Fast drei Stunden steht Wirtschaftsprüfer A. Rede und Antwort. Er sowie sein früherer Kollege Professor M. gehören zu den Angeklagten im größten Wirtschaftsstrafprozess des Jahres: dem Großverfahren gegen Drogeriepleitier Anton Schlecker und seine Familie vor dem Landgericht Stuttgart.
Die Schleckers haben sich in gewohnter Ordnung platziert, auch wenn diesmal - am dritten Verhandlungstag - im großen Saal des Landgerichts verhandelt wird. Vorn, in der Mitte des Saals sitzen die Richter der Kammer, hinter ihnen stehen Aktenordner, darüber prangt das Landeswappen als schwarze Stahlskulptur. Anton Schlecker, flankiert von seinem Verteidiger Norbert Scharf, sitzt nur wenige Meter vom Richtertisch entfernt. Dahinter haben sich seine Frau Christa, und seine beiden Kinder Lars und Meike Schlecker mit ihren Anwälten postiert. Vom Zuschauerbereich trennt sie nur ein Geländer in Hüfthöhe, „Vorsicht Stufe“ warnt eine Plakette auf dem dunkelbraunen Holz.
Tatsächlich ist die Gefahr des Strauchelns groß - nicht nur für den Schlecker-Clan. Auch für die beiden Prüfer steht viel auf dem Spiel. Sie haben den Jahresabschluss des Konzerns vor der Pleite 2012 geprüft und - laut Anklage - dabei falsche Bilanzierungen testiert und gedeckt.
Stationen der Schlecker-Insolvenz
Schlecker meldet Insolvenz an.
Das Verfahren wird eröffnet. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hofft noch auf die Rettung von Teilen der Drogeriekette.
Es wird bekannt, dass Anton Schlecker sein Privathaus im Wert von zwei Millionen Euro vor der Insolvenz an seine Frau übertragen hat. Ein zweites Grundstück soll sein Sohn bekommen haben.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott gegen Anton Schlecker ein.
Die Schlecker-Gläubiger fordern mehr als eine Milliarde Euro.
Der österreichische Investor Rudolf Haberleitner will 2013 bis zu 600 ehemalige Schlecker-Filialen mit dem Konzept eines modernen Tante-Emma-Ladens wiederbeleben.
Gut ein Jahr nach der Pleite zahlt die Familie Schlecker dem Insolvenzverwalter 10,1 Millionen Euro. Hintergrund ist der Streit um übertragenes Vermögen aus dem Unternehmen.
Haberleitner will einstige Schlecker-Filialen unter dem Namen Dayli wiederbeleben und Testläden in Deutschland eröffnen.
Noch vor dem geplanten Deutschland-Start ist der Schlecker-Nachfolger Dayli pleite.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage gegen Anton Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts.
Der Insolvenzverwalter reicht Klage gegen ehemalige Schlecker-Lieferanten ein. Sie sollen Schlecker wegen illegaler Preisabsprachen um viel Geld gebracht haben. Geiwitz will Schadenersatz in Millionenhöhe.
Es wird bekannt, dass das Landgericht die Anklage zulassen will. Der Schlecker-Prozess soll im März 2017 beginnen.
Der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart beginnt.
Staatsanwalt Thomas Böttger fordert für Anton Schlecker drei Jahre Haft. Lars Schlecker soll nach dem Willen der Staatsanwälte zwei Jahre und zehn Monate in Haft, Meike zwei Jahre und acht Monate. Die Verteidigung hält die Forderungen für „überzogen“, nennt aber selbst kein empfohlenes Strafmaß.
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart ist am Ende doch eine Überraschung: Anton Schlecker muss nicht ins Gefängnis. Das Gericht verurteilte den 73-Jährigen wegen vorsätzlichen Bankrotts zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 54.000 Euro. Schleckers Kinder Lars (46) und Meike (44) wurden dagegen zu Haftstrafen von zwei Jahren und acht Monaten beziehunsgsweise zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, Untreue und Beihilfe zum Bankrott.
