Amazon will Filialen eröffnen Wie sich Buchhändler gegen den Handelsriesen wehren

Amazon zieht es in die Städte. Dort eröffnet der Online-Händler nun sogar eigene Filialen. Wie sich deutsche Buchhändler und Verlage gegen den übermächtigen Konzern behaupten wollen.

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Im November 2015 öffnete Amazon in Seattle sein erstes stationäres Buchgeschäft. Quelle: dpa Picture-Alliance

Um die Zukunft zu sehen, musste Nina Hugendubel von München aus 8500 Kilometer reisen. Die Tochter der deutschen Buchhandelsdynastie betrat im äußersten Nordwesten der USA einen Buchladen. An dessen Fassade prangte ein Schriftzug, der im Handel als Synonym für Zukunft gilt: Amazon. Der Konzern eröffnete im vergangenen Herbst in Seattle seinen ersten echten Buchladen. Die rote Steinfassade verheißt Solidität, edle Holzdielen und dunkle Regale vermitteln den Eindruck von Beständigkeit und Tradition: „Aus Kundensicht ist das stimmig“, sagt Hugendubel, „das ist ein schöner Buchladen.“

Das sind Amazons nächste Projekte

Doch die Patina ist nur geliehen – hinter den Kulissen ist alles anders als im Traditionsgewerbe. Was es auf den knapp 500 Quadratmetern an Gedrucktem zu kaufen gibt, haben keineswegs Buchhändler ausgewählt. Stattdessen geben Amazon-Kunden durch ihre Käufe und Bewertungen vor, was im Regal landet. Der Laden ist eine begehbare Kundenempfehlung.

Damit dreht der Konzern ein altes Prinzip um. „Früher war der Kunde auf uns Buchhändler angewiesen“, sagt Heinrich Riethmüller. Er ist Inhaber des Familienunternehmens Osiander, der ältesten Buchhandlung Baden-Württembergs, und Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. „Was der Händler früher nicht im Laden bestellen konnte“, sagt Riethmüller, „das gab es nicht.“

Dem Buchhandel geht Ladenfläche verloren

Durch das Internet und vor allem durch Amazon hat sich das geändert. Der Konzern umgeht den Buchhandel und will Zwischenhändler ausschalten, wo immer möglich. In San Diego eröffnet bald der zweite Laden, die Branche rechnet mit Hunderten weiteren – angeblich auch jenseits der US-Grenzen.

Amazon trifft auf eine Handelslandschaft, die nach wilden Jahren, in denen sich Filialkonzerne wie Hugendubel, Weltbild, Thalia und Bertelsmann erst Revierkämpfe lieferten, dann Riesenläden eröffneten und wieder schlossen, und die nun in eine neue Phase tritt. Allein im vergangenen Jahr hat der Buchhandel 40.000 Quadratmeter Verkaufsfläche verloren, und etwa 150 Läden schlossen. In Düsseldorf traf es zuletzt gar das bundesweit renommierte Traditionsbuchhaus Stern-Verlag. Dort werden jetzt Teppiche verkauft.

Doch die Deutschen kaufen unverändert gerne Bücher, deshalb machen auch weiter Geschäfte auf. 60 will allein die Augsburger Weltbild-Gruppe wieder eröffnen. Hugendubel übernimmt sämtliche Karstadt-Buchhandlungen, auch Osiander wächst auf bald 37 Filialen.

Die beliebtesten Bücher seit Erfindung des Buchdrucks

So schälen sich mittlerweile die Konturen der neuen deutschen Buchlandschaft heraus: Die Filialisten haben dazugelernt. Sie arbeiten daran, alle Verkaufskanäle vom Laden übers Internet bis zum elektronischen Buch zu beherrschen. Wer nicht groß ist oder wachsen will, muss findig sein. Nischen besetzen. Und vor allem: seine Kunden zu Freunden machen.

Top-Lagen kosten die Buchhändler einen großen Teil ihres Umsatzes

Der Umbau der Branche lässt sich an kaum einem Ort so gut ablesen wie am Münchner Marienplatz. Fast vier Jahrzehnte stand hier gegenüber vom Rathaus eine Institution. Auf fast 4000 Quadratmetern und über sechs verschachtelte Stockwerke verteilt verkaufte der Hugendubel hier Bücher. Wohlgemerkt: „der“ Hugendubel, mit bestimmtem Artikel. Denn dies war das erste Buchkaufhaus der Republik, und es krempelte die Art und Weise um, wie Bücher verkauft wurden. Zuletzt war es mit einem geschätzten Umsatz von 25 Millionen Euro das größte des Kontinents. Und damit Vorbild für alle übrigen Großformate.

Doch das Haus war sichtbar in die Jahre gekommen, und Sanieren ist teuer. Der Vermieter wollte die Pacht erhöhen, es drohte das vollständige Aus. München protestierte, ehe am Ende eine halbwegs salomonische Lösung stand: Die Deutsche Telekom eröffnet unten einen Handyladen, darüber zieht auf zwei Etagen Hugendubel ein. Auf nur noch 1200 Quadratmetern.

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