informationen über sein Konsumverhalten, warnen Verbraucherschützer.
Doch trotz der Vorbehalte bestellt die Amazon-Fangemeinde die Dash-Buttons bereits jetzt wie verrückt. Nach kurzer Zeit ist er hierzulande für viele bekannte Marken bereits ausverkauft, neue Knöpfe sind erst ab Mitte Oktober lieferbar. „Der Erfolg der Dash-Buttons ist für das erste größer als gedacht“, sagt Marc Aufzug von Factor-A, einem Unternehmen, das Produzenten bei ihren Aktivitäten auf Amazon berät.
Noch einfacher macht es Amazon seinen Kunden nur noch mit Echo. Der bildschirmlose Computer mit der Optik einer Hightech-Tennisball-Dose wird per Sprache angesteuert. Die rund 60 Millionen Prime-Kunden in den USA können Echo bereits nutzen. Er dient als Einkaufshilfe, kann die eigenen Bankkonten abrufen, Musik abspielen und ein Taxi bestellen – alles auf Zuruf.
In „diesem Herbst“ soll der vernetzte Lautsprecher mit Sprachsteuerung in Deutschland erstmals außerhalb des englischsprachigen Sprachraums auf den Markt kommen, kündigte Amazon-Manager David Limp am Mittwoch in London an. Das passt perfekt ins Schema und zur Prime-Strategie.
Das sind Amazons nächste Projekte
Unter Amazon Dash versteht der Internetkonzern eine Art Einkaufsliste auf Knopfdruck. Die kleinen Aufkleber mit Taste können die Kunden einfach im Haus an das Waschmittel oder an das Hundefutter kleben - und wenn die Packung leer ist, per Knopfdruck schnell bei Amazon eine neue bestellen. Bisher ist der Service nur für Kunden des Premiumdienstes Amazon Prime in den USA und in Großbritannien erhältlich - für 4,99 US-Dollar je Button.
Mit "Amazon Handmade" macht der Online-Händler Anbietern wie Etsy oder DaWanda Konkurrenz. Auf dem Marktplatz will Amazon Künstler und Bastler versammeln, die individualisierbare Produkte verkaufen: Selbstgeschneiderte Kleider und Taschen, Schmuck, Armbänder, Möbel. Die Plattform befindet sich in den USA noch im Aufbau. Wer dort verkaufen will, kann sich jetzt schon bewerben. Allerdings kostet ein professioneller Verkäufer-Account knapp 40 Dollar im Monat, und Amazon will bei jeder Bestellung zwölf Prozent Provision einstreichen. Bei anderen Plattformen sind diese Konditionen weitaus günstiger für die Verkäufer - allerdings erreichen sie dort wahrscheinlich nicht so viele Kunden. Ob und wann Amazon Handmade auch nach Deutschland kommen soll, ist nicht bekannt.
Über seine Plattform "Amazon Home Service" vernetzt der Online-Händler in den USA Techniker, Handwerker und Trainer mit seinen Kunden in den Großstädten. Wer bei Amazon einen neuen Fernseher kauft, kann also gleich einen Techniker beauftragen, der den Fernseher anschließt und einrichtet. Auch Yoga-Stunden und Gitarren-Lehrer lassen sich über die Plattform buchen. Bis zum Jahresende will Amazons einen Service in 30 amerikanischen Großstädten anbieten.
In der Amazon-Heimatstadt Seattle fährt seit diesem Sommer der "Treasure Truck" - ein Lkw, vollgeladen mit Sonderangeboten. Kunden können die Waren auf dem Truck per App bestellen und direkt liefern lassen - zum Beispiel ein Surfboard für den Preis von 99 Dollar anstatt den üblichen 499 Dollar.
Prime Music ist der Musik-Streamingdienst von Amazon, eine Konkurrenz zu Spotify oder Apple. Wer Mitglied beim Amazon Premiumdienst Prime ist, kann den Service in den USA und auch in Großbritannien ohne Zusatzkosten nutzen. Allerdings verfügt Amazon bisher nur über eine Bibliothek von etwa einer Millionen Songs.
Amazon begnügt sich schon lange nicht mehr, Medien zu verkaufen - der Online-Händler produziert sie mittlerweile auch selbst. Über seinen Streamingdienst zum Beispiel hat Amazon die ersten Folgen der Serie "The Man in the High Castle" veröffentlicht. Darin geht es um die Frage: Wie würde die Welt aussehen, wenn die Nazis den zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Auch einen eigenen Kinofilm mit dem Titel "Elvis & Nixon" produziert Amazon. Was danach kommt? Wahrscheinlich ein eigenes Videospiel. Laut Medienberichten hat Amazon Entwickler von bekannten Spielen wie World of Warcraft oder Halo verpflichtet.
