Birkenstock-Übernahme Vom Öko-Latschen zur Luxus-Sandale

Französische Eleganz trifft auf die „deutschesten aller Sandalen“ – Birkenstocks. Quelle: dpa

Die Reichen und Schönen allein führen die Luxusbranche nicht mehr zu Wachstum. LVMH-Chef Bernard Arnault flirtet deshalb mit dem Mittelstand. Birkenstock passt da genau in sein Beuteschema.

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Wird Bernard Arnault künftig in Birkenstock-Latschen herumlaufen? Die Frage beschäftigt Frankreich tatsächlich, seit der reichste Bürger des Landes und Chef des Luxusgüterkonzerns LVMH Ende voriger Woche über die Private-Equity-Gesellschaft L Catterton sowie die Finanzholding seiner Familie, Financière Agache, die Mehrheitsübernahme bei dem Schuhfabrikanten aus Linz am Rhein ankündigte. Mon Dieu, schnell her mit dem Riechsalz. Französische Eleganz trifft auf die „deutschesten aller Sandalen“. Als Kompliment war die Beschreibung in den Kommentaren nicht gedacht. Praktisch, aber grässlich, so lautet das Urteil über die modische Expertise des Nachbarn. So mancher Berichterstatter erklärte erst einmal, was ein Fußbett ist - und war sicher, dass dessen Allianz mit Haute Couture nur eine weitere (fürchterliche) Folge der Corona-Pandemie sein könne, in der die Sitten im Home Office verkommen.

Doch Arnault würde nicht den größten Luxuskonzern der Welt mit einem - Corona-geschwächten - Jahresumsatz von zuletzt 44,7 Milliarden Euro führen, hätte er nicht in den vergangen drei Jahrzehnten immer wieder ein untrügliches Gespür für erfolgreiche Marken bewiesen und diese unter das Dach von LVMH geholt. 75 sind es inzwischen. Organisches Wachstum war nie die Sache des heute 71-Jährigen, dem über eigene Aktien und eine Tochtergesellschaft fast 47 Prozent des Konzerns gehören. Hersteller teurer Lederwaren und Mode wie Louis Vuitton, Dior, Fendi und Givenchy tragen den größten Teil zum Umsatz bei. Dazu kommen Wein, Spirituosen, Uhren und Schmuck, Kosmetika sowie die Wirtschaftszeitung „Les Echos“ und die Tageszeitungen „Le Parisien-Aujourd’hui en France“.

Schon als LVMH Ende 2016 80 Prozent des deutschen Koffer-Herstellers Rimova übernahm, ätzten Beobachter, Arnault verballhorne das Aushängeschild des französischen Savoir Vivre zum Gemischtwarenladen. Gewiss galten die metallenen Gepäckstücke für mehrere hundert Euro bei vielen Reisenden als Statussymbol. Die Kundschaft von Louis Vuitton ist allerdings in einer anderen Liga unterwegs.

Arnault richtete Rimova einen Flagship-Store in der von Luxusboutiquen gesäumten Pariser Rue Faubourg Saint-Honoré ein und schickte seinen damals gerade 23 Jahre alten Sohn Alexandre nach Köln mit der Mission, die zwar kultige, aber etwas angestaubte Marke zu verjüngen. Jetzt steht sie auch für Uhrenetuis, Sonnenbrillen und Rücksäcke mit Rimowa-Motiven oder Koffer, die wie ein Kampfanzug bemalt sind. Käuflich zu Preisen, die dem Namen LVMH angemessen sind.

Auf Birkenstock dürfte Arnault spätestens 2012 aufmerksam geworden sein. Da nämlich präsentierte Phoebe Philo, damals Chef-Designerin des LVMH-Labels Celine, den „Furkenstock“. Der Birkenstock nachempfundene Schuh war innen mit Fell (Englisch: Fur) gefüttert und bescherte dem Original aus Linz eine solche Nachfrage, dass Birkenstock-Chef Oliver Reichert sogar von seinen sonst üblichen Feldzügen gegen Fälschungen absah.

Der „Furkenstock“ wurde in seiner Klobigkeit höchstens von den Ugg Boots aus Kalifornien übertroffen, reihte sich jedoch ein in die „It-Pieces“ junger Frauen, die sich auch modisch nicht mehr einengen lassen wollten. Ob der jüngste Befreiungskampf jener Französinnen, die sich mit Ausbruch der Corona-Pandemie auch noch ihrer bis dahin in überdurchschnittlichen Mengen und Spitzenqualitäten konsumierten BHs entledigten, den letzten Ausschlag für Arnaults Entscheidung für Birkenstock gaben, ist nicht überliefert.

