Die Kundschaft ist jung, der Lärmpegel hoch, die Lage 1A. Die Essener Primark-Filiale ist typisch für einen Laden der irischen Modekette. Am Kennedyplatz, nur einen Steinwurf von Peek & Cloppenburg, H&M und dem Einkaufszentrum Limbecker Platz entfernt, hat Primark auf sechs Etagen und rund 8400 Quadratmetern in bester Innenstadtlage ein Paradies für Schnäppchenjäger erschaffen. Eine Jeans gibt’s für unter zehn, ein Top für fünf Euro.
Ebenfalls typisch: Es ist verdammt voll. Lachend und schwatzend schieben sich Teenager durch die Gänge, vorbei an dutzenden Regalen und Ständern mit Klamotten. Mit den Armen voller Kleidung stolpern sie in die Umkleiden.
Seit 1969 verkauft Primark Mode zu Niedrigpreisen. Erst in Irland, dann in Großbritannien, mittlerweile in neun europäischen Ländern. Weitere sollen folgen. Die Europakarte wird Türkis. Primark-Türkis.
Primark erobert Europa
Die Grafik zeigt die Zahl der Primark-Filialen in Europa.
Daten: Unternehmen
Mit seiner Niedrigpreis-Strategie ist das Unternehmen wahnsinnig erfolgreich. Umsatz und Gewinn steigen immer weiter. Wo sich Primark niederlässt, verzeichnet die Billigheimer-Konkurrenz von C&A und H&M deutliche Umsatzrückgänge.
So wachsen Umsatz und Gewinn von Primark
Die Grafik zeigt, wie sich Gewinn und Umsatz von Primark seit 2008 entwickelt haben.
Quelle: Unternehmen
Primarks Erfolg steht in Widerspruch zu seinem Ruf. Kaum ein Modekonzern sorgt so sehr für Negativ-Schlagzeilen wie die irische Kette. Spätestens seit dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch ist Primark zum Inbegriff all dessen geworden, was in der Textilbranche falsch läuft. Mehr als 1000 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben. Viele von ihnen nähten nachweislich für Primark.
2014 sorgten eingenähte Hilferufe in den Primark-Klamotten für einen noch größeren Aufschrei. Die vermeintlichen Botschaften ausgebeuteter Arbeiter entpuppten sich zwar schnell als Kampagne von Menschenrechtlern. Medien und Öffentlichkeit waren aber nur allzu bereit, sie für bare Münze zu nehmen. Primark ist scheinbar alles zuzutrauen.
So schlecht ist das Image von Primark
Auch in Deutschland steht der Konzern immer wieder in der Kritik. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert etwa, dass Primark-Mitarbeiter nicht nach Tarif bezahlt werden. Ende vergangenen Jahres kontrollierte das NRW-Gesundheitsamt mehrere Filialen, weil wegen der ausdünstenden Chemikalien aus der Billig-Kleidung Schadstoff-Grenzwerte überschritten worden sein sollen – ohne Ergebnis.
In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Primark ins Visier der deutschen Datenschutzbehörden geraten ist. Stein des Anstoßes: Bei der Diebstahlsicherung verlässt sich Primark auf ein engmaschiges Netz an Videokameras. Gefilmt wird in den Filialen nahezu überall: in Verkaufsräumen, Fluren, Aufzügen und im Lager. "Das Ausmaß dieser Überwachung ist nicht akzeptabel und es verletzt das Persönlichkeitsrecht von Beschäftigten und Kunden", kritistiert Verdi.
Imageschaden für Primark
Dem Kundenzuspruch hat all die Negativ-Presse offenbar kaum geschadet. In der Essener Primark-Filiale ist es voll wie eh und je. Nicht, dass die Medienberichte überhaupt keine Spuren hinterlassen. "Die kritische Berichterstattung über Arbeitsbedingungen, Datenschutzverstöße und schadstoffbelastete Textilien bei Primark setzten der Marke im letzten Halbjahr zu", sagt Holger Geißler vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov.
