Das Ende einer Airline „Air Berlin, das sind wir“

AB6211 ist am Freitagabend der allerletzte Air-Berlin-Flug, der Berlin-Tegel verlässt. An Bord verabschiedet sich die Crew unter Tränen von ihren Gästen – für immer. Und ein Passagier hat eine Überraschung.

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Ein Flugzeug der insolventen Airline am Freitag am Flughafen Berlin-Tegel. Quelle: dpa

Berlin/München Um 23.39 Uhr ist alles vorbei. Während der Pilot die Räder seines Airbus A320 auf der Landebahn des Münchner Flughafens aufsetzen lässt, spekulieren die ersten Passagiere von Flug AB6211 schon darüber, ob ihre Maschine jetzt auch wirklich „die letzte“ war. Sie schauen auf ihre Handys, checken die Flugportale, vergleichen Uhrzeiten miteinander.

Es dürfte für die meisten das erste Mal sein, dass sie sich wünschen, noch ein kleines bisschen später anzukommen. Denn Minuten entscheiden darüber, wer wirklich dabei war – bei der endgültig letzten Landung der Air Berlin.

Nach 39 Jahren hat Deutschlands zweitgrößte Airline am Freitagabend den Betrieb eingestellt. Für die gut 8000 Beschäftigten, aber auch für Millionen Passagiere markiert der 27. Oktober 2017 nun das Ende einer Ära.

„Ich habe noch nicht einmal die Kündigung“

Crews im ganzen Land verabschiedeten sich mit emotionalen Ansagen, Ehrenrunden und den typischen Schokoladenherzen. Wie es weitergeht, wissen die meisten nicht. Eine Stewardess, die ihren Namen vorsichtshalber nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt: „Ich habe noch nicht einmal eine Kündigung erhalten.“

Die drei letzten Maschinen sollen am Freitagabend um 22.45 Uhr gleichzeitig landen, in Düsseldorf, München und Berlin. Alle haben Verspätung – die Crews kosten ihren letzten Tag aus.

Während auf dem Hauptstadtflughafen Tegel Hunderte Mitarbeiter auf dem Rollfeld warten, um die ankommenden Kollegen zu begrüßen, läuft die Landung in München ruhiger ab. Die Lichter sind aus, im Dunkeln hält die leitende Flugbegleiterin eine bewegende Rede. „Air Berlin, das sind nicht die Manager, die sich nach und nach die Taschen vollgemacht haben. Air Berlin sind wir.“ Ihre Stimme bricht.

Das Bordpersonal auf dem Flug AB 6211 von Berlin nach München hat turbulente Wochen hinter sich. Im August meldete Vorstandschef Thomas Winkelmann den Konkurs an, der Ausverkauf folgte. Die Verhandlungen über eine Auffanggesellschaft scheiterten in dieser Woche. Rund 3.000 Angestellte werden von der Lufthansa übernommen – der Rest steht vor dem Nichts.

Die Gesten der Passagiere machen den Flugbegleitern auf dem Weg nach München ihre Ungewissheit zumindest für den Moment erträglich. Sie wollen Fotos mit ihnen schießen, wünschen alles Gute für die Zukunft. Manche haben sogar extra diesen Flug gebucht, um sich zu verabschieden. „Es ist toll zu sehen, wie sehr uns die Gäste wertschätzen“, sagt die leitende Flugbegleiterin nach ihrer Rede.

Ein Passagier überrascht die Crew mit Rosen

Passagier Michael Schmid, Unternehmer und „Stammkunde seit über 20 Jahren“, hat für die Stewardessen Blumen gekauft: weiße und rote Rosen, in den Farben der Air Berlin. An Bord bittet der stämmige Bayer im Trachtenjanker die Crew darum, eine Rede halten zu dürfen. „Danke für 40 Jahre“, lautet sein Schlusswort.

Dass ihm mit der Insolvenz auch 400.000 nicht eingelöste Bonusmeilen verlorengehen, bedauert er nicht. „Es geht mir nicht ums Finanzielle“, sagt der Münchener im Gespräch. „Dass die Air Berlin keine Chance hatte, das ärgert mich.“

Die Flugbegleiterinnen sind zu Tränen gerührt, als Schmid ihnen die Rosen überreicht. Die restlichen Passagiere schießen Erinnerungsfotos. Anderthalb Stunden Verspätung. Niemand ist mürrisch.

Es lag nicht am Personal – darin sind sich die Fluggäste an diesem Abend einig. Schon in der Abflughalle tauschen sie sich über ihre Air-Berlin-Erlebnisse aus. „Ich bin heute Morgen von Frankfurt nach Berlin geflogen“, sagt einer. Da hätten sie Reinhard Mays „Über den Wolken“ durch die Lautsprecher gespielt. „Sehr emotional“ sei das gewesen.

Ein Ehepaar aus München, das sich am Freitag in Berlin eine Wohnung angeguckt hat, lässt sich vor dem Bildschirm mit den Abflugdaten fotografieren. „Wir haben oft unseren Sohn mit der Air Berlin besucht, der auch hier lebt.“ Ohne Air Berlin werde dem Land etwas fehlen, sagt die Ehefrau – und sei es nur die Konkurrenz auf dem Flugmarkt.

250 Flüge in Deutschland fallen mit dem Ende von Air Berlin von heute auf morgen aus dem Angebot. Der Großteil mittelfristig von einer Nachfolge-Airline bedient werden, Experten rechnen aber mit steigenden Preisen. Unternehmer Schmid spricht von einem drohenden „Monopol“ der Lufthansa.

Im Flugzeug bestellt Schmid ein Bier. Er ist nicht der einzige: Mehrmals müssen die Stewardessen auf ihrem Weg durch den Gang wieder zurückgehen, um den Essenswagen mit neuen Getränken zu befüllen. Bier Sekt, Energy Drinks – die Passagiere kaufen fleißig ein. Zwischendurch fehlt es an Wechselgeld, doch ein Gast hilft gerne. Die Passagiere nehmen Anteil, bedauern das Schicksal der Mitarbeiter. „Es ist schlimm, was da passiert“, so das Urteil des Ehepaars.

Als das Flugzeug am Gate in München steht, stellen sich die Flugbegleiter ein letztes Mal vor den Ausgang und verteilen Schokoladenherzen. Michael Schmid umarmt die beiden Stewardessen, Tränen fließen. Der Abschied fällt schwer.

Ob AB 6211 nun der letzte Air-Berlin-Flieger überhaupt war, scheint ihnen egal. Zuerst landete die Maschine in Düsseldorf, zuletzt die in Berlin. Aber der Flug, der da-zwischen in München landete: das war ihrer.

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