Britische Supermarktkette Tesco „Drastic Dave“ sagt Aldi und Lidl den Kampf an

Die Discounter Aldi und Lidl locken immer mehr Briten in ihre Läden. Platzhirsch Tesco will das Feld aber nicht kampflos räumen.

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Aldi und Lidl: Tesco sagt den Discountern den Kampf an Quelle: Reuters

London Der britische Supermarktriese Tesco hat schwierige Jahre hinter sich. Tesco-Chef Dave Lewis aber hat aufgeräumt – und das mit Erfolg. Im vergangenen Jahr kletterte der operative Gewinn der größten britischen Supermarktkette um 28 Prozent auf 1,64 Milliarden Pfund, umgerechnet 1,9 Milliarden Euro.

Die Umsätze legten um 2,3 Prozent auf 51 Milliarden Pfund zu. „Ich bin sehr zufrieden mit den Ergebnissen“, erklärte Lewis bei der Präsentation der Zahlen am Mittwoch.

Als er vor drei Jahren von Unilever zu Tesco kam und dort den Chefposten übernahm, sah es noch düster aus: Fast neun Milliarden Euro Verlust schrieb das Unternehmen, dazu kam ein imageschädigender Bilanzskandal, als bekannt wurde, dass die Halbjahreszahlen des Konzerns zwei Jahre zuvor nicht stimmten.

Aber Lewis machte seinem Spitznamen „Drastic Dave“ alle Ehre: Schlecht laufende Unternehmenssparten und Produkte wurden aussortiert, neue Produkte eingeführt, auf allen Ebenen Kosten gespart – und gleichzeitig mit dem Kauf des Großhändlers Booker, der erst vor wenigen Tagen abgeschlossen wurde, eine riesige Übernahme gestemmt. Lewis habe sehr gute Arbeit geleistet, lobte Branchenexperte Bryan Roberts von TCC Global.

Die Geschäfte bei den britischen Supermarktketten laufen derzeit gut – nicht nur bei Tesco. Wie das Marktforschungsunternehmen Kantar Worldpanel kürzlich vermeldete, zahlten die Briten zuletzt für ihren Lebensmitteleinkauf 3,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Jede der vier großen Supermarktketten auf der Insel – Tesco, Sainsbury, Asda und Morrison's – nahm mehr ein.

Aber die Freude der britischen Manager wird sich trotzdem in Grenzen halten. Denn so gut ihre Zahlen auch aussehen: Die deutschen Discounter Aldi und Lidl werden immer mehr zu einer Bedrohung. Seit die beiden Discounter vor gut 20 Jahren auf der Insel den ersten Laden eröffneten, locken sie immer mehr Briten an.

Der Marktanteil von Tesco beträgt zwar fast 28 Prozent und liegt damit deutlich vor dem von Aldi und Lidl, die auf 7,3 beziehungsweise 5,3 Prozent kommen – aber der Abstand schmilzt. „Viele der etablierten Supermärkte haben lange die Gefahr unterschätzt, die von den deutschen Discountern für sie ausgeht“, sagt Paul Martin, Retail-Experte von KPMG in London dem Handelsblatt. „Die Zeiten haben sich geändert. Meine Großmutter wäre nie in einen Discounter gegangen. Aber nun gehen auch Briten aus der Mittelschicht dort einkaufen“.

Mit geschicktem Marketing haben es Aldi und Lidl geschafft, zumindest auf den ersten Blick nicht als deutsches Unternehmen wahrgenommen zu werden. Besonders die Entscheidung von Aldi, vergangenes Jahr die auf der Insel beliebte und erfolgreiche Olympia-Mannschaft zu sponsern, gilt unter Experten als kluger Schachzug. Und Lidl schaltet im britischen Fernsehen unzählige Werbespots, die skeptische Briten von frischen Osterglocken britischer Herkunft oder Miesmuscheln aus Schottland überzeugen sollen.

Tatsächlich würde der Blick in die Regale auch viele deutsche Stammkunden von Aldi oder Lidl überraschen: In einem Londoner Aldi findet man Hähnchen aus britischer Aufzucht, Sardinen aus Cornwall und – zum Schulanfang – sogar Kleidungsstücke für die Schuluniform. Wein und Sekt kann man sich kostenlos nach Hause liefern lassen.

Darüber hinaus wurden Produkte der Discounter von der in Großbritannien bekannten Verbraucherorganisation „Which?“ und der Zeitschrift „Good Housekeeping“ ausgezeichnet. Und schließlich kommt den Discountern zu Gute, dass viele Verbraucher mittlerweile stärker darauf achten, wie viel Geld sie ausgeben – auch oder gerade für ihre Lebensmittel.

All das zeigt Wirkung. In den zwölf Wochen bis Ende Februar verbuchten die beiden deutschen Discounter laut Kantar ein Umsatzplus von mehr als 13 Prozent. Und Aldi und Lidl wollen auf der Insel weiter kräftig expandieren. Aldi UK will bis 2022 mehr als 1000 neue Supermärkte eröffnen, 70 davon in diesem Jahr. Lidl hat sich vorgenommen, allein in diesem Jahr 50 neue Geschäfte auf der Insel zu eröffnen.

Ein Großteil des Wachstums, das Aldi und Lidl verbuchen, kommt daher auch von der Expansion, erklärt Branchenexperte Ray Gaul von Kantar. Die beiden Unternehmen seien „bereits seit geraumer Zeit unglaublich profitabel, weswegen sie immer wieder neue Läden eröffnen können”.

Doch es regt sich Widerstand. Wie die „Sunday Times“ vergangenen Herbst berichtete, plant Tesco selbst eine Art Discounterkette mit günstigen Produkten und einem eingeschränkten Sortiment von rund 3000 Produkten – im Gegensatz zu den 30.000, die derzeit in einem normalen Tesco-Supermarkt stehen. Offiziell will man das nicht bestätigen. „Wir reden erst über Innovationen, wenn wir sie auf den Markt bringen“, wiegelt Tesco-Chef Lewis am Mittwochmorgen die Fragen der Journalisten ab. Aber die Gerüchte halten sich hartnäckig.

Es wäre nicht der erste Vorstoß von Tesco in dieses Segment. Bereits 1982 hatte der damalige Tesco-Chef Ian MacLaurin eine eigene Discounter-Kette ins Leben gerufen. Doch gerade einmal vier Jahre später wurde die Kette namens Victor Value weiterverkauft. „Es ist nicht einfach, in ein neues Segment mit einem komplett anderen Geschäftsmodell vorzustoßen“, sagt KPMG-Experte Martin. Aber offenbar ist Tesco-Chef Lewis bereit, es zu versuchen – und hat nach der Arbeit des vergangenen Jahres eine gute Grundlage dafür geschaffen.

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