Zuerst hat Mathias Hajek Glück. 1986 bekommt der Düsseldorfer PR-Fachmann eine Uhr geschenkt, das Klassiker-Model Reverso von Jaeger-LeCoultre. Im September 2012 verfärbt sich das Zifferblatt ein wenig. Seitdem hat Hajek Pech.
Er bringt die Uhr zwecks Zifferblattwechsel zur Juwelierkette Wempe an der Düsseldorfer Königsallee. Bald darauf bekommt Hajek die Nachricht, sein Zeitmesser sei zum Hersteller in die Schweiz gesandt worden, was wegen der Zollbestimmungen die Reparatur ein wenig verzögern könne. Nach zwei Monaten hat zumindest der Kostenvoranschlag den Weg zurück nach Düsseldorf geschafft: Nötig sei viel mehr als ein neues Zifferblatt, nämlich eine Grundüberholung – Wasser sei eingedrungen – plus neues Glas, neue Ziffern, neue Zeiger und neues Armband zum Preis von rund 2000 Euro.
Luxusuhren: Geldanlage oder Kostenfalle?
Hajek widerspricht dem Großauftrag: „Warum auch die anderen intakten Teile der Uhr für viel Geld hätten ersetzt werden sollen, konnte mir niemand erklären.“ Er gönnt seiner Uhr Zifferblatt und Dichtigkeit für 730 Euro.
Ein Vierteljahr später holt Hajek die Uhr bei Wempe ab und will nicht glauben, was er sieht: „Ich packe die Uhr aus und erkenne das alte, verfärbte Zifferblatt.“ Also Hajek zurück zu Wempe und die Jaeger-LeCoultre zurück in die Schweiz.
Nach insgesamt neun Monaten Wanderschaft sieht Hajek seine Uhr samt neuem Zifferblatt im vergangenen Juni endlich wieder. Was an der Reparatur so schwierig war? Wempe wollte dazu auf Anfrage der WirtschaftsWoche keine Stellung nehmen.
Wie Sie sensible Uhren richtig pflegen
Es klingt banal, wird aber häufig vergessen: Eine mechanische Uhr geht am besten, wenn sie geht. Sie sollte also regelmäßig aufzogen werden, statt im Tresor zu liegen. Das liegt an den Fetten, die die Uhrwerke schmieren. Werden die mechanischen Teile nicht bewegt, verharzen sie. Materialien wie Silizium könnten die Fette in Zukunft verzichtbar machen. Selten getragene Automatik-Uhren profitieren von einem mechanischen Uhrenbeweger, der die Uhr rotieren lässt. Vorsicht bei Quarzuhren: Auch in edlen Marken stecken Batterien, die bei Lagerung auslaufen und die Uhr ruinieren können. Also vorher die Batterie entfernen.
Wasserdichtigkeit wird in Deutschland mit der DIN 8310 (DIN 8306 bei Taucheruhren) geprüft. 90 Sekunden bei 20 Meter Tiefe oder 30 Minuten auf einem Meter müssen die Dichtungen aushalten – vorausgesetzt, die Uhr wird stillgehalten. Bewegt sich ihr Träger aber im Wasser, kann der Druck steigen. Auch die Angabe „Wasserdicht bis 5 ATM“, was einer Tiefe von 50 Metern entspricht, ist irreführend. Wer sichergehen will, nutzt besser eine Taucheruhr und lässt die Dichtungen regelmäßig wechseln.
Schon der Impuls, der beim Golfschlag auf die Uhr einwirkt, kann die feinen Rädchen auf die Dauer über Gebühr belasten. Zudem sollten Uhren nicht in der Nähe von Magnetfeldern wie bei Telefonen oder Lautsprechern gelagert werden.
Viele Luxusuhrenhersteller beliefern Juweliere wie Wempe oder freie Uhrmacherwerkstätten nicht mit Ersatzteilen, selbst wenn sie offizielle Konzessionäre der jeweiligen Marke sind. Die Hersteller wollen das Geschäft mit Wartungen und Reparaturen selbst machen. Denn damit lässt sich noch Jahrzehnte nach dem Kauf viel verdienen. Allen voran die drei den Uhrenmarkt beherrschenden Luxusriesen LVMH, Richemont und Swatch Group kontrollieren auch das sogenannte Aftersales-Geschäft.
Hajeks Ärger teilen deshalb viele Kunden. Ein hessischer Uhrmacher, ausgebildet von Jaeger-LeCoultre und heute selbstständig, kennt die Tricks: „Selbst wer den höchsten Eignungslevel dieses Herstellers hat, darf als Externer keine Reparaturen ausführen.“ Daher zahle der Kunde drauf: „Dichtungen etwa sind ein Pfennigteil. Reparatur und Prüfung kann ich vor Ort für 60 Euro machen. Stattdessen muss ich die Uhr an den Hersteller schicken, und der Kunde zahlt dafür 600 Euro.“
Hinzu komme: „Viele Hersteller haben in kurzer Zeit viele Mitarbeiter ohne die nötige Qualifikation eingestellt, oft sind das nicht mal Uhrmacher. Das führt häufig zu einer miesen Qualität der Reparaturen“, kritisiert der Uhrmachermeister.
