Decathlon-Deutschlandchef „Unsere Einrichtung erinnert manchen an einen Supermarkt“

Decathlon-Chef André Weinert Quelle: Presse

Der Sport-Discounter Decathlon fordert Amazon und Zalando im Online-Handel heraus und will zugleich in Deutschland fast 60 neue Filialen eröffnen. Wie soll das gehen? Fragen an Deutschlandchef André Weinert.

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André Weinert ist seit einem Jahr Deutschlandchef von Decathlon. Er stieg 2003 direkt nach dem BWL-Studium beim Sporthändler ein. Eine Zwischenstation führte den Familienvater und ehemaligen Leistungssportler für vier Jahre in Decathlons Produktentwicklung für Schwimmprodukte im südfranzösischen Hendaye.

WirtschaftsWoche: Herr Weinert, wann waren Sie eigentlich zuletzt in einem ganz normalen Sportgeschäft in der Innenstadt?
André Weinert: Das ist noch gar nicht so lange her. Vor Kurzem erst habe ich unsere Filiale in Dortmund in der Kampstraße besucht.

Aber wann haben Sie sich zuletzt bei der Konkurrenz umgesehen?
Spontan fällt mir gar nicht ein, wann ich das letzte Mal in einem anderen Sportgeschäft gewesen bin. Das kann ich Ihnen gar nicht sagen.

Das könnte auch daran liegen, dass es gerade immer weniger werden – Ketten wie Karstadt Sport und Runners Point machen dicht, der Corona-Lockdown hat viele Sportläden getroffen. In dieser Lage sorgen Sie mit Decathlon für zusätzlichen Druck. Täuscht der Eindruck oder schwindet dennoch der Widerstand in vielen Kommunen gegen Ihre Läden?
Die Situation hat sich definitiv geändert. Wo wir vor ein paar Jahren noch auf Granit gestoßen sind, haben viele Städte verstanden, dass Decathlon für sie einen Mehrwert bietet, weil wir viele Kunden auch aus anderen Städten anziehen. Davon profitieren auch Geschäfte im Umkreis. Zum anderen haben aber auch tatsächlich lokale Wettbewerber verstanden, dass nicht wir ihr Problem sind. Der Sportmarkt in Deutschland ist groß genug für viele Anbieter. Und wenn man sein Sortiment gut ausrichtet und lokal weiß, was funktioniert, dann können auch andere Sportläden locker neben uns existieren.

André Weinert ist seit einem Jahr Deutschlandchef von Decathlon. Quelle: Presse

Ist das wirklich so? Der Eindruck ist doch: Inhabergeführte kleine Läden machen zu und Decathlon mit seinem Angebot für hundert Sportarten macht sich immer breiter? Wie soll sich denn ein kleiner Händler da noch abheben?
Ich möchte nicht den Job meiner Mitbewerber machen, aber erst einmal muss ich mir doch darüber klarwerden, wie lokal mein Markt aussieht und wer überhaupt meine Zielgruppe ist. Und da hapert es oft schon. Dabei muss ich mir überlegen, mit welchem Sortiment ich meine Zielgruppen erreiche, die der Wettbewerb eben nicht hat. Der deutsche Sportartikelmarkt ist der größte in Europa und seit Jahren ziemlich stabil, er wächst sogar leicht. Und wenn solche Formate, die Sie genannt haben, Schwierigkeiten haben, geht das Geld woanders hin.

Wohin fließt es?
Wir können uns nicht beklagen, unsere Filialen sind stets gut besucht. Aber wenn man den Konsumenten betrachtet und sein Einkaufsverhalten, dann kauft er eben auch immer öfter online ein. Daran führt kein Weg vorbei, darauf müssen sich alle Anbieter einstellen. Das bedeutet auch, in Wettbewerb zu treten mit Anbietern wie Zalando, Amazon oder Spezialisten im Long Tail, die auch beim Verkauf von Sportartikeln ordentlich Marktanteile gewonnen haben. Gegen die muss man sich heutzutage behaupten und für sich die Frage beantworten, was man besser kann. Darauf haben wir als Decathlon viele Antworten und sind glücklich, dass unsere Kunden das offenbar auch so sehen.

