Anton Schlecker Wie der Drogeriekönig Deutschland eroberte

Anton Schlecker schuf ein Imperium - und führte es in den Abgrund. Er zog selbst dann die Reißleine nicht, als ihm alle dazu rieten. Wer seinen Starrsinn verstehen will, muss den Aufstieg der Drogeriemärkte verstehen.

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Schleckerfiliale 1994, Anton Schlecker 1988 und 2017 Quelle: dpa Picture-Alliance

„Schlecker eröffnet Drogerie-Discount“, notiert der Teckbote im Frühjahr 1975 und lädt gleich zur Eröffnungsfeier nach Kirchheim unter Teck ein. Der berichtende Lokaljournalist wird nicht geahnt haben, dass er die Geburt eines Imperiums beschreibt. Ein Drogerie-Reich, das auf seinem Zenit weite Teile Europas umfasst. Ein Reich, das wie viele andere vor ihm, am eigenen Übermaß zu Grunde gehen sollte.

42 Jahre später steht der einstige Imperator samt Familie am Montag vor Gericht. Anton Schlecker ist unter anderem wegen Insolvenzverschleppung und Bankrott angeklagt. Ihm droht im schlimmsten Fall jahrelange Haft. Doch seine Haltung ist klar: Er weist den Vorwurf von sich, die drohende Milliardenpleite erwartet und vorher Geld beiseitegeschafft zu haben. Die Insolvenz sei für seinen Mandanten „schlicht unvorstellbar“ gewesen, erklärte Schleckers Anwalt schon zu Prozessbeginn. „Für mich gab es kein unternehmerisches Scheitern. Ich war sehr erfolgsverwöhnt“, sagte Schlecker am Montag selbst vor Gericht. Er sei bis zuletzt davon überzeugt gewesen, das Unternehmen fortführen zu können.

Doch fest steht: Anton Schlecker selbst hat es in den Niedergang geführt. Er hat die Gefahr zu spät kommen sehen, obwohl andere ihn warnten. Wer diesen Starrsinn verstehen will, muss sich anschauen, wie das Schleckerreich seit der Mitte der 70er-Jahre wuchs.

 

Schlecker, Sohn aus wohlhabendem Haus, hatte den Beruf seines Vaters ergriffen: Gerade 21 Jahre alt, wurde er 1965 der jüngste Metzgermeister Baden-Württembergs und heuerte im familieneigenen Unternehmen an. Gemeinsam erweiterten Vater und Sohn den Betrieb um mehrere Filialen im Umland und etablierten ein Selbstbedienungskonzept. Eine Schlüsselerfahrung, die Schlecker später nutzen sollte.

Mit Plock-, Jagd- und Leberwurst, lernt der junge Anton, ließ sich gutes Geld verdienen. Mit Shampoo, Seife und Kondomen, sagt sich der erwachsene Schlecker später, ist der große Reibach zu machen. Er ist nicht der Erste mit dieser Idee.

Bereits am 1972 hatte Dirk Roßmann in Hannover den ersten Selbstbedienungsdrogeriemarkt Deutschlands eröffnet. Ein Jahr später später zog Götz Werner in Karlsruhe mit der ersten Filiale von "dm - drogeriemarkt" nach. Auslöser für den Gründerboom: 1974 fällt die Preisbindung im Drogeriegeschäft.

Die Schlecker-Insolvenz in Zahlen

In den Wirtschaftswunderjahren hatten die Hersteller festgelegt, für welchen Preis ihre Pulver und Salben in die Regale kommen. Das war praktisch für die Produzenten und auskömmlich für die Verkäufer - sie mussten sich keinem Preiskampf stellen. Die alteingesessenen Drogisten wurden in dieser Situation erst zufrieden, dann bequem, dann träge.

Nun mischen die jungen Wilden nach Aldi-Art das Geschäft auf. Statt auf persönliche Beratung zu setzen, lassen sie die Kunden selbst durch die Gänge stromern. Während die Fläche ihrer Filialen wächst, schrumpft das Sortiment. Aus tausenden Artikeln werden wenige hundert.

 

"Das war richtig billig!"

 

Werner, Roßmann und Schlecker glauben, dass die Menschen zu ihnen strömen, wenn der Preis stimmt. Einsparungen geben sie an ihre Kunden weiter. „Damals hat eine Dose Elnett-Haarspray – gebundener Preis – 9,90 DM gekostet. Wir haben sie für 6,98 DM verkauft“, erinnert sich dm-Gründer Werner in seiner Autobiografie. „Das war nicht nur ein paar Pfennige billiger, das war richtig billig!“

Der Niedrigpreis zieht. Die neuen Drogisten beginnen ihr Geschäft auszuweiten. Schleckers Stunde schlägt. Er treibt die Aldi-Masche auf die Spitze, will der Billigste sein, immer. Die Ausgaben seiner Filialen reduziert er auf ein Minimum: spartanische Ausstattung für die Filialen, karge Löhne für die Mitarbeiter. Das Prinzip Schlecker ist geboren.

