Noch mal in Deutschland investieren? Christophe Passelande winkt ab: „Den Betrieben dort mangelt es an Wettbewerbsfähigkeit.“ Das sagt ein Franzose, der seit Monaten in den Nachrichten hört, dass sich Frankreichs Industrie ein Beispiel am Nachbarn jenseits des Rheins nehmen sollte.
Passelande ist Geschäftsführer von Malteries Soufflet, der mit 2,15 Millionen Tonnen Kapazität weltgrößten Mälzerei aus Nogent-sur-Seine südöstlich von Paris. Und für seine Branche senkt er den Daumen über Deutschland: „Die Energiepreise sind zu hoch.“ Die Energiewende, prophezeit er, werde zahlreiche der bereits vom sinkenden Bierkonsum gebeutelten deutschen Mälzereien zum Aufgeben zwingen.
In Mälzereien wird Gerste durch Keimen und Trocknen zu Malz für die Herstellung von Bier verarbeitet. In Deutschland setzen rund 55 Mälzereien mit zusammen 1.000 Mitarbeitern gut 800 Millionen Euro um. Die größten sind Avangard Malz (Gelsenkirchen, Bremen, Koblenz, Lechfeld/Bayern, 341.000 Tonnen), Malteurop Deutschland (Rostock, Langerringen/Bayern, Heidenau/Sachsen, 250.000 Tonnen) und die Erfurter Malzwerke mit 250.000 Tonnen.
Die Nummer vier, Durst Malz, wurde 2011 vom Weltmarktführer Malteries Soufflet übernommen, der zum Agrokonzern Soufflet gehört. Er hat in Deutschland nun Zugriff auf eine Produktionskapazität von 200.000 Tonnen in Gernsheim (Hessen), Heidelsheim (Baden-Württemberg) und Castrop-Rauxel (Nordrhein-Westfalen). Der Haken: Durst Malz zahlt 125 bis 130 Euro für 1.000 Kilowattstunden Strom – in Frankreich wären es nur 70 bis 75 Euro.
Die Top Ten Brauereien in Deutschland
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 11.440 Export: 560
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 8000 Export: 4000
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 7015 Export: 507
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 6983 Export: 507
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 5510 Export: 168
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 4400 Export: 1000 (v.a. Paulaner)
Verkauf 2012 in Hektoliter: Deutschland: 3970 Export: 590
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 2700 Export: 200
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 2660 Export: 240
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 2621 Export: 166
An dem Grund für diese Diskrepanz kommt Passelande jeden Morgen auf dem Weg ins Büro vorbei: den beiden Kühltürmen des Atomkraftwerks von Nogent-sur-Seine. Kernenergie ist seit den Siebzigerjahren Frankreichs Garantie für niedrige Energiepreise. Soufflet betreibt zudem eine eigene Biogasanlage. „Der größte Kostenfaktor in unserer Branche ist die Energie“, sagt Passelande. Das Einweichen, Keimen und Darren der Braugerste in den schwülheißen Bunkern dauert gut zwei Wochen.
Von einem absehbaren Massensterben deutscher Mälzereien will der Deutsche Mälzerbund in Frankfurt zwar nichts wissen. Wenn die Befreiung von der Umlage im Rahmen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes auf Druck aus Brüssel fällt, erwartet aber auch Geschäftsführer Michael Lerch, „dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer Mälzereien weiter zurückgehen wird“. In den kommenden Jahren würden wohl einige der kleinen Betriebe schließen, gerade wenn der Nachwuchs fehle.
Nischen oder Kooperationen
So, wie es etwa Thomas Finkler für die bayrische Kleinmälzerei Fritz Finkler voraussagt: „Ich bin die letzte Generation.“ Seinem Sohn habe er abgeraten, den Betrieb weiterzuführen – „auch wegen der Energiepolitik, die unser Staat betreibt, bei der wir Kleinen draufzahlen“.
