




Die sanfte Rundung versetzte Technik-Fans auf der ganzen Welt in Aufruhr. Am 4. Juni stellte Amazon ein kleines Foto auf Twitter ein. Zu sehen ist nur die gewölbte Ecke eines schwarzen Gerätes. In silberner Schrift steht der Name Amazon darauf. Darüber der Hinweis auf eine bevorstehende Produkt-Enthüllung.
Die Reaktionen in den sozialen Netzwerken erreichten nicht das Niveau früherer Apple-Hypes, waren aber dennoch enorm. Medien auf der ganzen Welt berichteten. Der Aktienkurs des Unternehmens kletterte nach der Ankündigung so steil in die Höhe, wie seit Monaten nicht mehr: plus 5,5 Prozent an jenem Tag.
Amazon präsentiert das Fire Phone
Obwohl sich das Unternehmen lange in Schweigen gehüllt hat, ist für viele klar: Nach Jahren mit Gerüchten und Vermutungen wird Amazon sein erstes eigenes Smartphone präsentieren. Sie lagen richtig - um 19.53 Uhr unserer Zeit stellt Amazon seine Neuheit vor. Ein riskanter, aber auch notwendiger Schritt. “Mit diesem Schachzug wird sich Amazon einen Anteil an der omnipräsenten Gerät-Kategorie überhaupt sichern”, sagt etwa der amerikanische Technologie-Industrie-Analyst Jan Dawson. Laut Medienberichten soll es schon im September auf den US-Markt kommen.
Was das Smartphone kann
Mit technischen Finessen will Amazon die Nutzer offenbar zum Wechseln bewegen. Bei der technischen Ausstattung wird das Amazon-Telefon wohl zur Oberklasse zählen, sagen Insider bereits vor der Veranstaltung.
US-Journalisten berichten von der Veranstaltung in Seattle, dass das Smartphone einen 4,7 Zoll großen Bildschirm und eine 13-Megapixel-Kamera hat. Die Vorder- und Rückseite des Fire Phones ist mit stabilem Gorilla Glass ausgestattet, erklärt Amazon-CEO Bezos. Ein weiteres technisches Highlight: Das Smartphone besitzt ein 3D-Display und der Bildschirm passt sich automatisch an den Blickwinkel des Nutzer an.
Die Macher des neuen Smartphones präsentieren eine Reihe weiterer Highlights: Mit "Prime music" steigt Amazon in den Musikstreaming-Markt ein. Mit dem Video-Chat-Hilfsdienst "Mayday" lässt sich in Notfällen schnell und unkompliziert Hilfe rufen und mit dem Programm "Firefly" lassen sich Barcodes und URLs scannen.
Aufstieg mit Schattenseiten: Wie funktioniert Amazon?
Jeff Bezos gründete amazon.com im Jahr 1995. Den deutschen Ableger amazon.de gibt es seit 1998. Groß wurde das Unternehmen mit dem Versand von Büchern, Videos und Musik-CDs. Seit dem Jahr 2000 können auch fremde Händler ihre Produkte bei Amazon anbieten. Mittlerweile macht der Konzern mit Sitz in Seattle zwei Drittel seines Umsatzes mit Waren wie Computern, Digitalkameras, Mode oder Lebensmitteln. Amazon ist auch einer der Vorreiter bei elektronischen Büchern sowie Musik- und Video-Downloads. Zweites großes Standbein neben dem Handel sind die Webservices mit dem Cloud Computing.
Amazon fährt eine riskante Wachstumsstrategie: Der Konzern lockt die Kunden mit günstigen Preisen sowie einer schnellen und vielfach kostenlosen Lieferung. Zudem investiert er kräftig, in die Versandzentren wie auch in die Entwicklung neuer Technologie. Dieser Wachstumskurs hat jedoch eine Kehrseite: Die Gewinnmargen sind eher dünn. Im vergangenen Jahr machte Amazon einen Verlust von 39 Millionen Dollar. Im ersten Quartal blieben unterm Strich 108 Millionen Dollar (78 Millionen Euro) – bei einem Handelsumsatz von 19,7 Milliarden Dollar.
Es ist der größte Auslandsmarkt. Im vergangenen Jahr setzte Amazon hierzulande 8,7 Milliarden Dollar um, umgerechnet sind das derzeit etwa 6,5 Milliarden Euro. Damit lag Deutschland noch vor Japan mit 7,8 Milliarden Dollar und Großbritannien mit 6,5 Milliarden Dollar. Der wichtigste Markt überhaupt ist allerdings Nordamerika mit 34,8 Milliarden Dollar. Amazon wuchs in seiner Heimat zuletzt auch deutlich schneller als im Ausland.
Gemessen am Einzelhandelsumsatz insgesamt ist die Rolle von Amazon überschaubar. Etwa 1,5 Prozent trägt Amazon zum Branchenumsatz von fast 428 Milliarden Euro bei. Das meiste sind jedoch Lebensmittel. Betrachtet man den Online-Handel von Unterhaltungselektronik bis hin zu Büchern, sieht die Sache ganz anders aus: Amazon hält hier fast ein Viertel des Marktes.
