Arndt Geiwitz + Werner Schneider "Schlecker war mit unseren Mitteln nicht zu retten"

Die Insolvenzverwalter von Schlecker und Ihr Platz ziehen Bilanz: Das Arbeitsrecht hat den Verkauf vereitelt, die Gläubiger müssen ihre Forderungen größtenteils abschreiben. Auch Millionenansprüche gegen den Schlecker-Clan ändern daran wenig.

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Arndt Geiwitz und Werner Schneider Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Geiwitz, vor wenigen Monaten haben Sie gesagt: „Die Marke Schlecker wird nicht spurlos verschwinden.“ Inzwischen haben die Läden dichtgemacht, der Konzern wird abgewickelt. Was bleibt von der einst größten Drogeriekette Europas?

Geiwitz: Es ist leider so, dass der Name Schlecker keine große Bedeutung mehr haben wird. Das bedaure ich. Immerhin wird aber ein Teil der Schlecker-Eigenmarken weiter geführt. So gibt es für die Zigaretten-Eigenmarke Commodore bereits einen Käufer aus der Tabakbranche. Auch die spanischen Läden werden nach derzeitigem Stand weiter unter dem Namen Schlecker am Markt bleiben.

Neuer Eigentümer für Schlecker Spain
Schlecker Quelle: dapd
ÖsterreichDie Österreich-Tochter der insolventen Drogeriemarktkette Schlecker bekommt einem Zeitungsbericht zufolge einen neuen Eigentümer. Der in Wien ansässige Fonds TAP 09 übernehme rund 1340 Filialen der Kette, berichtete die österreichische Tageszeitung „Der Standard“. Das Unternehmen werde mit allen rund 5000 Mitarbeitern weitergeführt. Es werde weder Kündigungen noch Filialschließungen geben. Der neue Eigentümer wolle Schlecker umbenennen und restrukturieren. Die Gruppe solle ein „Rundum-Nahversorger“ werden, berichtete das Blatt. An der Österreich-Tochter hängt auch das Schlecker-Geschäft in Luxemburg, Belgien, Polen und Teilen von Italien. Der Fonds TAP 09 hat sich nach Angaben auf seiner Homepage auf Übernahmen von Unternehmen „mit Substanz und Restrukturierungsbedarf“ in Europa mit einem Umsatz von bis zu 500 Millionen Euro spezialisiert. TAP 09 war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Quelle: dpa
PolenDie knapp 170 Filialen in Polen stehen unmittelbar vor dem Verkauf. Es gebe weit fortgeschrittene Verhandlungen mit dem polnischen Hygieneartikel-Hersteller Hygienika, bestätigte ein Sprecher des Insolvenzverwalters. Die Schlecker-Filialen in Polen mit ihren knapp 700 Mitarbeitern werden als Niederlassungen der österreichischen Schlecker-Tochter geführt, für die nun ein neuer Investor gefunden sein soll. In Polen liefen die Geschäfte zuletzt stabil. Der Brutto-Umsatz wuchs zwischen 2010 und 2011 von 82 auf 89 Millionen Euro - bei einer gleichbleibenden Filialanzahl. Erst vor acht Jahren hat Schlecker seine Expansion nach Osteuropa gestartet. Quelle: dpa
FrankreichBereits verkauft sind die französischen Schlecker-Filialen. Die Supermarktkette Systéme U hat die Tochter SNC erworben. Zu ihr zählen 139 Filialen mit 750 Mitarbeitern. Zuletzt machten die französischen Schlecker-Märkte einen Umsatz von knapp 90 Millionen Euro. Quelle: Screenshot
Luxemburg28 Schlecker-Läden gibt es im Nachbarland Luxemburg. Diese hängen an Schlecker-Österreich. Schlecker Luxemburg schrieb im Juni 2012 trotz einiger Lieferengpässe schwarze Zahlen. In den Vorjahren setzte die Tochter jeweils rund 17 Millionen Euro brutto um. Luxemburg wird von der Schlecker-Tochter IhrPlatz beliefert, für die es noch keine Investor gibt. Löhne und Arbeitsstellen in Luxemburg seien aber vorerst sicher, sagte ein Sprecher der luxemburgischen Gewerkschaft OGBL. Quelle: dapd
Italien Quelle: dapd
Belgien / Niederlande Quelle: dpa

Herr Schneider, Sie sind als Verwalter für die Schlecker-Schwestermarke Ihr Platz zuständig. Wie sieht die Lage hier aus?

