Bangladesch Warum Menschen weiter für unsere Kleidung sterben werden

Schon wieder sind über 100 Menschen in einer bengalischen Textilfabrik verbrannt. Der Vorfall wird nicht der letzte sein – weil Konzerne wie C&A und H&M zu wenig Druck zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen machen.

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Trümmer Quelle: dpa

Den ganzen Sonntag über schleppen Arbeiter Säcke aus der Fabrik – weiße Säcke mit verkohlten Leichen, bis zum Montag werden es 115 sein. Die unkenntlich verbrannten Toten stapeln sich vor der bengalischen Textilfabrik Tazreen Fashion Limited, die in der Nacht zum Sonntag nördlich der Hauptstadt Dhaka in Flammen aufging. Letztlich war wohl ein Kurzschluss ursächlich für die Tragödie.

Der Fall wirft Fragen auf, denn die betroffene Fabrik lieferte unter anderem Waren für C&A. Der Düsseldorfer Modekonzern gilt unter Fachleuten als relativ sorgsam in punkto "Corporate Social Responsibility" (CSR). Man bemüht sich, nur mit zuverlässigen und fairen Lieferanten zu arbeiten. Trotzdem waren in jenem siebenstöckigen Betonbau offenbar keine Fluchttreppen begehbar; mehr als 200 Menschen verletzten sich bei Fluchtversuchen durch Feuer und Fenster.

Ist faire Produktion realistisch?

Ferner stellt sich die Frage, warum in der Nacht zum Sonntag mehr als 1000 Beschäftigte in der Fabrik tätig waren – auch in Bangladesch existieren Arbeitszeitbegrenzungen, die aber gern ignoriert werden. Und überhaupt: Wenn nicht einmal redlich bemühte Kaufleute wie die C&A-Eigentümerfamilie Brenninkmeijer die Sicherheit bei den Lieferanten garantieren können, ist dann eine faire Textilproduktion in Billiglohnländern wie Bangladesch überhaupt realistisch?

Produktionsbedingungen in der Textilfabrik
Das brennende Gebäude Quelle: dapd
Bangladeschs Hauptstadt Dhaka Quelle: Probal Rashid für WirtschaftsWoche
Slum von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka Quelle: Probal Rashid für WirtschaftsWoche
Frauen in Bangladesch Quelle: Probal Rashid für WirtschaftsWoche
Männer verladen Altpapier Quelle: Probal Rashid für WirtschaftsWoche
Näherinnen in einer Fabrik Quelle: Probal Rashid für WirtschaftsWoche
Frauen in einer Fabrik mit vergitterten Fenstern Quelle: Probal Rashid für WirtschaftsWoche

Nein, total saubere Kleidung kann der deutsche Einzelhandel nicht liefern. Fairness passt nicht zusammen mit kaum regulierter Billigproduktion, wofür Bangladesch als Paradebeispiel steht. Das gilt auch für ähnlich arme Länder wie Pakistan, wo im September in einer für den Textil-Discounter Kik fast 300 Menschen ums Leben gekommen waren.

Der Zielkonflikt hat zwei Gründe: Zum einen fragt gerade der deutsche Verbraucher die Billigstware der Discounter ohne Sinn und Verstand nach. Verdorben spätestens durch die "Geiz-ist-geil"-Kampagne von Saturn erwartet der Kunde einen Preis von zehn Euro pro T-Shirt – was ein Händler wiederum nur liefern kann, wenn er die Ware in Bangladesch einkauft und seine Lieferanten den Näherinnen nur den Mindestlohn von 30 Euro im Monat zahlen. Überstunden oftmals inklusive, die Slum-Baracke kostet dagegen extra.

Kontrollsysteme funktionieren nicht

Zweitens scheren sich die Konzerne aus dem Westen wenig um die Arbeitsbedingungen bei ihren Lieferanten. Die meisten Kontrollsysteme funktionieren nicht, kaum ein Hersteller hat eigene Leute vor Ort in den Lieferländern sitzen, weder Politik noch Großeinkäufer haben es bislang vermocht, bessere Arbeitsbedingungen durch Druck auf die Regierung in Dhaka gesetzlich verankern zu lassen. Die wiederum kuscht vor dem bengalischen Unternehmerverband BGMEA, der seine Gefolgsleute sogar im Parlament installiert hat.