Andere suchen in der Nische ihr Auskommen, etwa mit der Malzproduktion für Spezialbiere, oder gehen wie die schwäbische Kleinmälzerei Dürrwanger Kooperationen ein. Im Zusammenschluss Schwabenmalz sei die Kalkulation beim Gerstenkauf fast auf dem Niveau einer Großmälzerei möglich, sagt Chef Markus Dürrwanger. „Ohne diesen Verbund könnte ich bei einer fremden Firma den Hof kehren.“
Denn zu den hohen Kosten kommt hinzu, was Soufflet-Geschäftsführer Passelande die „Schlacht um jeden Hektar“ nennt. Weil die Preise für Braugerste stark schwanken – derzeit werden laut Mälzerbund 180 bis 200 Euro pro Tonne bezahlt –, schwenken viele Landwirte auf Mais für Biogasanlagen um. Da sind die Abnahmepreise über 15 Jahre garantiert und die Ansprüche an das Produkt geringer. Braugerste darf einen Eiweißgehalt von maximal 11,5 Prozent haben. Wird er überschritten, sinkt der Preis um fünf bis zehn Euro pro Tonne auf das Niveau von Futtergetreide. Das Risiko trägt der Landwirt.
Deutschlands Anbaufläche für Braugerste ist daher unter 390.000 Hektar gesunken. Im Durchschnitt der vergangenen sieben Jahre waren es noch 480.000 Hektar. Im Hauptanbauland Bayern wurde 2013 ein Rekordtief von 101.500 Hektar verzeichnet. Kein Wunder, dass Deutschland inzwischen ein Importland für Braugerste ist: Von rund 2,2 Millionen Tonnen, die die deutschen Mälzereien pro Jahr brauchen, führen sie rund ein Drittel ein und haben dadurch zusätzliche Logistikkosten.
Auch auf der Absatzseite hakt es. Der Bierkonzern AB InBev, größter Kunde der Soufflet-Mälzereien vor SAB Miller, Heineken und Carlsberg, erwartet in den kommenden 10 bis 15 Jahren für Deutschland einen Rückgang des Bierdurstes um weitere 20 Millionen Hektoliter. Zwischen 2004 und 2012 sank der Verkauf bereits von 106 auf 96 Millionen Hektoliter.
Den dadurch sinkenden Malzabsatz könnten die Mälzereien in Deutschland nicht durch höheren Export auffangen, sagt Passelande: „Das lohnt sich wegen der Transportkosten für den Import von Gerste und der hohen Energiepreise nicht. Deshalb steht eine Restrukturierung des Marktes bevor.“ Viele müssten aufgeben oder sich zusammenschließen, um zu sparen.
Geschlossene Gesellschaft
Warum hat trotz der widrigen Umstände Soufflet 2011 Durst Malz übernommen? „Der deutsche Biermarkt ist eine geschlossene Gesellschaft“, sagt Passelande. „Man kennt sich untereinander. Auch wenn rund 50 Prozent der Mälzerei-Kapazitäten inzwischen formal in ausländischer Hand sind, wollen vor allem kleinere Brauereien bei Mälzern kaufen, die im Inland produzieren.“ Deutschlands Nummer eins Avangard Malz gehört der ukrainischen Bank Avangard. Markt-Vize Malteurop Deutschland gehört zur gleichnamigen französischen Gruppe und die Nummer fünf Schill Malz zur australischen Graincorp.
Zu teurer Gerstensaft - Millionenstrafe für Bierkartell
Von den 4,7 Milliarden Euro Umsatz von Soufflet 2012 entfielen gut 327 Millionen auf die mehr als 25 Mälzereien. Das Gros des Umsatzes macht der Konzern mit dem Kauf und Verkauf von Getreide. Mit der Mehrheitsübernahme der brasilianischen Malteria do Vale 2012 stieg Soufflet von Europas größter zur weltgrößten Mälzerei auf.
Auf Länder wie Brasilien, Indien, aber auch Staaten in Afrika und Asien konzentriert sich nun das Interesse. Nach Asien und Afrika exportiert Soufflet Malz aus Frankreich. In Indien, wo Braugerste laut Passelande mangels Brautradition von schrecklicher Qualität ist, experimentiert Soufflet wie auch in Äthiopien, Kenia und Mosambik mit Gerstensorten, um irgendwann den Markt vor Ort zu versorgen.
Auch in Deutschland versucht Soufflet, die Bauern bei der Stange zu halten – mit Gerste, die höhere Erntevolumen, bessere Qualität und mehr Resistenz gegen Krankheiten verspricht.
Von einer Steigerung der Anbauflächen kann jedoch keine Rede sein: Wenn man die existierenden Gerstenfelder wenigstens halten könnte, sagt Passelande, wäre das schon ein Fortschritt.