Arznei-Versandhandel Wie sich Apotheker gegen die Digitalisierung wehren

Seit 2004 ist der Internetversand von Medikamenten erlaubt, viele Pharmazeuten wehren sich bis heute dagegen. Es geht aber auch anders: Einige Apotheker setzen erfolgreich auf Innovation.

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Einige Apotheken wehren sich gegen Internetarzneihandel, andere setzen auf Innovation. Quelle: imago images

Achtzigerjahrepop dringt durch den Raum. Die bunte Videowand zeigt die neuesten Nachrichten und preisgünstige Arzneien an. Die Medikamente holt schließlich ein Roboter aus einem Lager mit Tausenden Medikamenten hervor.

Die Westgate-Apotheke in Köln haben die Pharmazeutin Marion Wüst und Eigentümer Erik Tenberken vor fünf Jahren eingerichtet. Seit 2009 betreiben beide die Kölsche Blister GmbH, die Medikamente für Tausende Bewohner von Altenheimen maschinell vorsortiert und in Tütchen für „morgens“, „mittags“, „abends“, „vor dem Essen“ und „nach dem Essen“ abpackt. Fehler bei der Pilleneinnahme werden so vermieden.

Bereits 2004, kurz nach der gesetzlichen Freigabe des Internetversands, gründeten Wüst und Tenberken ihren Versandhandel Fliegende Pillen. „Mir macht es Spaß, immer etwas Neues auf den Weg zu bringen“, sagt Wüst, die rund 100 Mitarbeiter beschäftigt.

Damit zählt sie zu einer bei Apothekern raren Spezies. Deren Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) verteidigt den Status quo. Die Standesvertreter kämpfen für ihre geschützte Zunft: Nur Pharmazeuten dürfen eine Apotheke betreiben, jeder mit höchstens drei Filialen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will nun den Versandhandel mit Arzneien verbieten, von dem chronisch Kranke und Menschen auf dem Land profitieren. Der Europäische Gerichtshof hatte Versandhändlern in der EU Rabatte erlaubt. Gegen die Konkurrenz läuft die ABDA Sturm.

„Unter Apothekern gibt es nur relativ wenige echte Unternehmer und Innovationstreiber“, urteilt Tobias Brodtkorb, Geschäftsführer der auf den Pharma- und Apothekenmarkt spezialisierten Beratung Sempora. Tobias Loder, Apotheker aus Hürth bei Köln, zählt zu den wenigen Ausnahmen.

Statt über die neue Konkurrenz zu klagen, hat er vor einigen Monaten einen eigenen Versandhandel, die Deutsche Internet-Apotheke, gekauft. Ständig ist der studierte Pharmazeut und Betriebswirt auf der Suche nach neuen Einnahmequellen. Loder beliefert Altenheime und Pflegedienste; auch mit Eigenmarken hat er schon experimentiert.

„Beratung, Beratung, Beratung“, lautet das Motto des Düsseldorfer Pharmazeuten Hubertus Minuth. Wenn es sein muss, besorgt er seinen Kunden auch schon mal innerhalb von 90 Minuten ein Medikament; dazu arbeitet Minuth mit zwei Großhändlern zusammen. „Amazon kann von uns Apothekern noch was lernen“, findet er.

Individueller Service

Die Kölner Apothekerin Wüst lässt für ihre Kunden nach individuellen Rezepten Kapseln, Lösungen, Zäpfchen, Augenspritzen und sogar Chemotherapien anfertigen. Andere Apotheker aus der Umgebung schicken ihre Kunden deshalb bei ihr vorbei. Wüst versteht das nicht. „Mir ist nicht klar, warum die das nicht selber machen. Das erhöht doch die Kundenbindung.“

Vom Versandhandelsverbot, wie von vielen Kollegen gefordert, hält Wüst wenig: „Das ist keine dauerhafte Lösung. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, dagegen zu klagen.“

Neue Ideen würden auch Menschen auf dem Land helfen, wo es mit der Gesundheitsversorgung hapert. Die meisten der 20.000 Apotheken ballen sich in Städten.

Erste Modellprojekte gibt es. Im baden-württembergischen Hüffenhardt sollen ein Apothekenroboter und eine Videoschaltung zur Versandapotheke DocMorris in wenigen Wochen die Medikamentenversorgung übernehmen, die früher die Angestellten der örtlichen Brunnen-Apotheke leisteten. Deren Besitzer ist seit 2014 im Ruhestand, ein Nachfolger fand sich nicht.

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In der umgebauten Apotheke im Ortskern von Hüffenhardt findet sich nun eine Beratungskabine, die Kunden per Bildschirm mit Fachkräften in der DocMorris-Zentrale verbinden soll. Die beraten Patienten und prüfen per Scanner Rezepte. Ein Automat spuckt dann in Hüffenhardt das nötige Präparat aus. Rund 8000 der häufigsten Mittel hält der Automat bereit. Bezahlt wird bar oder mit Karte.

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von Maike Telgheder

„Wir verkaufen dort keine Sonnencremes, sondern bieten Akutversorgung und Beratung für chronisch Kranke“, sagt DocMorris-Vorstand Max Müller und nennt noch einen weiteren Vorteil: „Vorher gab es hier kein schnelles Internet. Das ist jetzt im Ort installiert, sonst könnten wir gar nicht beraten.“ Anders als Parteifreund Gröhe unterstützt der Vizeregierungschef von Baden-Württemberg, Thomas Strobl (CDU), solch neue Konkurrenz. „So eine automatisierte Apotheke kann den Menschen zeigen, welche Vorteile, welchen Nutzen sie aus der Digitalisierung ziehen können“, ist er sicher.

Auch die Deutsche Bahn könnte bald im Apothekengeschäft mitmischen. Zur Versorgung Kranker schickt der Konzern einen Medibus über Land. Ein Apothekenbus könnte folgen. In Sachsen-Anhalt haben schon mehrere Regierungen versucht, solche Busse loszuschicken. Die Idee scheiterte – am Widerstand der Apotheker, die nicht mitmachen wollten.

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