Schneider: Auch bei Ihr Platz ist es uns zwar nicht gelungen, einen Käufer für alle Läden zu finden. Insgesamt haben wir aber für weit mehr als 50 Prozent der Filialen Nachfolger gefunden, zum Beispiel die Drogeriekette Rossmann, die 108 Filialen übernimmt.

Dabei hatte Ihnen Rossmann-Inhaber Dirk Roßmann zuvor das Leben schwergemacht und Schlecker sehr früh als nicht überlebensfähig dargestellt.

Geiwitz: Herr Roßmann hat von Anfang an gesagt, dass er dem Geschäftsmodell von Schlecker keine Chancen einräumt – im Nachhinein hat er leider recht behalten. Wir kamen als Notärzte, aber Schlecker war mit unseren Mitteln nicht zu retten.

Dabei sprachen Sie am Anfang noch davon, dass Substanz vorhanden sei.

Geiwitz: Nach und nach musste ich meine Meinung revidieren. Die Lage war weit dramatischer, als es die Konzernführung uns gegenüber im Januar eingeräumt hatte. Dennoch sahen sich viele Investoren das Geschäft an, wir hatten sehr weitgehende Gespräche mit potenziellen Käufern – insofern durften wir darauf hoffen, dass die Sanierung gelingt.

Wann ist Ihnen klar geworden, dass der Kampf verloren ist?

Geiwitz: Zweifel kamen mir, als die Zahl der Kündigungsschutzklagen nach oben schnellte und die ersten Absagen von Investoren folgten. Darum habe ich so vehement für eine Transfergesellschaft gekämpft.

Was ist eine Transfergesellschaft?

Ich habe ja die schizophrene Situation, dass 600 Filialen von Schlecker gute Gewinne erwirtschaftet haben. Aber wegen der arbeitsrechtlichen Risiken kann kein Investor die Läden übernehmen.

Absurde Seite des Kündigungsschutzes

Neue Eigentümer für IhrPlatz und Schlecker XL
Die H.H. Holding hat nach einem Bericht des Handelsblatts 57 Schlecker-XL-Filialen gekauft. Zur H.H. Holding gehören der Textil-Discounter Kik, die Ein-Euro-Läden Tedi und die Kaufhaus-Kette Woolworth. Die Verträge sind bereits unterschrieben. Der Kik-Betreiber hat auch bei IhrPlatz zugeschlagen... Quelle: dpa
Menschen vor einer Woolworth-Filiale Quelle: dpa
Ein Rossmann-Schild in der Nähe einer IhrPlatz-Filiale Quelle: dpa
Mäc Geiz-Filiale Quelle: Pressebild
NKD-Filiale Quelle: Pressebild
Kasse in einer Filiale von dm Quelle: AP
Waren vor einer IhrPlatz-Filiale Quelle: dapd

Ist das der wesentliche Unterschied zum Ihr-Platz-Verfahren?

Schneider: Die Transfergesellschaft war sicher ein großer Vorteil. Wir konnten so die Zahl der Kündigungsschutzklagen niedrig halten und die Risiken für Investoren begrenzen. Alle Mitarbeiter, die nicht übernommen wurden, hätten sonst auf die Idee kommen können, bei Ihr-Platz-Nachfolgern auf Einstellung zu klagen.

Muss das Arbeitsrecht geändert werden?

Geiwitz: In Situationen, bei denen es um alles oder nichts geht, wäre ein sanierungsfreundlicheres Arbeitsrecht sinnvoll. Kündigungsschutzklagen sind individuell nachvollziehbar. Aber sie haben in Summe oft verheerende Auswirkungen. Den Mitarbeitern nutzt das am Ende wenig, dem Gesamtverfahren bringt es Chaos. Der Kündigungsschutz an sich hat seine Berechtigung. Aber wenn Leute sich in stillgelegte Betriebe einklagen, wird es absurd.

Werner Schneider Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Schneider: Ein Beispiel: Wenn wir einen Bagger verkaufen, kann der Baggerfahrer den Käufer auf Einstellung verklagen, weil der seinen Arbeitsplatz – eben den Bagger – übernommen hat. Da werden teilweise extreme Positionen vertreten. Das führt bei Sanierungen zunehmend zu Problemen.

Was bleibt nach der Zerschlagung für die Gläubiger übrig?