Hersteller schröpfen Uhrmacher
Dabei verfügen viele freie Uhrmacher über den Meisterbrief, teures markenabhängiges Spezialwerkzeug, Zertifikate genau dieser Hersteller und reparieren erfolgreich Luxusuhren von Chopard oder Patek Philippe. Doch von der Mehrheit der Hersteller – darunter Cartier, Breitling, Audemars Piguet, Jaeger- LeCoultre – bekommen sie weder Schraube noch Uhrwerk.
Beispiel Swatch Group: Der Schweizer Uhrenkonzern beherrscht geschätzte 80 Prozent des Zuliefermarktes. Swatch hat sich auf Druck inzwischen bereit erklärt, Uhrmacher mit Ersatzteilen zumindest für seine günstigeren Marken zu bedienen wie Tissot, Rado, Union Glashütte oder Longines. Für das hauseigene Luxussegment mit den Marken Breguet, Blancpain und Omega gilt das nicht.
Zudem versuchen Hersteller gern, den Kunden eine große Revision oder Reparatur zu verkaufen. Wer zum Beispiel die Dichtigkeit nicht erneuern lässt, sobald es der Hersteller nach dem von ihm aufgestellten Zeitplan rät, verliert Gewährleistungsansprüche. Doch kein Kunde kann anschließend auch kontrollieren, ob die teuer honorierten Feinarbeiten im Inneren der Uhr tatsächlich ausgeführt wurden. Öffnete er sie, wäre es wieder vorbei mit der Dichtigkeit.
Luxusuhren: Geldanlage oder Kostenfalle?
„Und welche Verkäuferin warnt einen Kunden, dass seine Favoritenuhr statt wie bei anderen Marken alle fünf bis sieben Jahre leider alle zwei Jahre gewartet werden muss, weil sie so empfindlich und die Ganggenauigkeit so unpräzise ist? Das kostet jedes Mal 1200 bis 1400 Euro“, ärgert sich Hauke Heffels, Uhrmachermeister und öffentlich bestellter Sachverständiger der Handwerkskammer Aachen.
Die Hersteller schröpfen auch die Uhrmacher. Glashütte Original rückte eine Sperrklinge mit Feder für 15 Euro nur raus, wenn der Uhrmachermeister zuvor „6 bis 8 kostenpflichtige Schulungen à 1 Woche absolviert hat“, so ein internes Papier. Kosten für die Zwangsfortbildung: rund 1500 Euro.
Auch Cartier bestellt externe Uhrmacher zu Weiterbildungen ein. „Aber das sind reine Werbeveranstaltungen, anschließend darf unser zertifizierter Betrieb trotzdem nur Batterien auswechseln“, ärgert sich Ernst August Kortenhaus aus Mettmann, Vorstand der Uhrmacher-Innung Nordrhein-Westfalen.
Wettbewerbsverzerrende Herstellerpolitik
Anders agiert Patek Philippe, einer der teuersten Uhrenhersteller mit Preisen von 20.000 Euro aufwärts. „Wie liefern Ersatzteile auch an externe Uhrmacher“, sagt Deutschland-Chef Yannick Michot. „Um die Qualität ihrer Reparatur an unseren hoch komplizierten Uhren sicherzustellen, müssen sie aber an einem vierwöchigen Lehrgang in unserer Zentrale in Genf teilnehmen. Das kostet sie nichts, an Reparatur und Restaurierung wollen wir gar nicht verdienen. Aber die Uhrmacher müssen nachweisen, dass ihre Werkstatt auf höchstem Niveau arbeitet und über Spezialwerkzeuge unserer Marke verfügt.“
Für die Uhrmacher ist das Verhalten der anderen Hersteller oft geschäftsschädigend. „Durch die Nichtbelieferung entsteht bei meinen Kunden der Eindruck, als Handwerker sei ich inkompetent, die Reparatur ausführen zu können“, klagt der Sachverständige Heffels. „Das verursacht erhebliche wirtschaftliche Verluste.“
Die deutschen Uhrmacher fürchten, ihnen könne es ergehen wie den belgischen Kollegen: Binnen zehn Jahren schloss dort rund ein Viertel die eigene Werkstatt für immer. Die Belgier beklagen, der Hauptgrund sei die wettbewerbsverzerrende Herstellerpolitik gewesen.
Bereits 2004 reichte der europäische Uhrmacherverband CEAHR gegen das Ersatzteilembargo eine Beschwerde bei der EU-Kommission wegen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein. Zunächst blitzten sie bei der Kommission mangels „Gemeinschaftsinteresses“ ab. Doch die rebellischen Uhrmacher zogen 2010 erfolgreich vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Nun hat die EU- Kommission ein Kartellrechtsverfahren gegen eine Reihe – nicht namentlich benannter – Luxusuhrenhersteller eingeleitet. Dem Brüsseler Flurfunk nach steht es nicht schlecht für die freien Uhrmacher.
Das liegt ausgerechnet an der Automobilindustrie: Auch dort weigerten sich Hersteller bis 2007, Ersatzteile an freie Werkstätten zu liefern, und argumentierten mit Designschutz. Bei der EU-Wettbewerbskommission zog das Argument nicht. Sie verdonnerte die Autobauer zur Belieferung auch externer Werkstätten.
Doch selbst wenn auch die beklagten Uhrenhersteller am Kartellpranger landen: Ein Rüffel der EU bringt sie kaum eine Sekunde aus dem Takt. Auch wenn es in diesem Jahr einen Knick in der Nachfrage gibt: Das größere Geschäft mit Edeluhren findet längst weit weg von Europa statt – in Hongkong, den USA und China.