Wer ist denn der klassische Decathlon-Kunde?
Das ist nicht so leicht zu sagen, weil wir ja die erste Adresse des Sports für jedermann sein wollen. Aber der Kernkunde ist etwa zwischen 20 und 50 Jahre alt, tendenziell sind es eher Familien mit Kindern. In unserem Geschäft in Erding probieren wir deshalb gerade erstmals eine Kinderabteilung aus, in der wir verschiedene Kategorien bündeln, damit Mama und Papa nicht kreuz und quer durch den Laden laufen müssen.

Warum müssen Decathlon-Läden so groß sein?
Unsere Kunden lieben es, eine so große Auswahl zu haben und dass wir von A wie Angeln bis Z wie Zelte alles unter einem Dach anbieten. Bei uns findet jeder etwas – vom Kleinkind bis zum Rentner, vom Anfänger bis zum Extremsportler versuchen wir alles abzudecken und auch die Möglichkeit zu bieten, die Produkte direkt vor Ort zu testen. Und wenn uns eine Familie besucht, ist meistens für jeden etwas Passendes dabei. Um das zu erreichen, brauchen wir Fläche, auch um das Preisleistungsverhältnis, unser zweites großes Argument, sichtbar darzustellen. Wir haben es über die letzten Jahre geschafft, uns über unsere Wertschöpfungskette und die Entwicklung unserer Läden richtig zu positionieren.

Sie haben innerhalb von etwas mehr als drei Jahren die Zahl ihrer Läden in Deutschland auf über 80 mehr als verdoppelt – warum ziehen Sie ausgerechnet jetzt das Expansionstempo an?
Das hat mehrere Ursachen. Wenn man in der Historie zurückgeht, hat Decathlon zwar früh seinen ersten Store in Deutschland eröffnet – 1986 in Dortmund-Kley -, aber in anderen Ländern wie Spanien und Italien konnte man schneller wachsen, weil dort so große Formate bereits verbreiteter waren. Deshalb war es auch in diesen Märkten einfacher, Läden zu eröffnen und Baugenehmigungen zu bekommen. In Deutschland ist das sehr speziell. Also war es eine logische Konsequenz der Aktionäre zu sagen, wir investieren erst einmal in diesen Ländern und treiben das Wachstum voran. Deutschland war zu dem Zeitpunkt quasi auf Stand-by. Dazu war unser Konzept auch ungewöhnlich für den deutschen Markt: Wir haben eine sehr einfache Einrichtung, die manchen an einen Supermarkt erinnert. Insofern mussten sich beide Seiten wohl erst einmal aneinander gewöhnen, aber mittlerweile haben wir den richtigen Schlüssel gefunden.

Klingt, als planen Sie, noch weitere Filialen zu eröffnen?
Definitiv. In den kommenden Jahren möchten wir unser Filialnetz auf 140 Standorte ausbauen. Neben der Expansion werden wir auch weiter unser Store-Portfolio überarbeiten und anpassen. Den ersten Schritt machen wir bereits Ende des Jahres, indem wir uns von fünf kleineren Formaten am Münchner-Stachus, in Landshut-Ergolding, Köln-Chorweiler, Dortmund-Kley und Hamburg-Harburg trennen, was in erster Linie an Lage und Größe der Läden liegt.

„Wir sind gerade dabei, unseren eigenen Online-Marktplatz aufzubauen“

Hängen diese Schließungen mit den Auswirkungen der Corona-Krise zusammen?
Nein, da gibt es keinerlei Zusammenhang. Vor allem März und April waren für uns wie für alle anderen Einzelhändler natürlich eine extreme Zeit. Wenn man praktisch von einem auf den anderen Tag alle Filialen schließen muss, ist das eine extreme Stresssituation, auch und gerade für unsere 5.000 Mitarbeiter. Aber tatsächlich sind wir am Ende sehr gut durch diese Krise gekommen.

Aber auch Sie werden den Lockdown zu spüren bekommen haben, oder?
Natürlich, wir hatten über sechs Wochen in den Läden keinen Umsatz. Wir haben den Einschnitt ganz klar gemerkt. Aber gleichzeitig sind bei uns die Online-Umsätze stark gestiegen und sie haben sich seitdem auf diesem Niveau gehalten. Wenn sich diese Tendenz verstetigt, wird das Onlinegeschäft am Jahresende wohl an die 30 Prozent zu unserem Umsatz beitragen. Unter dem Strich werden wir zwar nicht alle Ziele erreichen, die wir uns gesteckt haben. Aber wir werden das Jahr mit einem Umsatzplus beenden. Das können in diesem herausfordernden Jahr nicht viele Einzelhandelsunternehmen in Deutschland sagen. Und wir haben die Zeit genutzt, um neue Dinge zu starten.

