Angriff aus dem Netz Warum Online-Händler plötzlich Filialen eröffnen

Mister Spex Essen Quelle: Presse

Während Einzelhändler das große Shop-Sterben fürchten, kündigt der Online-Brillenhändler Mister Spex den Aufbau von Dutzenden Filialen an. Was dahinter steckt.

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Als erstes muss Cornelia Girg ihre E-Mailadresse verraten, nachdem sie sich für zwei Brillen von Mister Spex entschieden hat. Eigentlich ganz normal bei einem Onlinehändler: Kunden müssen sich registrieren und können dann digital einkaufen. Doch Girg sitzt nicht am PC. Sie steht in einem hell ausgeleuchteten Laden mit viel Holz und betrachtet eine gold-gelbe Sonnenbrille. Das Tippen übernimmt Rebecka Guna, Verkäuferin in der Essener Filiale des Brillen-Onlinehändlers, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass Frau Girg sich danach jederzeit einloggen kann.

Online- und Offlinewelt vermischen sich. Glaubt man Mister Spex-Gründer und Geschäftsführer Dirk Graber, stehen wir noch ganz am Anfang.

Onlinehändler Mister Spex, der 2017 eigenen Angaben zufolge mehr als 100 Millionen Euro Umsatz gemacht hat, wagt den Weg in die Innenstädte. Mittlerweile gibt es zehn Filialen. „Wir können uns langfristig durchaus eine Zahl im dreistelligen Bereich vorstellen“, sagt er. Konkrete Pläne gibt es dazu noch nicht. Doch die unternehmerische Entscheidung ist längst gefallen: Der Aufbau von physischen Shops in City-Lagen ist ausgemachte Sache.

Damit ist Mister Spex Teil einer Entwicklung, die ganze Branchen fundamental verändern könnte. Dass sich Onlineshops in die analoge Welt wagen, sei „ein größerer Trend“, sagt Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung des IFH Köln, einem Forschungszentrum für Handel und E-Commerce. „Die Denke der Onlinehändler wird den Einzelhandel komplett umkrempeln.” Stöhnen Ladenbesitzer bereits jetzt über hohe Mieten und ausbleibende Kundschaft, müssen sie sich nun auch für den Angriff der jungen Digitalen wappnen.

Lebensmittelhersteller Mymuesli, die Technikhändler Cyberport und Notebooksbilliger.de oder etwa der Modehändler Edited haben es vorgemacht und sich längst auch offline ihren Platz gesichert. Online-Riese Amazon testet seit 2016 mit Amazon Go in Seattle einen Supermarkt, der ohne Registrierkassen und Personal auskommen will. Weitere Standorte sollen folgen.

Was die jungen Digitalen eint: Sie verfolgen ein ganz anderes Ladenkonzept als die alteingesessenen Einzelhändler. Einkaufen soll bei ihnen zum Erlebnis werden. „Hier geht es um die emotionale Erfahrung mit der Marke“, erklärt Handelsexpertin Stüber. Im Laden werde probiert, angefasst und getestet – eben alles, was online nicht geht.

Die Läden sind wie ein Ausstellungsraum, der zugleich als Wohnzimmer dient. Alles ist hier hipper, entspannter. Bei Getränken, Loungemusik und bequemen Sofas lassen sich die Mitarbeiter gerne auf ein Schwätzchen über neueste Trends ein. „Wenn es den Kunden hier gefallen hat, können sie ihr Feedback bei Facebook posten“, erzählt Sven Roß, Storemanager der Mister-Spex-Filiale in Essen.

In der Auslage sind nur ausgewählte Teile und nicht das komplette Sortiment zu finden. Der Rest lässt sich schließlich schnell auf dem Tablet zeigen und bei Wunsch bestellen – in die Filiale vor Ort oder direkt nach Hause.

Was die Kunden nicht sehen: Im Hintergrund sitzt ein Händler mit viel technischem Know-how in Sachen Marketing, Logistik und Kundenbindung.

Cornelia Girg probiert sich durch die Regale, schaut immer wieder in den Spiegel. „Die hier?“, fragt sie ihren 23-jährigen Sohn Leon. Er senkt den Kopf, nickt zögernd. Zusammen mit Vater Gerhard haben es sich die Männer auf dem grünen Sofa im Laden bequem gemacht, während die 63-Jährige hinter ihnen die Gestelle mustert. Die Familie kommt aus Frankfurt und macht Urlaub im Ruhrgebiet. Bei Mister Spex sind die Girgs nur zufällig vorbeigekommen. „So spontan wäre das beim normalen Optiker nicht möglich“, sagt Cornelia zu ihrem Mann. Er nickt. „Woanders musst du erst einen Termin machen“, erwidert der 65-Jährige. Und die Brille kann sie in zwei Wochen in der Mister Spex Filiale in Sulzbach nahe Frankfurt abholen.

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