Bangladesch Warum Menschen weiter für unsere Kleidung sterben werden

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Falsches "Made in Turkey"

So sauber sind unsere Modelabels
Eine Frau mit einer Zara-Tasche Quelle: REUTERS
Ein Laden von Tommy Hilfiger Quelle: AP
Platz 12: PrimarkEs ist gar nicht einfach, den H&M-Herausforderer aus Irland zu kontaktieren. Primark hat weder in Deutschland noch im Rest der Welt eine Pressestelle, an die Journalisten ihre Anfragen richten können. Erst nach einer knappen Woche melde sich eine externe PR-Agentur und beantwortet einige Fragen zu Recherchen der WirtschaftsWoche: Dass eine Primark-Bestellung bei einem Zulieferer landete, der westlichen Standards nicht entspricht, sei ein Einzelfall gewesen. Ein lizenzierter Lieferant habe die Order ohne Kenntnis und Einverständnis der Iren an diese Fabrik ausgelagert. Was eigentlich gar nicht passieren darf, denn über seine Homepage verpflichtet nagelt sich der irische Discounter auf „ethischen Handel“ und höchste Sozialstandards bei Lieferanten fest. Dies wird allerdings nicht nur durch die Recherchen der WirtschaftsWoche konterkariert – zumal der Hersteller insgesamt bei Details merkwürdig mauert: Primark will weder die Zahl der Lieferanten oder die der internen Auditoren kommunizieren, noch die wichtigsten Lieferländer und den Anteil der Direktimporte nennen.Transparenz -Kontrolle -Verantwortung - Quelle: Screenshot
Ein New Yorker-Store in Braunschweig Quelle: Screenshot
Menschen vor einer Ernsting's Filiale Quelle: Presse
Das Logo der Modekette Tom Tailor Quelle: dapd
Eine Verkäuferin reicht in einem Esprit-Store in Düsseldorf eine gepackte Einkaufstasche über die Kasse Quelle: dpa

Lug und Trug gehört zum Branchenalltag in Bangladesch, wie ein Undercover-Report der WirtschaftsWoche im Sommer ergeben hat: Hosen einer Handelsmarke von Real fanden sich in einer Fabrik mit vergitterten Fenstern, mit der die Real-Mutter Metro angeblich in keiner Geschäftsbeziehung steht. In einer anderen Fabrik stickten Näherinnen Aufnäher "Made in Turkey" in Jeans für die italienische Marke Gaudi, und selbst in den als einwandfrei befundenen Fabriken von H&M oder Esprit hocken Hunderte Näherinnen auf engstem Raum inmitten von Stoffbergen, um die Nacht im stinkenden Slum nebenan zu verbringen.

Höchste Zeit, dass die Händler handeln: Mit Druck auf die Politik sollte eine Erhöhung der Mindestlöhne und eine Verbesserung des Brandschutzes durchgesetzt werden. Was Konzernsprecher gern als Kampf gegen die Windmühlen mächtiger Lobbyisten abtun, dürfte tatsächlich nicht allzu schwer fallen: Allein die Branchenriesen H&M, Walmart, C&A und kik nehmen die Hälfte der Waren im Wert von insgesamt 20 Milliarden Dollar ab – eine enorme Marktmacht, mit der man Lieferanten und Politik unter Druck setzen könnte. Dazu müsste man aber am runden Tisch eine konzertierte Aktion verabreden statt einzeln bei der Regierung vorzusprechen.

Marken halten Ursprung der Marke geheim

Daneben hilft nur totale Transparenz und lokale Präsenz: Ein Modeunternehmen wie Ernsting’s Family produziert zwar in Bangladesch, weist dies aber in den Kleidungsstücken nicht aus. Selbst ein Hochpreis-Anbieter wie Marc O’Polo halten geheim, woher die Ware kommt. Wer in Bangladesch nähen lässt, sollte überdies mit eigenen Einkäufern und Kontrolleuren vor Ort sein statt mit dubiosen Importeuren zu arbeiten. Achim Berg, Branchenexperte der Unternehmensberatung McKinsey, rät überdies dazu, die Zahl der Lieferanten möglichst klein zu behalten. "Ausgewählte Lieferanten sollten sie zu Partnern aufwerten, mit denen sie wachsen, in die sie Zeit und Geld investieren." Dann funktioniert auch der Brandschutz, der übrigens viel mit Training zu tun hat.

Bangladesch bleibt der große Trend in der Branche: Schon in wenigen Jahren könnte das arme Land mit seinen 170 Millionen Einwohnern China als größten Textilhersteller der Welt überholen. Was ein Segen für das Land wäre, denn die meist aus dem dürren Norden zugereisten Näherinnen sind selbst in ihren Slum-Hütten und mit 30 Euro Monatslohn besser gestellt als zu Zeiten, da die Textilbranche noch nicht brummte. Niemand will, dass die Westler das Land verlassen und die Arbeitsplätze wegfallen.

Aber die durchaus stolzen Bengalen sind es leid, sich wie seelenlose Nähmaschinen behandeln zu lassen. Nach dem verheerenden Brand vom Wochenende kommt es seit Montag zu massiven Demonstrationen und Straßenblockaden. Jetzt liegt es an westlichen Modekonzernen, mit den Lieferanten an den Arbeitsbedingungen zu feilen. Die Image-Schäden, die Konzernen wie C&A oder H&M sonst drohen, lassen sich nur langwierig und für teuer Geld wieder ausbeulen.

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