Was heißt das konkret?
Beispielsweise haben wir damit begonnen, Online-Kunden bei Produktfragen über WhatsApp zu beraten. Das wird extrem gut angenommen. Und bereits kurz nach der Wiedereröffnung der Läden haben wir mit einem Partner das System Scan + Go eingeführt, damit unsere Kunden in den Geschäften kontaktlos bezahlen können und nicht einmal mehr zur Kasse gehen müssen. Und auch im Internet werden wir bald unser Angebot deutlich ausbauen.



Was planen Sie?
Wir sind gerade dabei, unseren eigenen Online-Marktplatz aufzubauen. Der wird im ersten Quartal 2021 live gehen und wir haben Zusagen von den ersten Partnern, die über unseren Marktplatz verkaufen werden. Ihre Produkte werden auf decathlon.de präsentiert, sind aber nicht von uns eingekauft, sondern werden gegen eine Provision abgerechnet.

Sie machen also Amazon und Zalando Konkurrenz?
Genau, es ist ein ähnliches Businessmodell, wie es Amazon, Zalando und Co. auch verfolgen, aber mit dem großen Unterschied, dass wir die Sportwelt kennen, die richtige Kategorisierung und den Content dahinter haben und unser Know-how mitbringen. Wir wollen die Anlaufstelle für alle Sportler werden.

Klingt erst einmal blumig, was haben Sie denn genau vor?
Decathlon ist bekannt für seine Sportprodukte, vor allem für unsere gut 85 Eigenmarken. Unser Core Business als Sporteinzelhändler wird weiterhin klar im Vordergrund stehen, aber nun wollen wir noch ein Stück weiter gehen und rund um den Sport Angebote bündeln. Wer beispielsweise in einer anderen Stadt einen Tennisplatz buchen möchte, aber dort niemanden kennt, steht oft vor einer Herausforderung. Diesen Sportlern wollen wir uns als Plattform anbieten, als Anlaufstelle und wir vermitteln dann den entsprechenden Anbieter. Das soll helfen, das Leben unserer Kunden zu erleichtern. Auch Vereine können sich anschließen, etwa um Leerzeiten und Flächen über ein einfaches Buchungssystem besser nutzen zu können. Das reicht vom Fitnessstudio über Personal Trainer bis zu Tennisvereinen, die diese Plattform nutzen können. Eigenen Kurse werden wir allerdings nicht anbieten.

Wann wollen Sie damit starten?
Losgehen soll es Anfang kommenden Jahres in einem kleinen Verbund von acht Ländern. Dazu gehören die nordeuropäischen Länder, dazu Belgien, die Niederlande, aber auch Spanien und Italien sind bei dem Projekt dabei, das wir nun step by step aufschalten werden.


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Welche Sportmarken haben denn ihre Teilnahme an der Plattform bereits zugesagt? Sind Nike, deren Produkte Sie in Ihren Läden ja nicht anbieten, oder auch Adidas dabei?
Die ersten Gespräche und Verhandlungen, die wir geführt haben, waren sehr offen. Wir pflegen gute Verhältnisse zu vielen Marken und wissen einander zu schätzen. Wer im kommenden Jahr dabei sein wird, werden wir zum gegebenen Zeitpunkt mitteilen.

Vergangenes Jahr haben Sie in Deutschland einen Umsatz von mehr als 800 Millionen Euro erzielt – wann erwarten Ihre Gesellschafter in Frankreich die erste Milliarde von Ihnen?
Wir sind immer noch in einer Phase, wo wir gemessen am Marktanteil noch wahnsinniges Wachstumspotenzial haben. Wir wollen die Nummer 1 für den Sport werden und die erste Adresse für alle Sportler sein. Den Weg gehen wir weiter. Gleichzeitig wächst das digitale Business enorm. Und mit Marktplatz, den wir aufbauen, sind wir sicher, dass wir einen großen Schritt nach vorn machen werden. Ob und wann wir damit die Milliardengrenze knacken, wird sich zeigen. Wichtiger ist uns allerdings, dass unsere Kunden zufrieden sind. Wenn uns das gelingt, kommt alles andere hinterher.

Mehr zum Thema: Decathlon hat den deutschen Markt für Sportartikel aufgerollt. Nun soll die Coronakrise den nächsten Wachstumssprung bringen.

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