
Die Decke über Gerichtssaal 18 im Untergeschoss des Stuttgarter Landgerichts hängt tief. "Wie in einer Schleckerfiliale", scherzt einer der zahlreichen Zuhörer, die an diesem Montag um 9 Uhr den Auftakt des wohl spektakulärsten Wirtschaftsstrafprozesses des Jahres miterlebten: Drogeriepleitier Anton Schlecker und seine Familie müssen sich vor Gericht verantworten.
In 36 Fällen soll Schlecker Vermögenswerte zur Seite geschafft zu haben, um sie vor den Gläubigern zu retten. Gleich 13 Mal soll diese Bankrott genannte Straftat in besonders schwerem Fall erfolgt sein. Bei Schleckers Ehefrau Christa und den beiden Kinder Lars und Meike gehen die Ermittler unter anderem von Beihilfe aus.
Alle Beteiligten kennen die Vorwürfe. Seit fast einem Jahr liegt die Anklageschrift vor. Stoisch nehmen die Angeklagten und ihre Verteidiger denn auch auf, wie die Staatsanwälte vor Gericht die Anklage verlesen, Zahlen und Namen genannt werden. Ihre Blicke schweifen auf das Publikum hinter dem schwarz-gelben Absperrband, zurück auf den Vorsitzenden Richter und die Anwälte in ihren schwarzen Roben, unter denen die weißen Hemdkragen hervor blitzen. Die beiden Staatsanwälte lösen sich bei der Verlesung der Anklage ab. Im Publikum bannt ein Gerichtszeichner das Porträt des Hauptangeklagten mit Pinsel und Tusche auf Papier: Es zeigt Anton Schlecker, blass und schmal, mit schlohweißem Haar, im dunklen Nadelstreif und schwarzem Pulli darunter.
Die Pleite vor fünf Jahren, vielleicht auch die Vorwürfe und Anfeindungen der letzten Monate, haben Spuren hinterlassen. Wie ein 72-jähriger Rentner und Privatpleitier wirkt er dennoch nicht. Seine Züge sind hart, die Hände liegen oft verschränkt auf dem Tisch vor ihm. Als der Staatsanwalt in seinem grauen Ordner eine Seite umschlägt und Tatvorwurf 41 vorträgt, nimmt sich der Zeichner das nächste Bild vor: ein Angeklagten-Panorama.
"Die Anklagevorwürfe sind unzutreffend"
Hinten an der Wand sitzt derweil Meike Schlecker und raunt ihrem Verteidiger etwas zu, während der Staatsanwalt Seite um Seite der Anklage herunter spult. Nach einer guten Stunde ist die Lesung vorbei und der Richter übernimmt. "Den Angeklagten steht es frei, sich zu äußern", sagt er. Mit einem Mal wird klar, dass der Prozess dauern wird, dass die Angeklagten nicht zur Kapitulation bereit sind, sondern mit ihren Anklägern um jedes Detail ringen werden. Die Strategie der Verteidigung, die im Vorfeld zurückhaltend agierte, kristallisiert sich heraus.
Stationen der Schlecker-Insolvenz
Schlecker meldet Insolvenz an.
Das Verfahren wird eröffnet. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hofft noch auf die Rettung von Teilen der Drogeriekette.
Es wird bekannt, dass Anton Schlecker sein Privathaus im Wert von zwei Millionen Euro vor der Insolvenz an seine Frau übertragen hat. Ein zweites Grundstück soll sein Sohn bekommen haben.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott gegen Anton Schlecker ein.
Die Schlecker-Gläubiger fordern mehr als eine Milliarde Euro.
Der österreichische Investor Rudolf Haberleitner will 2013 bis zu 600 ehemalige Schlecker-Filialen mit dem Konzept eines modernen Tante-Emma-Ladens wiederbeleben.
Gut ein Jahr nach der Pleite zahlt die Familie Schlecker dem Insolvenzverwalter 10,1 Millionen Euro. Hintergrund ist der Streit um übertragenes Vermögen aus dem Unternehmen.
Haberleitner will einstige Schlecker-Filialen unter dem Namen Dayli wiederbeleben und Testläden in Deutschland eröffnen.
Noch vor dem geplanten Deutschland-Start ist der Schlecker-Nachfolger Dayli pleite.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage gegen Anton Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts.
Der Insolvenzverwalter reicht Klage gegen ehemalige Schlecker-Lieferanten ein. Sie sollen Schlecker wegen illegaler Preisabsprachen um viel Geld gebracht haben. Geiwitz will Schadenersatz in Millionenhöhe.
Es wird bekannt, dass das Landgericht die Anklage zulassen will. Der Schlecker-Prozess soll im März 2017 beginnen.
Der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart beginnt.
Staatsanwalt Thomas Böttger fordert für Anton Schlecker drei Jahre Haft. Lars Schlecker soll nach dem Willen der Staatsanwälte zwei Jahre und zehn Monate in Haft, Meike zwei Jahre und acht Monate. Die Verteidigung hält die Forderungen für „überzogen“, nennt aber selbst kein empfohlenes Strafmaß.
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart ist am Ende doch eine Überraschung: Anton Schlecker muss nicht ins Gefängnis. Das Gericht verurteilte den 73-Jährigen wegen vorsätzlichen Bankrotts zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 54.000 Euro. Schleckers Kinder Lars (46) und Meike (44) wurden dagegen zu Haftstrafen von zwei Jahren und acht Monaten beziehunsgsweise zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, Untreue und Beihilfe zum Bankrott.
Anton Schleckers Anwalt Norbert Scharf steht auf. "Die Anklagevorwürfe sind unzutreffend", sagt er und legt mit ruhiger Stimme dar, worum es in den kommenden Monaten gehen wird.
Der Sachverhalt sei komplex, die Anklage täusche darüber hinweg, dass es um schwierige Fragen geht. Im Grunde stünden nicht all jene Verfügungen, Schenkungen und Verträge von Schlecker im Mittelpunkt, sondern die Frage, ob diese strafbar waren. Unternehmer handelten stets auf Basis von Prognosen. Die Kernfrage laute daher: Was darf der Unternehmer wann?