In Deutschland unterhält das Unternehmen Logistikzentren in Graben bei Augsburg, Bad Hersfeld, Leipzig, Rheinberg, Werne, Pforzheim und Koblenz. Dort arbeiten nach Auskunft von Amazon etwa 7700 fest angestellte Vollzeitmitarbeiter. In Spitzenzeiten wie dem Weihnachtsgeschäft kommen in jedem dieser Zentren Tausende Saisonkräfte hinzu. Weltweit arbeiteten zum Jahreswechsel 88.400 Festangestellte im Unternehmen.
Amazon selbst äußerte sich auf Nachfrage bisher nicht dazu, ob seit der Ausstrahlung der ARD-Doku weniger bestellt wurde. Doch ein Vergleich legt nahe: Zu große Sorgen muss sich Amazon wohl nicht machen. Auch über den deutschen Rivalen Zalando tobte bereits ein - wenn auch kleinerer - Sturm der Aufregung nach Berichten über schlechte Arbeitsbedingungen. Am rasanten Umsatzwachstum änderte das nichts. Von 2011 auf 2012 verdoppelte Zalando seine Erlöse von 510 Millionen auf 1,15 Milliarden Euro.
Das ist schwer abzuschätzen. Die Empörung hat auch die Politik erreicht und es ist Wahlkampf. Die Vorwürfe wegen der schlechten Behandlung von Leih- und Zeitarbeitern richten sich aber primär gegen die Leiharbeitsfirmen. Denen droht das Bundesarbeitsministerium inzwischen mit einer Sonderprüfung. Die Firmen selbst äußern sich nicht. Die Bezahlung bei Amazon entspricht aber wohl den gültigen Standards. Mit einem Bruttostundenlohn von mindestens 9,30 Euro zahlt Amazon mehr als den gesetzlichen Mindestlohn für Zeitarbeiter, der derzeit im Westen bei 8,19 Euro und im Osten bei 7,50 Euro liegt.
In Großbritannien gab es im vergangenen Jahr eine Debatte darüber, wie sich Amazon und andere US-Konzerne mit legalen Tricks vor dem Steuerzahlen drückten. Ein Amazon-Vertreter musste vor einem Ausschuss des Parlaments erscheinen und wurde dort von den Parlamentariern vor laufenden Kameras in die Mangel genommen. In den USA hatten sich Mitarbeiter darüber beschwert, dass sie im heißen Sommer in unklimatisierten Lagerhallen schuften mussten. Nach US-Medienberichten erlitten mehrere Beschäftigte Schwächeanfälle. Amazon reagierte und rüstete Klimaanlagen nach.
Was Technikfreunde und Amazon-Anleger gleichermaßen begeistert, versetzt andere Händler und Unternehmen in Sorge. Jedes neue Produkt baut die Macht des weltgrößten Online-Händlers weiter aus oder festigt sie. “Amazon ist eine Feuerwalze, die niemand aufhält”, sagt E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Die hauseigenen Geräte wirken als Brandbeschleuniger. Mit ihnen presst Amazon seine digitalen Inhalte in den Massenmarkt und sticht die Konkurrenz gnadenlos aus.
Schon die erste Eigenproduktion löste ein Erdbeben aus. Der Erfolg des E-Readers Kindle erschütterte die gesamte Buchbranche, trieb manchen Händler mit in den Ruin und setzt die Verlage massiv unter Druck. Auf allen relevanten Märkten der westlichen Welt ist Amazon führend im Segment der elektronischen Bücher. In Deutschland kommt der Konzern beim Verkauf von elektronischer Literatur auf einen Marktanteil von mehr als 45 Prozent. Und das, obwohl sich führende Buchhändler zusammengeschlossen haben, um Amazon mit einem eigenen Ebook-Reader namens „Tolino“ Paroli zu bieten. In anderen Ländern ist der Abstand vor der Konkurrenz noch größer.
Aber Dominanz allein auf dem Buchmarkt? Das reicht Konzern-Chef Jeff Bezos nicht. “Amazon will seine marktbeherrschende Stellung über die E-Books hinaus ausbauen”, sagt Heinemann. “Auf die ganze digitale Welt.” Nach dem E-Book-Reader folgte das Tablet Kindle Fire. Dann kam die Set-Top-Box Fire TV, die aus dem normalen Fernseher einen smarten, internetfähigen macht.
Vorhersehbarer Flopp?
Auch deshalb zögerte Amazon bislang, mit einem eigenen Smartphone an die Öffentlichkeit zu gehen. Der Verdrängungswettbewerb ist brutal. „Einige große Player wie Samsung und Apple bestimmen den Markt“, sagt Torsten Gerpott, Technologie-Experte an der Universität Duisburg-Essen. „Das Geschäft wird stark dadurch getrieben, dass diese Unternehmen Geräte in großer Stückzahl produzieren und in den Markt drücken. Als Neueinsteiger wird Amazon es schwer haben.“ Zumal die Zahl der Smartphone-Nutzer in den Industrienationen zwar stetig, aber doch langsamer wächst. Viele Menschen besitzen bereits ein High-Tech-Telefon und haben sich an Anbieter und Betriebssystem gewöhnt.