Auktionen für Anfänger Richtig gute Kunst für wenig Geld

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Den Augen vertrauen

Dass die Kunden das umworbene Werk vor dem Kauf nicht mal mehr in Augenschein nehmen, bei Lempertz gar auf einen Zustandsbericht verzichten, ist ihnen offenbar gleichgültig. Besonders viele Besucher hat Ketterer auf seine Seite gelockt, als das Haus bei einer seiner Netzauktionen die Mindestpreise auf einen Euro herabsetzte. Ein Aquarell von Gotthard Graubner lag wochenlang für verführerisch kleines Geld in der Auslage – bevor der Preis in den letzten Minuten dann doch noch auf mehr als 4000 Euro in die Höhe schoss.

Andreas Sturies hat für das Zucken und Zocken im Netz nicht viel übrig, er will sich seine Kunden nicht als Kunst-Tele-Shopper mit Tablet im Schoß vorstellen, sondern „im Saal haben und leiden sehen“. Sturies ist ein herrlich altmodischer Kunsthändler, seine Auktionen in Düsseldorf sind ein heiterer Kulturevent, zuweilen auch lehrreicher Hochgenuss: Er fiebert mit seinen Bietern, wenn er Leidenschaft für die „geistige Substanz“ der Kunst spürt – und kommentiert spitz, wenn er Besitzstolz, heilige Ehrfurcht oder Spekulation wittert: „Man muss das Geschäft distanziert und ironisch sehen, sonst hält man es gar nicht aus.“

Das Geschäft: immer neue Gerhard-Richter-Editionen oder Günther-Uecker-Drucke zum Beispiel ohne künstlerischen Mehrwert – die Zirkulation des Immergleichen zum Zwecke der Werbung, um die Marke zu bespielen, die Sichtbarkeit zu erhöhen, die Preise zu treiben. „Unglaublich öde“, nennt Sturies das und rät seinen Kunden davon ab, auf Wertzuwächse zu spekulieren. Denn natürlich ist auch das Kunstgeschäft im niedrigen Preissegment vor allem ein Durchlauferhitzer – ein volatiler Markt, der von seinen Akteuren gemacht wird: von Auktionshäusern, die modische Saisonware verkaufen, von Fälschern, die Nachdrucke in den Markt schleusen – und von Händlern und Sammlern, die vorgestern Otto Piene verteuern, gestern Günther Förg und heute Katharina Grosse – ganz gleich, ob sich für ein Werk von Piene, Förg oder Grosse in 20 Jahren noch jemand interessiert.

Die meiste Kunst zum Tiefpreis bekommt am Auktionsmarkt daher, wer seinen Blick schult, seinen Geschmack verfeinert und sich von Moden nicht beeindrucken lässt. Und vielleicht auch der, der seinen Blick dabei zuweilen nach Ostdeutschland richtet: Viele der technisch hervorragend ausgebildeten „DDR-Künstler“ sind von Preisverwehungen verschont geblieben, weil „die wenigsten Leute ihren Augen vertrauen“, sagt Volker Zschäckel von der Galerie am Sachsenplatz in Leipzig – und weil dem Ansturm auf die Nachkriegskunst der DDR nach dem Mauerfall kein vertieftes Interesse folgte: „Greifen Sie also zu, ehe es richtig teuer wird“, so Zschäckel, „aber bloß nicht in spekulativer Absicht“ – denn „was dem Vergessen anheimfällt oder doch noch seine Runde im schnell drehenden Markt ziehen wird, weiß niemand“, so Ansgar Heickmann vom Auktionshaus in Chemnitz.

Hermann Bachmann zum Beispiel, ein fantastischer Maler aus Halle mit deutsch-deutscher Biografie: Auf seine „Entdeckung“ spekuliert der Kunstmarkt schon seit Jahren vergeblich – wie schön. Von der ausdrucksstarken Kreuzigungsszene mal abgesehen – wie ärgerlich.

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