Klar ist jedoch: Der Multimilliardär, der privat eine 100 Meter lange Superyacht fährt und den Star-Architekten Frank Gehry mit dem Bau eines 100 Millionen Euro teuren Museums in Paris für einen Teil seiner Privatsammlung engagierte, will und muss geschäftlich eine neue Generation von Käufern auch aus der Mittelschicht heran ziehen. Das galt bereits vor Corona und wird nun umso wichtiger. Zwar konnte LVMH den Umsatzschwund im letzten Quartal 2020 bremsen. Bereinigt um Währungseffekte und Veränderungen in der Konzernstruktur lagen die Erlöse zwischen Oktober und Dezember lediglich um drei Prozent unter dem Niveau des Vorjahresquartals. Im Gesamtjahr brachen sie jedoch um 16 Prozent ein. Ob und wann LVMH an sein Wachstum anknüpfen kann, das den Umsatz zwischen 2006 und 2019 auf gut 53 Milliarden Euro mehr als vervierfachte, ist unsicher.



Die Unternehmensberatung Bain & Company, die gemeinsam mit dem italienischen Luxusgüterverband Fondazione Altagamma seit 19 Jahren die Luxury Goods Worldwide Market Study erstellt, rechnet damit, dass sich der Umsatz der Branche frühestens Ende 2022, wahrscheinlich aber erst im Lauf des Jahres 2023 wieder auf dem Niveau von 2019 bewegen wird. Hinzu kommt ein seit Jahren zu beobachtender Wandel, den die Pandemie und ihre Folgen nun womöglich zementieren:„Die Modebranche erlebte bereits eine Entwicklung, die von sportlichen Aktivitäten und einer Hinwendung zu einem legeren Kleidungsstil getragen war,“ erklärt die Luxusmarkt-Expertin Fflur Roberts vom Marktforschungsunternehmen Euromonitor International. „Dieser Trend hat sich durch die Pandemie beschleunigt.“ Verbraucherinnen und Verbraucher würden sich zunehmend für modische „Loungewear“ und locker-zwanglose „Casual“-Kleidung entscheiden. „Infolgedessen sind die Verkaufszahlen von formeller Kleidung, Anzügen und Bürokleidung zurückgegangen, während bequeme Kleidung und Schuhe, so wie Birkenstocks, in der Pandemie an Beliebtheit gewonnen haben.“

Dazu passt, dass 2020 die Schuhproduzenten im Luxus-Segment insgesamt relativ glimpflich davon kamen, da sie unter anderem bei Sneakern geringere Einbußen verzeichneten. Auch der erfolgreiche Börsengang der zu Private-Equity-Gesellschaft Permira gehörenden britischen Marke Dr. Martens unterstreicht das große Interesse an bequemem Schuhwerk.

Deshalb setzt Arnault auf Trends. Auf Bodenhaftung anstatt High Heels. Birkenstock rückt zwar durch den beabsichtigten Einstieg über die beiden Finanzvehikel des Multimilliardärs nicht unter das Dach von LVMH, aber das könnte ein vorübergehender Test sein. Die Sandale aus Linz erfüllt trotz des erschwinglichen mittleren Preissegments ein für LVMH nötiges Qualitätskriterium: Sie wird mit traditioneller Handwerkskunst assoziiert. Wenn „Vogue“-Redakteurinnen dann auch noch schwärmen, Birkenstock an den Füßen lasse Haute Couture erst richtig zur Geltung kommen und die US-Schauspielerin Frances Mc Dormand das sogar bei den Filmfestspielen in Cannes in Kombination mit einem Valentino-Dress unter Beweis stellt, können die Treter so verkehrt nicht sein. Zumal sich an ihnen in den vergangenen Jahren bereits einige namhafte Designer ausprobieren durften.

„Die meisten unserer Marken bieten auch Produkte zu Einstiegspreisen an,“ sagte Arnault der WirtschaftsWoche nach dem Einstieg bei Rimova. „Bei Dior finden Kunden Haute Couture, aber auch einen Lippenstift für 30 Euro.“ Louis Vuitton begann nach 70 Jahren Abstinenz im Sommer 2016 erneut damit, Parfums auch für einen kleineren Geldbeutel aufzulegen und geht mit Taschen und Accessoires verschiedener Preisklassen mit einer jungen Klientel auf Tuchfühlung. Im selben Jahr folgte die Übernahme der russischen Kosmetikkette Ile de Beauté, eine Art Douglas des Ostens. Kurz vor der Bekanntgabe der geplanten Mehrheitsübernahme bei Birkenstock machte LVMH die Beteiligung an der Champagner-Kellerei Armand de Brignac des US-Rappers Jay-Z öffentlich.

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Nun muss Arnault noch die teuerste seiner Akquisitionen erfolgreich bei LVMH integrieren. Für den New Yorker Juwelier Tiffany legte er nach monatelangen Querelen über einen bereits abgeschlossenen Deal schließlich rund 13 Milliarden Euro auf den Tisch. Auch diese immer noch mit Audrey Hepburn und ihrem Film-Frühstück vor dem Schaufenster verbundene Marke soll verjüngt werden und in Asien auf Neukundinnen-Fang gehen. Dorthin will Arnault auch Birkenstock mitnehmen. Vielleicht ja dann mit echten Juwelen veredelt.

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