Lug und Trug gehört zum Branchenalltag in Bangladesch, wie ein Undercover-Report der WirtschaftsWoche im Sommer ergeben hat: Hosen einer Handelsmarke von Real fanden sich in einer Fabrik mit vergitterten Fenstern, mit der die Real-Mutter Metro angeblich in keiner Geschäftsbeziehung steht. In einer anderen Fabrik stickten Näherinnen Aufnäher "Made in Turkey" in Jeans für die italienische Marke Gaudi, und selbst in den als einwandfrei befundenen Fabriken von H&M oder Esprit hocken Hunderte Näherinnen auf engstem Raum inmitten von Stoffbergen, um die Nacht im stinkenden Slum nebenan zu verbringen.
Höchste Zeit, dass die Händler handeln: Mit Druck auf die Politik sollte eine Erhöhung der Mindestlöhne und eine Verbesserung des Brandschutzes durchgesetzt werden. Was Konzernsprecher gern als Kampf gegen die Windmühlen mächtiger Lobbyisten abtun, dürfte tatsächlich nicht allzu schwer fallen: Allein die Branchenriesen H&M, Walmart, C&A und kik nehmen die Hälfte der Waren im Wert von insgesamt 20 Milliarden Dollar ab – eine enorme Marktmacht, mit der man Lieferanten und Politik unter Druck setzen könnte. Dazu müsste man aber am runden Tisch eine konzertierte Aktion verabreden statt einzeln bei der Regierung vorzusprechen.
Marken halten Ursprung der Marke geheim
Daneben hilft nur totale Transparenz und lokale Präsenz: Ein Modeunternehmen wie Ernsting’s Family produziert zwar in Bangladesch, weist dies aber in den Kleidungsstücken nicht aus. Selbst ein Hochpreis-Anbieter wie Marc O’Polo halten geheim, woher die Ware kommt. Wer in Bangladesch nähen lässt, sollte überdies mit eigenen Einkäufern und Kontrolleuren vor Ort sein statt mit dubiosen Importeuren zu arbeiten. Achim Berg, Branchenexperte der Unternehmensberatung McKinsey, rät überdies dazu, die Zahl der Lieferanten möglichst klein zu behalten. "Ausgewählte Lieferanten sollten sie zu Partnern aufwerten, mit denen sie wachsen, in die sie Zeit und Geld investieren." Dann funktioniert auch der Brandschutz, der übrigens viel mit Training zu tun hat.
Bangladesch bleibt der große Trend in der Branche: Schon in wenigen Jahren könnte das arme Land mit seinen 170 Millionen Einwohnern China als größten Textilhersteller der Welt überholen. Was ein Segen für das Land wäre, denn die meist aus dem dürren Norden zugereisten Näherinnen sind selbst in ihren Slum-Hütten und mit 30 Euro Monatslohn besser gestellt als zu Zeiten, da die Textilbranche noch nicht brummte. Niemand will, dass die Westler das Land verlassen und die Arbeitsplätze wegfallen.
Aber die durchaus stolzen Bengalen sind es leid, sich wie seelenlose Nähmaschinen behandeln zu lassen. Nach dem verheerenden Brand vom Wochenende kommt es seit Montag zu massiven Demonstrationen und Straßenblockaden. Jetzt liegt es an westlichen Modekonzernen, mit den Lieferanten an den Arbeitsbedingungen zu feilen. Die Image-Schäden, die Konzernen wie C&A oder H&M sonst drohen, lassen sich nur langwierig und für teuer Geld wieder ausbeulen.