Es ist nicht nur mit seinem Namen, sondern tatsächlich mit seiner physischen Person verknüpft. Schlecker führt sein Unternehmen als eingetragener Kaufmann, kurz e.K. Eigentlich eine Rechtsform für Kleinsthändler. Die Vorteile: Er kann in seinem Unternehmen schalten und walten wie er will. Er ist niemandem Rechenschaft schuldig, muss nicht mal seine Geschäftszahlen veröffentlichen. Die Kehrseite wird Schlecker später zu spüren bekommen: Er hat nicht nur den Erfolg für sich, sondern auch die Niederlage. Schlecker haftet mit seinem gesamten Privatvermögen.

Stationen der Schlecker-Insolvenz

Seine Billigdrogerien rollt Schlecker über das Land aus. Sein Kalkül: Wer die Marktmacht hat, kann bei den Herstellern bessere Preise aushandeln. Ein Plan, der aufgeht. Die Hersteller geben ihm Nachlass und vor allem lange Zahlungsfristen: Sie gewähren Schlecker indirekten Kredit, er muss teils erst viele Monate nach Erhalt der Waren zahlen. So finanzieren sie seine Expansion mit.

Was Schlecker betrieb, ist heute als Schneeballsystem verschrien. Zunächst wirkt es wie eine nicht aufzuhaltende Lawine in schleckerblau. 1977 gibt es bereits 100 Schlecker-Märkte. 1984 eröffnet die 1000. Filiale, 1995 die 5000. Spätestens seit 1994 ist Schlecker unangefochtener Marktführer. Der Emporkömmling nutzt die Schwäche der Alteingesessenen gnadenlos. „Für die Startphase von Schlecker gilt, dass die lokalen Konkurrenten regelrecht aus dem Markt „gekegelt“ wurden“, schreibt Wirtschaftswissenschaftler Roland Alter in seinem Buch „Schlecker, oder: Geiz ist dumm“. Rund 17.000 kleine Drogeriefachmärkte gibt es Anfang der 70er Jahre in Deutschland. Die allermeisten werden in den kommenden 20 Jahren aufgeben. Schlecker lernt: Wer sich gegen Widerstände durchsetzt, gewinnt.

 

 

Stürmisches Wachstum begleitet das Unternehmen fast bis zum Schluss - auch im Ausland. Ende der 80er baut er ein Filialnetz Österreich auf, er dringt nach Spanien, die Niederlande und Frankreich vor. Expandiert selbst in den 2000er Jahren noch in Süd- und Osteuropa.

Auch Rossmann und dm sind billiger, auch sie expandieren, breiten sich in Deutschland aus. Doch statt in jedes Dorf zu dringen, wollen sie in die 1A-Lagen in den Einkaufsstraßen.

Schlecker stört das nicht. Vieles stört ihn nicht. Vom Gericht wird er 1998 wegen Lohndumpings verurteilt, von Arbeitnehmervertretern angefeindet, von den Medien gescholten. Als Geizkragen und kontrollsüchtig ist er landauf, landab verschrien.

All das wurmt den Drogeriekönig nicht. Anton Schlecker ist schließlich ein e.K. und ein erfolgreicher noch dazu. 1999, wenige Monate nach dem Lohndumping-Urteil, feiert der Konzern sein Rekordjahr: 300 Millionen Euro Gewinn. Schlecker hat unternehmerischen Erfolg, weil er nicht auf die anderen hört.

"Willst du den Ruin eines Unternehmens, gib ihm 30 Jahre Erfolg"

Doch der schon immer verschlossene Unternehmer zieht sich mit zunehmendem Erfolg immer weiter zurück. Einschneidend muss die Entführung seiner Kinder 1987 gewesen sein. Danach verschanzen sich die Schleckers hinter den hohen Mauern ihrer Villa Ehingen oder im Büroturm der Unternehmenszentrale. Dort regiert Schlecker von der siebten Etage aus durch.

Kaum eine Entscheidung, die er nicht selbst trifft, kaum ein Schriftstück, das nicht über seinen Schreibtisch geht. Ein wahrer Aktenfresser sei er, raunen die Mitarbeiter. Die Rolle des sparsamen und geheimniskrämerischen e.K. hat Schlecker verinnerlicht. „Die Verwaltung war ungefähr nur ein Drittel so groß wie vergleichbare Unternehmen“, wird Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz später konstatieren.