Was zunächst nach einem klaren Vorwurf klingt, erweist sich vor Gericht indes als Ausflug in die Details der Bilanzierungspraxis. Durften stille Beteiligungen der beiden Kinder Lars und Meike Schlecker als Eigenkapital betrachtet werden? Hätte ein Darlehen einer familieneigenen Gesellschaft im Zahlenwerk anders abgebildet werden müssen? Wie wurden die Zahlungen im Schlecker-Reich gebucht?
Zunächst aufgeregt, dann sachlich und nüchtern trägt Wirtschaftsprüfer A. seine Sicht der Dinge vor. Eine über ein Darlehen finanzierte Privateinlage von Schlecker im Jahr 2009 sei demnach zu Recht als Eigenkapital ausgewiesen worden. Schlecker hatte damals einen Kredit von rund 50 Millionen Euro von der LDG, der Logistikfirma seiner Kinder Lars und Meike, in das laut Anklage schon 2009 zahlungsunfähige Unternehmen als Einlage verbucht, um Verluste auszugleichen. Nach Darstellung des Prüfers war das bilanzrechtlich korrekt.
Doch der Vorsitzende Richter Roderich Martis gibt sich damit nicht zufrieden, fragt immer wieder beharrlich nach.
Erst ein Handybimmeln unterbricht die Bilanzexegese. Ein alter Mann in der dritten Reihe des Zuschauerbereichs nestelt ein Uralt-Telefon aus seinem dunkelblauen Parker. Es klingelt weiter. Eine Beamtin in Uniform tritt an ihn heran, während der Senior hektisch auf das Gerät eintippt. Inzwischen wird auch der Richter fuchsig. „An dieser Stelle weise ich daraufhin, dass wir demnächst die Personalien aufnehmen und Ordnungsgelder verhängen werden.“ Danach ist Ruhe - und die Befragung geht weiter.
Punktgewinn für die Schlecker-Verteidigung?
Noch im August 2011 hätte Anton Schlecker während eines Gesprächs im Besprechungsraum der siebten Etage der Konzernzentrale beteuert, dass die Liquidität des Konzerns jederzeit gesichert sei. „Wir wollten die Prüfungshandlungen abschließen“, erinnert sich der Prüfer, daher habe er mit Schlecker über die künftige Entwicklung und den Fortbestand des Unternehmens gesprochen. Anschließend hätten die Wirtschaftsprüfer ihr Testat erteilt. Beide Prüfer beschreiben ihr Vorgehen nach wie vor als „korrekt“.
Die Schlecker-Familie verfolgt die Aussagen der beiden Prüfer derweil ohne große Regung. Nur ihre Anwälte nicken teils zustimmend, als Professor M. seine Argumente vorträgt und dabei geballtes Bilanz-Know-how aufblitzt. Selbst die Ankläger beschränken ihre Nachfragen auf das Nötigste. Ein Punktgewinn für die Verteidigung?
Es wirkt fast so. Selbst der Vorsitzende Richter merkt gegen Ende des dritten Verhandlungstages an, dass sich aktuell nicht unbedingt aufdrängen würde, dass Schlecker über die Tiefen der Nachrangigkeit von Darlehen informiert gewesen sein muss. Ist das ein erster Seitenhieb in Richtung Staatsanwaltschaft?
Klar ist, der Schlecker Prozess nimmt Fahrt auf.
Die Schlecker-Insolvenz in Zahlen
... Menschen kostete die Schlecker-Pleite den Job
... Mitarbeiter hatte Schlecker zu Bestzeiten
... Schlecker-Märkte gab es vor der Insolvenz im In- und Ausland
... Euro zahlte ein Hilfsfonds an Ex-Mitarbeiter
... Milliarde Euro forderten Gläubiger nach der Pleite
... Millionen Euro zahlte Anton Schleckers Familie an die Insolvenzverwaltung