Das ist noch nett formuliert. Tatsächlich ist das Image von Primark völlig im Eimer. Anfang Februar 2015 erreicht Primark im YouGov-Markenmonitor BrandIndex nur -20 Indexpunkte. Das Image ist im Vergleich zu anderen Textilhändlern wie H&M (+25 Indexpunkte) also wesentlich schlechter. In der Wahrnehmung der Verbraucher steht einzig der Textil-Discounter Kik noch miserabler da (-27 Indexpunkte).
Die beliebtesten Textilhersteller
Mango (+20 Indexpunkte)
Quelle: YouGov BrandIndex Ranking: Marke des Jahres 2014
Der BrandIndex gibt auf einer Skala von -100 bis +100 Punkten an, wie Verbraucher das Image einer Marke bewerten.
Vero Moda (+22 Indexpunkte)
H & M (+26 Indexpunkte)
Peek & Cloppenburg (+36 Indexpunkte)
C & A (+39 Indexpunkte)
Primarks schlechtes Image ist den Kunden offenbar egal
Das schlechte Image aber ist den Kunden offenbar ebenso egal wie die Produktionsbedingungen im Ausland. Sie strömen weiter in die Läden. Fast jede Neueröffnung verursacht lange Schlangen und Tumulte unter den Kunden, die es selbst beim Verkauf neuer Apple-Produkte nicht gibt. Primarks Absatz, so scheint es, ist kugelsicher. Egal wie groß der Skandal wirklich ist, egal wie mit wie viel Schmutz die Gegner werfen. An dem irischen Unternehmen perlt alles ab.
Der Psychologe und Konsumforscher Hans-Georg Häusel macht dafür zwei Faktoren verantwortlich. Zum einen ist da die Primark-Zielgruppe selbst: Die ist sehr jung. 15 bis 25 Jahre ist der durchschnittliche Billigmode-Kunde laut Marktforschern alt. Viele von ihnen kommen aus bildungsfernen Schichten und müssen mit wenig Geld haushalten. Nicht nur, dass sie wenig über die Hintergründe der Billigklamotten erfahren - sie sind auf günstige Waren angewiesen.
Der Konzern nutzt die Psyche der Shopper
Entscheidender für Primarks Unverwundbarkeit ist aber, wie der Konzern die Psyche der Shopper nutzt. "Menschen sind ganz allgemein für die Belohnung durch Schnäppchen anfällig", sagt Konsumforscher Häusel. Glauben die Kunden, ein wertiges Produkt zum niedrigen Preis zu bekommen, freuen sie sich über ihren Jagderfolg. Auch in der Moderne funktioniert das Jäger-und-Sammler-Prinzip.
Die umsatzstärksten Modehändler der Welt
El Corte Inglés
Umsatz 2013: 14,789 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista, Stand: 2015
The Gap
Umsatz 2013: 16,149 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Marks and Spencer
Umsatz 2013: 16,391 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Kohl's
Umsatz 2013: 19,031 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
H&M
Umsatz 2013: 19,729 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Inditex (Beinhaltet Großhandelsumsätze)
Umsatz 2013: 22,265 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
LVMH (Schätzung)
Umsatz 2013: 24,392 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
TJX
Umsatz 2013: 27,423 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Macy's
Umsatz 2013: 27,931 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Sears
Umsatz 2013: 36,188 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Egal ist dabei, dass das Gefühl nur kurz hält. Dauerhaft zufrieden macht Primark-Mode offenbar selten. In einer Umfrage der Strategieberatung OC&C zur Zufriedenheit mit der Ware landet Primark auf den hinteren Plätzen, nur knapp vor Kik.
