Anton Schlecker Ein Meister der Verdrängung

Ein Ex-Verwaltungsdirektor soll Anton Schlecker jeden Montag die Krisenzahlen vorgelegt haben. Der Zeuge habe immer wieder darauf hingewiesen, dass Zahlungsunfähigkeit drohe. Doch Schleckers Optimismus schien stärker.

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Die Familie Schlecker steht wegen des Vorwurfs des vorsätzlichen Bankrotts der Drogeriemarktkette Schlecker und möglicher Beihilfe vor Gericht. Quelle: dpa

Stuttgart Nach dem siebten Prozesstag vor dem Stuttgarter Landgericht scheint klar: Anton Schlecker muss genau gewusst haben, wie schlecht es um sein Unternehmen stand. Im Bankrottprozess gegen die Drogisten-Familie berichtete ein ehemaliger Verwaltungsdirektor und Controller als Zeuge von Sitzungen zur aktuellen Geschäftslage mit Anton Schlecker jeden Montag von 7.30 bis 9.00 Uhr. „Von 2007 bis 2011 waren die Zahlen immer unter Plan“, sagte der Zeuge, der bis 2010 Mitglied der Geschäftsleitung war.

Von 2002 bis 2010 sei der Umsatz wegen der wachsenden Konkurrenz anderer Drogeriemärkte, aber auch von Discountern und Supermärkten, um ein Drittel gesunken. Die Zahl der Filialen sollte von 2008 bis 2011 auf 5500 nahezu halbiert werden. Sparmaßnahmen wie Filialschließungen hätten aber keine Wirkungen auf die Ertragslage mehr gezeigt.

Schlecker hört seinem ehemaligen engen Mitarbeiter aufmerksam zu, verbirgt Regungen so gut wie möglich. Bei den frühmorgendlichen Treffen kamen alle Zahlen auf den Tisch: Die steigenden Verluste, das schmelzende Eigenkapital, die von den Banken in der Finanzkrise gestrichenen Kreditlinien, die gekürzten Limits der Lieferanten.

Aus Protokollen, die Richter Roderich Mattis an die Wand des Landgerichts wirft, geht hervor: Schlecker wusste genau, dass er bei anhaltenden Verlusten von den Banken kein neues Geld mehr bekommen würde. Er hing immer mehr vom Wohlwollen des Einkaufsverbunds Markant ab, über den Schlecker 90 Prozent seiner Waren bezog. In den guten Jahren gewährte Markant immer 75 Millionen Euro Kreditlinie. 2010 wurde die Linie auf 25 Millionen gekürzt.

Der Zeuge gibt mit seinen Aussagen immer wieder Einblick in das Innenleben des verschlossenen Handelsriesen. Als der Zeuge Anton Schlecker bei einem Treffen bereits Anfang September 2008 auf die sich abzeichnende Misere hinweist, soll der Patriarch gesagt haben: „Wenn die Zahlen stimmen, dann gehört das Management entlassen.“ Über Nacht habe er sich dann wieder beruhigt. Und am nächsten Tag habe er die Probleme heruntergespielt und kleinere Maßnahmen angekündigt. Aber die Zahlen seien ja immer schlechter geworden.

Allein im Jahr 2008 machte Schlecker 90 Millionen Euro Verlust. „Wenn sie 200 Millionen Euro auf dem Konto haben, können sie ausrechnen, dass das noch gut zwei Jahre reicht.“ 2010 habe das operative Minus bei 120 Millionen Euro, 2011 bei mehr als 200 Millionen gelegen. „Ich bin ein Zahlenmensch“, sagte er. Deshalb sei er möglicherweise pessimistischer als Schlecker selbst. „Für ihn war völlig unvorstellbar, dass das irgendwann zu Ende geht.“


„Er hat einfach die Situation verdrängt“

Der Zeuge habe Schlecker immer wieder darauf hingewiesen, dass Zahlungsunfähigkeit drohe. „Wollen Sie damit sagen, dass wir am Jahresende pleite sind?“ habe Schlecker gefragt und er habe „Ja“ gesagt. Schlecker habe die Fakten gekannt, sei aber immer optimistisch gewesen, schwäbelt der heute 56-jährige Schlecker-Manager, der seit 1981 im Unternehmen war.

Der Verwaltungsdirektor räumte ein, dass Schleckers Optimismus auch durch die eingeschaltete Unternehmensberatung Wieselhuber befeuert worden sei. Sie hatte ein Sanierungsprogramm mit Schließung von Filialen und Investitionen in größere Filialen ausgearbeitet, das nach Einschätzung des Zeugen auf „viel zu positiven Prognosen“ basierte. „Der Erfolg der neuen Filialen hätte nie ausgereicht, um die Ergebniskrise zu bewältigen“, betonte der Verwaltungsdirektor. Zudem seien die für das Programm angesetzten Mittel von 230 Millionen Euro überhaupt nicht zur Verfügung gestanden.

Schleckers Optimismus führt sogar zu einer bizarren Wette: Er rechnete fest damit, dass sich die Lage im Jahresverlauf 2009 verbessern würde und wollte ein Monatsgehalt des Zeugen darauf wetten. „Ich habe die Wette prompt angenommen, was ihn dann doch etwas irritierte“, berichtet der Zeuge.

Immer, wenn es wichtig wird, stellt Schleckers Anwalt Norbert Scharf Zwischenfragen: „War Schlecker Ende 2010 überschuldet“? „Nein“, muss der Zeuge zugeben. Seine Befürchtungen traten erst ein Jahr später ein. Scharf will damit zeigen, dass die Lage eben nicht so aussichtslos, wie vom Zeugen dargestellt, gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass Schlecker schon Ende 2009 hätte Insolvenz anmelden müssen. Das versucht Scharf mit seinen Zwischenfragen zu entkräften. „Die Situation hat sich dann eigentlich im Jahr 2011 dramatisch verschärft“, sagt der Zeuge.

Das Gericht versucht aber zu klären, ob Schlecker wie von der Staatsanwaltschaft behauptet, viel früher als im Januar 2012 hätte Insolvenz anmelden müssen und ob Schlecker 25 Millionen Euro vor dem Zugriff der Gläubiger beiseite geschafft hat. Die Verteidigung versucht den Vorwurf der Insolvenzverschleppung dadurch zu entkräften, dass Schlecker immer geglaubt habe, es zu schaffen und folglich nichts verschleppt habe. Diesen scheinbar grenzenlosen Optimismus haben schon einige Zeugen im Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht bestätigt. Auch weigerte sich Schlecker, den Beschäftigten das Weihnachtsgeld für 2011 zu kürzen – das war kurz vor der Insolvenz.

Aber was sagte doch neulich ein erfahrener Industriekapitän auf Schlecker angesprochen: „Ich kenne keinen vernünftigen Unternehmer, der nicht genau seine Zahlen kennt und weiß, was in seinem Laden los ist. Bei Schlecker geht es seit heute nicht mehr um das Wissen, ob er die Zahlen genau kannte, sondern welche Schlüsse er daraus gezogen hat.“ Wie sagte der Zeuge so schön: „Er hat einfach die Situation verdrängt.“ Vernünftig war das nicht. Ob es strafbar war, wird sich noch zeigen.

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