Bahlsen versus Lorenz Snack-World Zwei Brüder, zwei Welten

Resultat des Streits unter den Brüdern Bahlsen: Die getrennten Marken Bahlsen und Lorenz Snack-World. Quelle: imago images

Die Erben des Keks- und Chips-Herstellers zofften sich in den Neunzigerjahren so lange und heftig, bis eine Teilung des Konzerns unausweichlich wurde. Der eine übernahm das Salzige, der andere das Süße. Seitdem arbeiten die Brüder jeder für sich - mit unterschiedlichem Erfolg.

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Es war ein einmaliger Vorgang in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik. Nach monatelangen Streitereien und Querelen beschloss die Familie Bahlsen im Sommer 1999 die Aufspaltung des traditionsreichen Familienkonzerns. Zum 1. Juli übernahm Werner Michael Bahlsen die süße Kekssparte. Bei ihm verblieb die Marke Bahlsen. Sein Bruder Lorenz übernahm den salzigen Snack-Bereich. Die Familie der verstorbenen Schwester Andrea erhielt kleinere Marken in Österreichisch und der Schweiz sowie Finanz- und Immobiliengesellschaften.

Damit werde, so teilten die Brüder damals mit, die am Markt schon längst vollzogene Trennung der Sparten mit der Fokussierung auf die Kerngeschäfte konsequent fortgesetzt. Das Bahlsen-Süßgebäck stand bei der Trennung für ein Umsatzvolumen von rund 500 Millionen Euro, rund 40 Prozent davon entfielen auf das Ausland. Mit Chips und Flips erlöste die Gruppe seinerzeit rund 450 Millionen Euro, gut die Hälfte davon außerhalb Deutschlands. Die Zentrale der Snack-Sparte zog nach Neu-Isenburg bei Frankfurt, von wo aus schon seit einigen Jahren das Deutschland-Geschäft mit Knabberartikeln gesteuert wurde. Die Bahlsen-Zentrale blieb in Hannover, zog wieder ins alte Stammhaus, nachdem das Verwaltungsgebäude an eine Immobiliengesellschaft verkauft wurde.

Seitdem wurden beide Unternehmen von je einem Bahlsen geführt. Bis zum April 2018. Da gab Werner Michael Bahlsen das operative Geschäft der Gebäcksparte mit Marken wie Wafeletten, Comtess-Kuchen und Blätterbrezeln ab und zog sich aus dem Tagesgeschäft zurück. Damit war in Hannover erstmals kein Vertreter der Familie Bahlsen mehr Teil des obersten Führungsgremium, das von externen Managern besetzt war. Bahlsen übernahm den Vorsitz des neu geschaffenen Verwaltungsrats und berief seinen ältesten Sohn Johannes (31) ebenfalls in das Kontrollgremium. „Mit meinem Sohn Johannes im Verwaltungsrat als Vertreter der Familie binden wir frühzeitig die nächste Bahlsen-Generation in das Unternehmen ein. Wir sehen es als große Chance, dass beide Generationen gemeinsam über die langfristige Aufstellung des Unternehmens diskutieren“, sagte Bahlsen vor knapp zwei Jahren. Vieles deutete auf eine Fortsetzung der familiären Konzernführung hin.

Die beiden Brüder Werner Michael und Lorenz Bahlsen mit dem langjährigen Firmenchef Hermann Bahlsen jr. (von links) in Hannover im Jahr 1992. Quelle: imago images

Zumal auch Verena Bahlsen (26) seit rund zwei Jahren mit Verve in die Öffentlichkeit drängte. Ihre Wirkungsstätte war und ist das Restaurant „Hermann‘s“ in Berlin-Mitte, dem Epizentrum der Gründer- und Food-Szene. Das lichtdurchflutete Restaurant mit Test-Küche und Event-Räumen benannte sie nach ihrem Ur-Großvater, dem Leibniz-Keks-Macher und Unternehmensgründer Hermann Bahlsen.  Im „Hermann’s“ sollte laut Verena Bahlsen „eine Plattform und Community entstehen, die den Handel, Produzenten und alle, die an neuen Lebensmitteln arbeiten oder darüber schreiben und forschen, zusammenbringen.“ Das „Hermann’s“ solle den Austausch fördern und in einer Datenbank erfassen. Das Ziel: nachhaltige Lebensmittel.

