Amazon Was Buchläden für den Online-Riesen interessant macht

In einer Konferenz verplapperte sich der Chef eines großen Shopping-Mall-Betreibers: Amazon wolle bis zu 400 Buchläden eröffnen. Dann macht Sandeep Mathrani einen Rückzieher. Branchenkenner widersprechen ihm.

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Mathrani: „Amazon will eigene Geschäfte eröffnen, ihr Ziel sind, soweit ich es verstehen, 300 bis 400 Buchläden“. Quelle: REUTERS

Sandeep Mathrani weiß so viel über den Einzelhandel wie kaum sonst jemand in Amerika. Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt er sich mit Supermärkten, Elektrohäusern, Restaurants oder Modeketten zusammen, um Ladenkonzepte zu besprechen. Mit Erfolg: Seit fünf Jahren ist er Chef des amerikanischen Shopping-Mall-Riesen General Growth Property, davor arbeitete er im Vorstand von Vornado Realty Trust, der Nummer Eins der Branche.

Zum Job von Mathrani gehört es, früh zu wissen, wer welche Geschäfte aufmachen will. Sei es, dass Apple eigene Läden eröffnete oder Amazon mit seiner Tochter Zappos.com – die neben Schuhen auch Kleidung verkaufen – vor gut einem Jahr einen Laden in Las Vegas für ein paar Wochen ausprobierte. Umso interessanter war seine Bemerkung am vergangenen Dienstag: „Amazon will eigene Geschäfte eröffnen, ihr Ziel sind, soweit ich es verstehen, 300 bis 400 Buchläden“.

Das schlug ein wie eine Bombe, als das „Wall Street Journal“ berichtete. Der Kurs der US-Buchkette Barnes & Noble brach um mehr als sieben Prozent ein. Am folgenden Tag veröffentlichte das Unternehmen eine „Klarstellung zu Amazon“. Darin heißt es: „Die Aussage war nicht dazu gedacht, die Pläne von Amazon zu repräsentieren“.

Auf dem US-Börsensender CNBC rissen Studiogäste ihre Witzchen, Experten schüttelten den Kopf. Abgesehen davon, dass die „Klarstellung“ so oder so klar ist – Mathrani arbeitet als Vorstandsvorsitzender für General Growth und nicht als Pressesprecher für Amazon. Auch widerrief er mit der Mitteilung nicht den Inhalt seiner Bemerkung. „Die Sache muss stimmen, sonst würde er nicht das Statement abgeben müssen“, sagte ein Branchenberater sarkastisch, der sich seine Geschäfte mit General Growth nicht verderben und lieber ungenannt bleiben will. Nach seiner Ansicht hat Amazon Druck gemacht – was es nicht tun würde, wenn die Sache eine Ente wäre.

Keine Frage: Mathrani wollte für sein Unternehmen werben, mag er die Zahl der Läden auch zu hoch gehängt haben, wie ein Insider der „New York Times“ erzählte. Er steht unter Druck: Investoren sorgen sich um die Zukunft der Shopping Malls, wenn Kunden im Internet bestellen. An der Börse ist General Growth Properties so niedrig bewertet, dass Hauptaktionär Brookfield überlegt, das gesamte Unternehmen zu kaufen und privat zu führen. Mit 181 Einkaufszentren ist es einer der größten Anbieter in Amerika: Dazu gehören die größte Open-Air Shopping-Mall der Welt, das Ala Moana in Hawaii, der Water Tower in Chicago, eine Touristenattraktion mit seiner historischen Pumpenstation, oder mehrere Läden an der New Yorker Edeladresse Fifth Avenue.

Groß mag der Druck auf Mathrani sein, aber neu ist er auch nicht.

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„Wir reden über den Tod der Shopping Malls, solange ich mich erinnern kann“, sagte der Chef von General Growth. Das Gerede gleiche dem in den Achtziger Jahren, als der TV-Kanal „Home Shopping Network“ zu senden begann. Oder daran, als der Einkauf per Katalog in den Fünfziger oder Sechziger Jahren groß in Mode kam. „Trotzdem gibt es immer noch Shopping Malls“, sagte Mathrani.

Jetzt sollen die Online-Firmen ihm das Geschäft verderben. Dabei verhält es sich laut Mathrani genau umgekehrt: Die Dot-Coms drängen in die Shopping Malls. Das berichtete der Amerikaner wieder und wieder in seinen Telefonkonferenzen mit Analysten. So sprach er über Birchbox, Warby Parker oder Bonobos, alles in den USA rasch wachsende Firmen, die Brillen oder Herrenmode nur Online verkauften – bis sie umschwenkten. „Der Gründer Andy Dunn glaubte anfangs, er würde nie ein Geschäft eröffnen“, sagte Mathrani beispielsweise im Januar 2015. Heute ist Bonobos ein guter Kunde von General Growth.

Filialen helfen der Markenbildung von Online-Firmen, verringern die Umtauschrate, helfen Kunden zu erreichen, die lieber Anziehsachen vorher anfassen oder anprobieren wollen. „Es geht nicht darum, ob herkömmliche Geschäfte mit Online zurecht kommen“, sagte Ken Nisch, Chef der Einzelhandelsberatung JGA, „sondern ob Online-Firmen den Einzelhandel in Griff bekommen“.

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Im Branchenjargon nennt sich das „Omnichannel“ oder „Circular Commerce“ – die Kunden kommen nicht mehr wie früher zum Schauen und Shoppen. Sie informieren sich vorher im Internet, fragen ihre Freunde in den Sozialen Netzwerken, gehen gezielter in die Geschäfte – aber sie suchen laut Mathrani weiter das Einkaufserlebnis. „98 Prozent aller kurzlebigen Konsumgüter werden im Geschäft gekauft“, berichtete Mathrani. Zu der Kategorie – die sich im Englischen „Soft Goods“ nennt – gehören Accessoires, Kleidung oder Schuhe. „Amazons Vordringen in den physischen Einzelhandel ist unvermeidlich“, schrieb Edward Yruma, Analyst von Pacific Crest.

Abwegig sind die Pläne von Amazon also nicht, wie nicht nur Mathrani meint. Bei der Eröffnung des ersten Buchladens in Seattle vor wenigen Monaten sagte die Buchchefin von Amazon, Jennifer Cast: „Wenn der Laden gut geht und die Kunden es mögen, würden wir ihn gerne anderswo auch aufmachen.“

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