Beide Unternehmen verfolgen "eine klare Preisführerpositionierung und belegen konsequent erneut die Spitzenpositionen beim Preis, landen dafür aber bei Qualität weit hinten", heißt es in der Studie. Bei einer Jeans für zehn und einem T-Shirt für vier Euro erwartet offenbar niemand, dass Zufriedenheit inklusive ist. Hauptsache der Hintern ist bedeckt – möglichst modisch.
Wenn Glücksgefühl das Gewissen schlägt
Denn was Primark anderen Billigketten voraus hat, ist, dass ihre Kleindung modisch ausfällt. Das Design der Stücke ist aktuell und greift Stile der großen Labels auf – oder lässt sich zumindest gut mit ihnen kombinieren. Wer Primark trägt, ist kein Außenseiter. Er fällt unter modebewussten Jugendlichen nicht auf. Für ein kleines Taschengeld gibt es die Wirkung großer Modemarken.
Auch mit anderen Mitteln stärkt Primark das Gefühl, dass Kunden ein Schnäppchen machen können. Schon die Lage der Läden in den besten Teilen der Innenstädte suggeriert Qualität. Auch die Einrichtung der Läden leistet einen Beitrag. Mode, die auf den Kik-Wühltischen nach Ramsch aussieht, wirkt im Licht der Primark-Leuchten beinahe edel. Und wer eine Kik-Plastiktasche verschämt versteckt, trägt die braunen Öko-Papiertüten von Primark stolz durch die Stadt.
"Das ganz konkrete Glücks-Gefühl ist dabei sehr viel stärker, als der abstrakte Glaube, mit einem Verzicht die Welt zu verbessern", sagt Häusel. Die Belohnung schlägt das Gewissen, der Lifestyle-Faktor die Ablehnung der Billigmode.
Die Primark-Führung weiß genau um ihre Wirkung und nutzt sie geschickt, um Kunden einen Ausweg aus ihrem moralischen Dilemma zu bieten. Kritischen Nachfragen zu den Produktionsbedingungen begegnet Primark auf die einfachste Art: Der Konzern erklärt seine Methoden zum Branchenstandard. "97 Prozent der Fabriken arbeiten auch für Mitbewerber, die bekannten großen Textilunternehmen. Die Arbeiter sind also alle zu gleichen Bedingungen tätig und erhalten das gleiche Geld", sagte Wolfgang Krogmann, Deutschland-Chef der Modekette, Ende 2014 in einem Interview. Und wälzt die Anschuldigungen so auf die gesamte Textilwirtschaft ab.
Warum Primark so billig ist
Auch, wenn diese Argumentation Primarks Geschäftspraktiken in den Augen der Kritiker nicht weniger verwerflich macht: sie stimmt weitgehend. Tatsächlich produzieren viele große Mode-Hersteller in Schwellenländern. Viel von dem, was in deutschen Warnhäusern vertrieben wird, stammt aus Fabriken in Bangladesch oder Kambodscha. Dort fertigen es Näherinnen zu einem Spottpreis.
Dass Primark seine Kleidung zu Niedrigpreisen anbieten kann, liegt nicht allein an der Produktion in Billiglohnländern. Das Unternehmen drückt Kosten, wo es nur geht. An der Produktqualität wird gespart und Transport und Logistik so weit verschlankt, wie nur irgend möglich.
Werbung schaltet der Konzern erst gar nicht. Muss er auch nicht, denn das übernehmen Menschen wie Bibi und Dagi für ihn. Mit breitem Grinsen sitzen die beiden Frauen vor ihrer Computer. Wild gestikulierend halten sie abwechselnd Primark-Produkte in die Kamera. Einen Wäschesack, eine Bluse, Jogginghosen, Socken. Zu jedem Produkt haben die Frauen eine Anekdote parat. "Eigentlich ganz sweet", kommentieren sie, oder: "Das wird meine neue Lieblingsjogginghose."