Neben sich duldet Anton Schlecker nur seine Frau Christa, die Kinder Lars und Meike und wenige alte Weggefährten. Die Manager, die es gibt, tragen Titel, haben in der Realität aber wenig zu melden. Warnende Worte, dass der Kurs dringend korrigiert werden muss, verhallen lange. „Schlecker war – wie viele andere Patriarchen in der deutschen Wirtschaft – sicherlich beratungsresistent und hat zu spät auf die Krise seines Unternehmens reagiert“, sagt Geiwitz im Interview mit der WirtschaftsWoche.

Dabei zeigen sich die Probleme spätestens 2000. Unter den Schleckerfilialen sind Tausende, die sich nicht rechnen. Aufs ganze Unternehmen gerechnet, ist der Umsatz je Quadratmeter im Vergleich zur Konkurrenz verschwindend gering. „Schlecker ist das unproduktivste Unternehmen der Branche!“, ätzt Konkurrent und dm-Chef Werner einmal.

Die Kunden beginnen einen Bogen um die Filialen zu machen. Zu schlecht ist das Image, zu nah die Konkurrenz. Zumal nur noch die flackernden Neonröhren billig wirken. Immer häufiger kann Schlecker die Preise der Konkurrenz nicht mehr unterbieten.

Schleckers Stärken werden zu seinen Schwächen: Die Billigmasche funktioniert nicht mehr, sein Einzelgängertum macht das Drogeriereich unkontrollierbar und die Abhängigkeit von den Lieferanten, die Schlecker zu kontrollieren glaubte, rächt sich. Sie beginnen Schlecker den Hahn zuzudrehen und bessere Konditionen zu fordern. Die Folgen: Der Umsatz stagniert, das Ergebnis dreht rasant ins Minus. 

Die Familie auf der Anklagebank
Anton SchleckerDer 72-Jährige ist der große Unbekannte. Selbst örtliche Politiker und Wirtschaftsvertreter haben kaum Kontakt zu ihm. Nach der Pleite soll sich Anton Schlecker auch von Vertrauten zurückgezogen haben. Der gelernte Metzgermeister eröffnete 1975 den ersten Schlecker-Markt. Bereits zwei Jahre später betrieb er schon mehr als 100 Filialen. Er baute ein Imperium auf und beschäftigte in Glanzzeiten mehr als 55.000 Menschen. Konkurrent Dirk Roßmann, der Schlecker und dessen Frau seit Jahren kennt, sagte jüngst in einem Beitrag des SWR: „Fleißig waren die beiden, unglaublich.“ Außerdem seien sie hilfsbereit und großzügig gegenüber Freunden. Im Geschäft hingegen achtet Schlecker auf jeden Cent. Er und seine Frau wurden in den 1990er Jahren zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von einer Million Euro verurteilt, weil sie Hunderte Mitarbeiter jahrelang unter Tarif bezahlt hatten. Quelle: dpa
Christa-Schlecker Quelle: dpa
Lars Schlecker Quelle: dpa
Die-Geschwister-Schlecker Quelle: dpa
Meike-Schlecker Quelle: dpa

"Willst du den sicheren Ruin eines Unternehmens", sagte Schlecker 2005 fast schon prophetisch einem Journalisten der Zeit, "gib ihm 30 Jahre Erfolg". Willst du einen blinden Unternehmer, blende ihn 30 Jahre mit Erfolg, hätte er wohl auch sagen können.

Recherchen der WirtschaftsWoche zeigen, wie die Kernschmelze im Unternehmen ablief. Es sei "fünf vor 12" wetterte Anton Schlecker etwa im Juli 2009 vor seinen Managern. Schließlich holt er sich Berater ins Haus. Der stolze e.K. gewährt den  verhassten Powerpoint-Strategen Einblick in sein Zahlenreich. Doch die Kurskorrekturen kommen zu spät und sind zu zaghaft. Die Kinder Meike und Lars, die in den letzten Monaten den Alten zumindest offiziell an der Spitze ablösen, können nichts mehr bewirken.

Dass Schlecker lange glaubte, nur er selbst könne sein Lebenswerk retten, ist höchst plausibel. Ob er es tatsächlich bis zum bitteren Ende gedacht hat, muss nun das Gericht entscheiden. Einfach wird das kaum. Denn unter anderem steckte Schlecker laut seinen Verteidigern auch dann noch Millionen des eigenen Geldes in das Unternehmen, als laut Staatsanwaltschaft schon die Zahlungsunfähigkeit drohte. Dieser Vorgang, den die WirtschaftsWoche bereits im vergangenen Jahr thematisierte, wirft Fragen auf.



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