Corona im Onlinehandel „Der Handel erlebt einen Strukturwandel wie früher die Stahlindustrie“

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Lieferprobleme und Preiskriege

Bei Jürgen Schuster und seinen drei Shops zeigten sich schon zu Beginn der Krise Probleme: Zunächst sei unklar gewesen, ob die Auslieferung durch Paketdienste, vor allem aber durch Speditionen, grenzüberschreitend reibungslos funktionieren würde. „Das ist für uns sehr kritisch, da wir Logistikzentren in Deutschland und Polen betreiben“, sagt Schuster. „Dann hatte unsere Logistik sehr viel zu tun, um die hohe Bestellanzahl einigermaßen fristgerecht abzuarbeiten.“ Hinzu kommen deutlich mehr Kundenanfragen als sonst. Man habe zwar Personal aufgestockt und interne Unterstützung für die am stärksten geforderten Bereiche organisiert, „das ging jedoch nicht schnell genug und in dem Umfang, wie wir uns das gewünscht hätten“, sagt Schuster.

Galaxus handhabt ähnliche Probleme recht pragmatisch: „Wenn wir Lieferengpässe haben, dann teilen wir den Kunden das auch mit. Wir passen unsere Lieferzeiten so an, dass wir nichts versprechen, was wir nicht halten können.“ Auf jede Lieferung schlage das Unternehmen einen zusätzlichen Tag Puffer auf. Eine Lieferung am nächsten Tag – wie sonst häufig üblich – sei gerade einfach nicht möglich.

Trotz der Herausforderungen erwartet Jürgen Schuster für 2020 ein sehr gutes „Gartenmöbeljahr“ mit weiter überdurchschnittlichen Umsätzen bis in den Spätsommer. Allerdings sieht er mit 2021 ein herausforderndes Jahr auf sich und die Branche zukommen. „Einerseits, weil einige Käufe sicher vorgezogen wurden, andererseits weil dann die Gefahr besteht, dass die Rezension auf die Geldbeutel vieler Bürgerinnen und Bürger durchschlägt und außerdem vielleicht Konsumausgaben, auf die man aktuell verzichten muss, wie Restaurantbesuche, Reisen oder Veranstaltungsbesuche, vergleichsweise eher stärker nachgefragt werden – zulasten von Dingen wie Gartenmöbel.“

Modekrise

Mit Nachfragerückgängen kennen sich Modehändler derzeit bestens aus. Die Unternehmen befinden sich mitten im „Strukturwandel“, wie ihn Handelsexperte Stahl beschrieben hat. Unter ihnen Peek und Cloppenburg (P&C). Wenigstens habe das Online-Geschäft durch die Corona-Pandemie angezogen, „da über Wochen der E-Commerce unser einziger Verkaufskanal war“, teilt P&C auf Anfrage mit. Entsprechend habe man sich darauf konzentriert, den Online-Handel durch gezielte Marketingmaßnahmen und Kundenkommunikation voranzutreiben. „Schritte wie Rabattaktionen, Zielgruppenansprache und die Verlängerung der Retourenfrist auf 100 Tage Rückgaberecht haben Erfolg gezeigt.“

Für Ernst Stahl sind das logische Schritte: „In der Modebranche werden wir einen Preiskampf erleben – ob in den Geschäften oder im Internet. Die Sommerware, die die Händler vor vielen Monaten geordert und gekauft haben und die sie in den letzten Monaten nicht verkaufen konnten, muss natürlich raus. Da ist vielen Händlern jeder Euro recht“, sagt Stahl. „So günstig werden Sie vermutlich nie mehr Badehosen kaufen können.“ Tatsächlich: „Der Start für die Herbst-/Winter-Saison verschiebt sich in diesem Jahr etwa um vier bis sechs Wochen, sodass wir in diesem Zeitraum weiterhin unsere Sommermode on- und offline anbieten können und hoffen, ein wenig Geschäft aus dem Frühjahr nachzuholen“, heißt es bei P&C.

Immerhin ist das Hauptgeschäft der Modehäuser nach wie vor der stationäre Handel. „Das bedeutet, die Online-Umsätze können die starken Verluste während des Lockdowns nicht ansatzweise ausgleichen“, teilt das Unternehmen mit. Inzwischen seien in Deutschland zwar alle Verkaufshäuser wieder auf ganzer Fläche geöffnet, doch die Kundenfrequenz „ist gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgegangen und die Konsumstimmung bleibt sehr verhalten“.

Wo also verkaufen?

Die größten Gewinner dieses Strukturwandels „sind die Online-Marktplätze, die viele Händler bündeln – etwa Amazon oder Ebay“, sagt Ernst Stahl. Gerade Amazon wird häufig als Feind der anderen Shops dargestellt. Stahl kann dieser Darstellung in der Coronakrise nicht viel abgewinnen: „Für viele stationäre Händler, die in den letzten Monaten oder bis heute nicht stationär verkaufen konnten und können, ist Amazon durchaus auch ein möglicher Rettungsanker“, sagt er. „Als Händler können sie hier leichter Waren verkaufen, ohne einen eigenen Shop aufzubauen. Auch den Versand können Sie von Amazon abwickeln lassen. Beides kostet natürlich Marge, aber immerhin kommt so etwas Geld in die Kasse, das viele Händler gerade dringend benötigen.“ Aufgrund der geringen Margen dürfte es sich für die Händler nicht lohnen, gleich das ganze Sortiment hier zu verkaufen. Amazon ist weit davon entfernt, die Wohlfahrt zu sein. Es könne sich etwa für Artikel lohnen, die saisonal nachgefragt werden, sagt Stahl.

Frank Hasselmann bereitet Galaxus in anderer Weise auf die nächsten Monate vor. Er stockt Personal, Flächen, Sortiment und Lieferanten auf. „Wir werden nach der Krise auf einer neuen Stufe des Onlinehandels stehen und entwickeln uns von dort aus weiter – und zwar nach oben“, hofft er zumindest. Das Unternehmen hat sich vorgenommen, in die Top 5, der deutschen Onlinehändler vorzustoßen. Damit es mit diesem äußerst optimistischen Ziel etwas wird, sollen auch neue Produkte kommen: „Erotik ist momentan der aussichtsreichste Kandidat für die nächste Galaxus-Kategorie. Wir sind überzeugt, dass wir uns hier gut positionieren können“, sagt er. Keine schlechte Wahl: Die von Trusted Shops abgesicherten Verkäufe im Erotik-Segment legten seit Februar um 34 Prozent zu. Ob wenigstens dieser Trend anhalten wird, wenn die Kunden wieder weniger Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen?

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