Geiwitz: Das kann ich noch nicht im Detail sagen. Viel Geld werden sie nicht bekommen. Es ist für viele Gläubiger sicher eine Enttäuschung, aber mehr ist nicht drin.

Schneider: Bei Ihr Platz sieht es etwas besser aus, aber auch hier ist eine Aussage zur Quotenhöhe noch nicht möglich.

Welche Aufgaben stehen für Sie als Verwalter jetzt noch an?

Geiwitz: Im Ausland hatte Schlecker 12.000 Mitarbeiter. Die überwiegende Zahl haben wir bereits untergebracht, aber einzelne Auslandstöchter müssen wir noch verkaufen. Wir sind mit einem Investor in exklusiven Verhandlungen über das Spanien-Geschäft, und ich bin zuversichtlich, dass wir im Herbst eine Lösung präsentieren können. Auch bei der Versandapotheke Vitalsana laufen Verhandlungen mit mehreren Interessenten. Da bin ich ebenfalls optimistisch, dass wir in den kommenden Wochen eine Lösung haben. Parallel dazu müssen wir uns um die Veräußerung von Immobilien kümmern. Dabei geht es um Schätzwerte im niedrigen dreistelligen Millionenbereich.

Was wird aus der Schlecker-Zentrale, dem Glaspalast im schwäbischen Ehingen?

Geiwitz: Noch brauchen wir das Gebäude für die Abwicklung, zusammen mit der Logistik arbeiten am Standort Ehingen zurzeit rund 300 Mitarbeiter. Die Zahl wird in den kommenden Monaten aber stark sinken. Ende des Jahres werden wir uns dann überlegen, was wir mit der Immobilie machen. Als weitere zentrale Aufgabe bleibt auch die Auseinandersetzung mit Anton Schlecker und seiner Familie.

Beschränkte Ermittlungsmöglichkeiten

Was wurde eigentlich aus Schlecker?
1975Der 1944 geborene Anton Schlecker, Sohn eines Fleischwarenfabrikanten, eröffnet in Kirchheim unter Teck seinen ersten Drogeriemarkt. Schleckers Strategie: Er eröffnet die Läden an strukturell wenig attraktiven Standorten in Wohngebieten. Die Filialen sind klein und spartanisch ausgestattet. Schlecker handelt mit Lieferanten beste Konditionen und lange Zahlungsziele aus, um so die Expansion zu finanzieren. Und seine Kette expandiert schnell: Schon zwei Jahre später zählt Schlecker mehr als 100 Filialen, 1984 gibt es bereits 100 Drogeriemärkte.
1987Die Kinder der Schleckers, Lars (r.) und Meike (nicht im Bild) werden am 22. Dezember entführt. Ihr Vater handelt das Lösegeld von 18 auf 9,6 Millionen D-Mark herunter, die Summe, über die er versichert ist. Kurz vor Heiligabend können sich die Kinder selbst befreien. Die Täter werden 1998 gefasst. Quelle: dpa Picture-Alliance
1987-1998Im Jahr 1987 eröffnet Schlecker die ersten Filialen im Ausland. Er expandiert wie im Rausch: 1995 kommt Schlecker bereits auf 5800 Filialen und beschäftigt rund 25.000 Mitarbeiter. Doch Schleckers Image als Arbeitgeber leidet: 1994 wird der Familie vorgeworfen, Scheinarbeitsverhältnisse zu betreiben und unter Tarif zu bezahlen. Auch die Gründung von Betriebsräten soll systematisch blockiert worden sein. 1998 werden Anton Schlecker und seine Ehefrau Christa zu jeweils zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Grund: Das Amtsgericht Stuttgart sieht es als erwiesen an, dass das Ehepaar seinen Mitarbeitern tarifliche Bezahlung vortäuschte Quelle: imago images
Schlecker-Tochter IhrPlatz stellt Insolvenzantrag2007 kaufte die Drogeriekette den insolventen Konkurrenten Ihr Platz. 700 Standorte kamen auf einmal dazu, Schlecker zählte nun 14.400 Ableger in 17 Ländern. Ein Höhepunkt. Quelle: dapd
Schlecker reicht Insolvenzantrag einDoch der Abstieg war schon zu ahnen: 2011 holte Anton Schlecker seine beiden Kinder Lars (links) und Meike (rechts) in die Unternehmensführung. Zuvor war die Drogeriekette wieder einmal wegen dem Umgang mit den Mitarbeitern in die Kritik geraten. Laut Medienberichten überwachte Schlecker seine Mitarbeiter, auch der Vorwurf der schlechten Bezahlung wurde erneut erhoben. Viele Medien sahen die neue Familiengeneration an der Spitze als Ablenkungsmanöver.Bild: Montage der Familie Schlecker. Quelle: dapd
Mit einer Marketingkampagne wollte das Unternehmen sein angeschlagenes Image 2011 wieder aufpolieren. Doch der Denglisch-Spruch „For you. Vor Ort.“ stößt bei Sprachwächtern auf Kritik. Ein Sprecher des Unternehmens rechtfertigt sich in einem Brief damit, dass die Kunden ein „niedriges Bildungsniveau“ hätten – der Brief gerät an die Öffentlichkeit und löst einen Shitstorm aus. Gleichzeitig machen sich die Bilanzprobleme immer stärker bemerkbar. Noch im selben Jahr werden 600 Filialen geschlossen, weitere sollen 2012 folgen. Quelle: imago images
For You. Vor Ort. Vorbei.Im Januar 2012 erklärte sich Schlecker als zahlungsunfähig und meldete Insolvenz an. Rund 2400 Läden sollten geschlossen werden. Quelle: dapd