Falsches "Made in Turkey"

So sauber sind unsere Modelabels
Eine Frau mit einer Zara-Tasche Quelle: REUTERS
Ein Laden von Tommy Hilfiger Quelle: AP
Platz 12: PrimarkEs ist gar nicht einfach, den H&M-Herausforderer aus Irland zu kontaktieren. Primark hat weder in Deutschland noch im Rest der Welt eine Pressestelle, an die Journalisten ihre Anfragen richten können. Erst nach einer knappen Woche melde sich eine externe PR-Agentur und beantwortet einige Fragen zu Recherchen der WirtschaftsWoche: Dass eine Primark-Bestellung bei einem Zulieferer landete, der westlichen Standards nicht entspricht, sei ein Einzelfall gewesen. Ein lizenzierter Lieferant habe die Order ohne Kenntnis und Einverständnis der Iren an diese Fabrik ausgelagert. Was eigentlich gar nicht passieren darf, denn über seine Homepage verpflichtet nagelt sich der irische Discounter auf „ethischen Handel“ und höchste Sozialstandards bei Lieferanten fest. Dies wird allerdings nicht nur durch die Recherchen der WirtschaftsWoche konterkariert – zumal der Hersteller insgesamt bei Details merkwürdig mauert: Primark will weder die Zahl der Lieferanten oder die der internen Auditoren kommunizieren, noch die wichtigsten Lieferländer und den Anteil der Direktimporte nennen.Transparenz -Kontrolle -Verantwortung - Quelle: Screenshot
Ein New Yorker-Store in Braunschweig Quelle: Screenshot
Menschen vor einer Ernsting's Filiale Quelle: Presse
Das Logo der Modekette Tom Tailor Quelle: dapd
Eine Verkäuferin reicht in einem Esprit-Store in Düsseldorf eine gepackte Einkaufstasche über die Kasse Quelle: dpa

Lug und Trug gehört zum Branchenalltag in Bangladesch, wie ein Undercover-Report der WirtschaftsWoche im Sommer ergeben hat: Hosen einer Handelsmarke von Real fanden sich in einer Fabrik mit vergitterten Fenstern, mit der die Real-Mutter Metro angeblich in keiner Geschäftsbeziehung steht. In einer anderen Fabrik stickten Näherinnen Aufnäher "Made in Turkey" in Jeans für die italienische Marke Gaudi, und selbst in den als einwandfrei befundenen Fabriken von H&M oder Esprit hocken Hunderte Näherinnen auf engstem Raum inmitten von Stoffbergen, um die Nacht im stinkenden Slum nebenan zu verbringen.

Höchste Zeit, dass die Händler handeln: Mit Druck auf die Politik sollte eine Erhöhung der Mindestlöhne und eine Verbesserung des Brandschutzes durchgesetzt werden. Was Konzernsprecher gern als Kampf gegen die Windmühlen mächtiger Lobbyisten abtun, dürfte tatsächlich nicht allzu schwer fallen: Allein die Branchenriesen H&M, Walmart, C&A und kik nehmen die Hälfte der Waren im Wert von insgesamt 20 Milliarden Dollar ab – eine enorme Marktmacht, mit der man Lieferanten und Politik unter Druck setzen könnte. Dazu müsste man aber am runden Tisch eine konzertierte Aktion verabreden statt einzeln bei der Regierung vorzusprechen.

Marken halten Ursprung der Marke geheim

Daneben hilft nur totale Transparenz und lokale Präsenz: Ein Modeunternehmen wie Ernsting’s Family produziert zwar in Bangladesch, weist dies aber in den Kleidungsstücken nicht aus. Selbst ein Hochpreis-Anbieter wie Marc O’Polo halten geheim, woher die Ware kommt. Wer in Bangladesch nähen lässt, sollte überdies mit eigenen Einkäufern und Kontrolleuren vor Ort sein statt mit dubiosen Importeuren zu arbeiten. Achim Berg, Branchenexperte der Unternehmensberatung McKinsey, rät überdies dazu, die Zahl der Lieferanten möglichst klein zu behalten. "Ausgewählte Lieferanten sollten sie zu Partnern aufwerten, mit denen sie wachsen, in die sie Zeit und Geld investieren." Dann funktioniert auch der Brandschutz, der übrigens viel mit Training zu tun hat.

Bangladesch bleibt der große Trend in der Branche: Schon in wenigen Jahren könnte das arme Land mit seinen 170 Millionen Einwohnern China als größten Textilhersteller der Welt überholen. Was ein Segen für das Land wäre, denn die meist aus dem dürren Norden zugereisten Näherinnen sind selbst in ihren Slum-Hütten und mit 30 Euro Monatslohn besser gestellt als zu Zeiten, da die Textilbranche noch nicht brummte. Niemand will, dass die Westler das Land verlassen und die Arbeitsplätze wegfallen.

Aber die durchaus stolzen Bengalen sind es leid, sich wie seelenlose Nähmaschinen behandeln zu lassen. Nach dem verheerenden Brand vom Wochenende kommt es seit Montag zu massiven Demonstrationen und Straßenblockaden. Jetzt liegt es an westlichen Modekonzernen, mit den Lieferanten an den Arbeitsbedingungen zu feilen. Die Image-Schäden, die Konzernen wie C&A oder H&M sonst drohen, lassen sich nur langwierig und für teuer Geld wieder ausbeulen.

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