Für Amazon erfüllen Dash-Button und Echo noch eine weitere Funktion: „Damit nehmen sie vielen Kunden die Entscheidung ab, Produkte woanders als über Amazon zu kaufen – das zahlt sich definitiv aus”, sagt Experte Aufzug. Wer bestellt etwas bei einem anderen Anbieter, wo er für den Versand aufkommen muss, wenn er bei Amazon als Prime-Mitglied versandkostenfrei einkaufen kann und die Ware bestenfalls noch am selben Tag erhält? Damit verteidigt sich Amazon auch gegen Spieler wie Google oder Apple, die ebenfalls gerne Zugang zum Reich der immer mehr kaufenden Onlinekunden hätten.
Kunden zweiter Klasse
Was Deutsche über Amazon Dash kaufen würden
der Umfrageteilnehmer würden eventuell Wein per Knopfdruck nachbestellen.
der Befragten können sich vorstellen, Tiefkühlprodukte wie etwa Fischstäbchen über den Dash-Button zu kaufen.
der Deutschen können sich vorstellen, Milch oder Butter per Dash-Button zu ordern.
wären der Idee nicht abgeneigt, den Teevorrat über einen Dash-Button aufzustocken.
würden eventuell Bier per Knopfdruck bestellen.
würden sich vielleicht Kondome liefern lassen.
der Befragten würden eventuell aufs Schleppen von säckeweise Hunde- und Katzenfutter verzichten und stattdessen auf einen Knopf drücken.
der befragten Personen können sich vorstellen, neuen Kaffee auf Knopfdruck zu kaufen.
würden sich eventuell rezeptfreie Medikamente über den Dash-Button bestellen.
der Umfrageteilnehmer könnten sich den Wasserkauf per Knopfdruck vorstellen.
wären theoretisch an der Lieferung von Seife auf Knopfdruck interessiert.
konnten sich bei keiner der angebotenen Antwortmöglichkeiten vorstellen, sich für das jeweilige Produkt einen Dash-Button zu kaufen.
würden eventuell Zahnpasta über einen Dash-Button bestellen.
wären theoretisch daran interessiert, Waschmittel über einen Dash-Button zu kaufen.
können sich vorstellen, Duschgel und Shampoo per Dash-Button zu ordern.
wären theoretisch an einem Klopapier-Dash-Button zuhause interessiert.
Doch mit Prime fesselt Amazon seine Kunden immer weiter an sich. Das Gesamtpaket aus schneller und günstigerer Lieferungen, Unterhaltungsprogramm und exklusiven Gadgets sorgen dafür, dass es sich für den Kunden nicht lohnt, zur Konkurrenz zu wechseln. Amazon Prime, sagt Experte Aufzug, sei als Kundenbindungsinstrument “konkurrenzlos”. „Neue Kunden zu akquirieren ist für jeden Online-Händler aufwendig. In den seltensten Fällen ist ein Kunde schon beim ersten Einkauf profitabel. Geld verdient man erst, wenn der Kunde ohne zusätzlichen Akquiseaufwand wiederkommt“, sagt Aufzug.
Allerdings gilt das zweifelsfrei nur für zahlende Kunden. Längst macht sich eine Angst breit unter den Konsumenten: Was geschieht mit denen, die die 49 Euro im Jahr nicht ausgeben wollen? Mit jedem Kunden, der wechselt, sinkt schließlich für Amazon der Anreiz, den Standardservice noch weiter zu verbessern. Im Gegenteil: Je deutlicher die Vorteile für die Prime-Kunden sind, umso wertvoller gilt das Abonnement.
So gibt es in Deutschland ganze Foren darüber, in der Nutzer über die Frage diskutieren, ob der Lieferschnelligkeit für die nicht zahlende Kundschaft sich verschlechtert hat. Eine Frage, die dahinter steht: Wenn die zahlende Kundschaft der König ist - sind die anderen dann Hofnarren?
Bisher jedoch scheint diese Frage noch nicht zu einem Problem zu werden. Der Datendienst Statista fragte bei Amazon-Kunden nach, warum sie nicht zu Prime wechseln wollen. 88 Prozent antworteten, dass der Standardservice ausreicht. Und immerhin 67 Prozent nannten die zu hohe Gebühr als Grund.