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen Schlecker und weitere Beschuldigte wegen möglicher Insolvenzdelikte. Sie haben ihn bisher in Schutz genommen.

Geiwitz: Das wird immer falsch dargestellt. Ich verteidige Anton Schlecker nicht, ich gebe nur wieder, was die bisherigen Erkenntnisse der Insolvenzverwaltung sind. Er war sicher beratungsresistent. Aber wenn man frühere Vermögenswerte betrachtet, hat er das meiste Geld durch die Insolvenz verloren. Und: Er hat auch sehr viel Geld in die Firma gesteckt, als es schon bergab ging. So viel Unternehmertum muss man erst einmal zeigen. Auf der anderen Seite gibt es Rechtshandlungen der Familie Schlecker, die ich in hohem Maße kritisch sehe. Unrechtmäßig übertragene Gelder werde ich rigoros zurückfordern.

Arndt Geiwitz Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Worum geht es dabei?

Geiwitz: Es geht um eine Reihe von Vermögensübertragungen an Familienangehörige in den vergangenen Jahren. Ich mache keine Angaben zur strafrechtlichen Relevanz, aber einige Immobilien oder die entsprechenden Gegenwerte sind eindeutig zurückzugeben. Dabei geht es um Summen in Millionenhöhe. Dann gibt es strittige Dinge, die sich für einen Vergleich eignen. Sofern es keine Einigung gibt, müssen sich Gerichte damit befassen.

Schneider: Unabhängig von Schlecker: Wir haben nur beschränkte Ermittlungsmöglichkeiten. Wenn insolvenzrechtlich etwas zur Vermögensmasse gehört, sind wir verpflichtet, es uns zu holen, und das tun wir auch. Wir können dem Schuldner aber nicht unters Kopfkissen gucken.

Zuletzt sorgten Gehaltszahlungen von monatlich 60.000 Euro an Christa Schlecker für Schlagzeilen. Werden Sie dieses Geld zurückfordern?

Geiwitz: Wir müssen nach rationalen Kriterien prüfen, ob die Zahlungen angemessen waren und welche Chancen wir vor Gericht hätten, eine solche Forderung geltend zu machen. Ich bin da skeptisch. Frau Schlecker hatte eine Top-Managementfunktion im Konzern, sie war für das gesamte Personal verantwortlich. Sie und ihr Mann waren die wichtigsten Führungskräfte. Wenn Sie Vorstandsgehälter in Unternehmen vergleichbarer Größe betrachten, bewegt sich die Summe eher im unteren Bereich. Bei der Beurteilung kann ich nicht mit moralischen Werten argumentieren. Es geht um rein sachliche Kriterien.

Schneider: Die öffentliche Empörung halte ich auch für unangemessen.

Wie lange steht der Unternehmer Anton Schlecker unter Ihrer Aufsicht?

Geiwitz: Für Anton Schlecker gilt das Gleiche wie für jeden anderen Privatschuldner: Er hat eine Wohlverhaltensphase von sechs Jahren. In dieser Zeit muss ein Schuldner sein Vermögen offenlegen, sich um eine Beschäftigung bemühen und mit den Gläubigern kooperieren. In dieser Phase werden wir Anton Schlecker begleiten.

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