Im Mai 2019 leistete sich die Unternehmertochter allerdings einen folgenschweren Fauxpas und geriet in die Schlagzeilen, nachdem sie die Nazivergangenheit des Gebäckherstellers marginalisiert und beschönigt hatte. Bahlsen habe die Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg „genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt“, sagte sie der „Bild-Zeitung“. Mittlerweile hat sich Verena Bahlsen dafür entschuldigt. Doch der „Shitstorm“ im Netz und in den Medien war enorm. Eine geordnete Übernahme der Chefrolle bei den süßen Bahlsens geriet so in die Ferne. 

Eigentlich gingen Branchenkenner bis dahin noch davon aus, dass sich bald wieder ein Familienmitglied in der Geschäftsführung wiederfinden würde. Verena (Management-Studium in New York und London, aber ohne Abschluss) sammelte Erfahrungen als Unternehmerin, ihr Bruder Johannes als Verwaltungsratsmitglied. Vor gut sechs Jahren erhielten alle vier Geschwister knapp ein Viertel der Anteile des Familienunternehmens. Die Übernahme einer der ihren schien nur eine Frage der Zeit. 

von Stephan Knieps, Jürgen Salz, Christian Schlesiger

Spätestens seit Mitte Januar 2020 ist das Kapitel vorerst geschlossen. „Kein Familienmitglied der nächsten Generation wird in die operative Führung des Unternehmens einsteigen“, sagte Werner Bahlsen dem „Handelsblatt“. Für das operative Geschäft werde ein externer Chef gesucht und keines der vier Kinder ins Management des Familienunternehmens eintreten. Diese Entscheidungen habe die Familie gemeinsam getroffen. Unter der Ägide von Werner Michael Bahlsen ist das Unternehmen seit der Trennung kaum gewachsen. Vergangenes Jahr kündigte Bahlsen an, die Erlöse würden sich bis 2025 verdoppeln. Tatsächlich fiel der Umsatz 2018 um 2,5 Prozent auf 545 Millionen Euro. Das Ergebnis vor Steuern lag bei mickrigen 1,3 Millionen Euro.

Ganz anderes lief es bei der salzigen Fraktion. Bei Lorenz Snack-World kam vor wenigen Wochen in aller Ruhe und ohne Getöse die vierte Generation in die Verantwortung: Moritz Bahlsen übernahm als Geschäftsführer die Leitung des Knabberartikel-Herstellers mit Marken wie Crunchips, Saltletts, Nic Nac's und Naturals Chips. Der 38-Jährige folgt auf seinen Vater Lorenz, der im Alter von 72 Jahren den Vorsitz des Beirats übernimmt. Moritz Bahlsen ist wie Verena Bahlsen ein Urenkel des Firmengründers Hermann Bahlsen und schon seit mehr als zehn Jahren in der operativen Führung des Unternehmens tätig. Von jetzt an sei er als alleiniger Chef für die Geschäfte der Lorenz-Gesellschaften verantwortlich, teilte Lorenz Snack-World mit.

Demnach steht der Junior den Angaben zufolge als Sprecher einem neu gegründeten Executive Board vor, in dem er die Verantwortung für die Bereiche „Operations“ und „Culture“ tragen wird. Er wird unterstützt von drei familienfremden Managern. Nach eigenen Angaben beschäftigt Lorenz Snack-World rund 2250 Mitarbeiter an Standorten in Deutschland, Österreich, Polen, Russland, Singapur und China. Die Produkte des Unternehmens werden in über 80 Länder geliefert. Der zuletzt veröffentliche Umsatz im Geschäftsjahr 2017 lag bei rund 525 Millionen Euro, nach 538 Millionen im Jahr zuvor. Der Gewinn belief sich auf 8,3 Millionen Euro, nach mehr als 12 Millionen im Vorjahr.

Die Zahlen zeigen zwar, dass Lorenz den anfänglichen Umsatzrückstand auf seinen Bruder Werner fast wettmachen konnte. Sie zeigen aber auch, das beide Unternehmen keine Wachstumsraketen sind und nur schwache Umsatz- und Gewinnmargen erzielen. Zudem stehen beide Unternehmen nach mehr als 20 Jahren Trennung den gleichen Herausforderungen und Problemen gegenüber: Der Marktmacht der europäischen Lebensmittelhändler, steigenden Rohstoffkosten und vor allem einem deutlich veränderten Konsumverhalten der Deutschen in Richtung Gesundheit. Und zu den gesunden Lebensmitteln zählen weder Chips noch Schoko-Kekse.

Bis heute haben die Familien nach wie vor keinen Kontakt miteinander. „Die Geschäfte laufen parallel in gegenseitiger Ignoranz“, sagt ein Insider. Bahlsen und Bahlsen seien wie „zwei entfernte Verwandte“. 

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