Primark-Haul von Bibi und Dagi
"Haul"-Videos (englisch für "Beutezug"), in denen junge Mädchen ihre Shopping-Ausbeute präsentieren, sind auf Internet-Videoportalen wie YouTube der Hit. Bibis und Dagis Shopping-Ausflug nach Primark allein kommt mittlerweile auf mehr als 870.000 Abrufe. Und Hauls wie dieser finden sich zu Hunderten im Netz.
"Primark versteht es perfekt, die Sozialen Medien für sich zu nutzen", sagt Hans-Georg Häusel. Videos und Facebook-Likes sind für Primark die perfekte Werbung: zielgruppenspezifisch, glaubwürdig und nahezu kostenlos. Ab und zu sponsert der Konzern für beliebte Modeblogger nämlich auch mal ein paar Gutscheine. Werden die verlost, sorgt das für zusätzliche Aufmerksamkeit und hebt die Stimmung.
Was Primark wirklich schaden könnte
Doch die hohe Verbreitung im Social Web kann auch zum Problem für Modeketten wie Primark werden. Nämlich dann, wenn sich die eigenen Fans gegen die Marke wenden. Die norwegische Zeitung "Aftenposten" hat drei junge Modebloggerinnen in eine Nähfabrik in Kambodscha mitgenommen: Dahin, wo Billigmode entsteht. Eine Fabrik, die offenbar typisch ist für die Hersteller von Billigmode, auch wenn die "Aftenposten" keine Hersteller nennt.
So setzt sich der Ladenpreis für ein T-Shirt zusammen
Die Grafik zeigt, wie sich der Ladenpreis für ein T-Shirt zusammensetzt.
Quelle: Handelsblatt / Statista
Der Dokumentarfilm "Sweatshop" (mittlerweile auch auf englisch verfügbar) zeigt, wie die jungen Frauen auf die Konfrontation reagieren. Obwohl sie zumindest theoretisch wussten, was sie erwartet, trifft sie die Realität wie ein Schlag. Schluchzend versuchen die Frauen, das erlebte Elend vor der Kamera zu verarbeiten.
Auch in deutschen Medien und Netzwerken wurden der Film in den vergangenen Tagen verbreitet – ein Ärgernis für die Billigmodeketten. "Diese Art von Negativ-Berichten können Primark treffen, weil sie sich genau an die Zielgruppe richten und über deren Kanäle verbreitet werden", sagt Häusel. Dass sie dem Konzern dauerhaft schaden, bezweifelt er aber dennoch. Sobald die Bilder in Vergessenheit geraten, werden die Produktionsbedingungen eben doch wieder zu einem abstrakten Problem der anderen.
Aber kann ein Unternehmen, dessen Bild in der Öffentlichkeit dauerhaft so negativ ist, am Markt überleben? Das wäre weder neu noch besonders überraschend, glaubt Markenforscher Geißler: "Ryanair und Kik sind ja ebenfalls erfolgreiche Unternehmen trotz schlechtem Image." Für eine Niedrigpreis-Strategie braucht niemand ein hohes Ansehen.
Doch ein schlechtes Bild kann sich nur leisten, wer fortwährend billig ist. "Diese Unternehmen haben bei diesem Image keine Chance, den Preis anzuheben", sagt Geißler. Sobald Primark teurer würde, hätten die Kunden keinen Grund mehr, dort zu kaufen.
Ob das eine nachhaltige Strategie ist? "Vielleicht", sagt Geißler. "Discounter wie zum Beispiel Aldi haben ja durchaus über die Jahre ein gutes bis sehr gutes Image entwickeln können. Das ist aktuell bei Primark aber schwer vorstellbar."
Primark selbst scheint zumindest keinen Zweifel daran zu haben, dass die Strategie auch auf Dauer trägt. Die nächsten Expansions-Ziele sind bereits ausgewählt. Jede Stadt mit mehr als 200.000 Einwohnern gilt als potenzieller Primark-Standort.
Bereits im März kommen in Deutschland zwei neue Filialen hinzu. Kaiserslautern und Braunschweig sind die nächsten Punkte auf Primarks Landkarte.