Alles muss raus. Sofas, Leuchten, Teppiche und Sessel. Der Garten der Deutschen, der stets eher mit akkuraten Rasenkanten, ergiebiger Herbsternte von Johannisbeeren und Bohnen und Gartenzwergen in Verbindung gebracht wird, wandelt sich zur Kulturlandschaft.
Aufwendig gestaltete Möbel statt einheitlicher Sonnenliege in wahlweise Weiß mit bunter Polsterauflage oder leichtem Alugestell auf den Terrassen und in den Gärten Stühle oder Tische, die aussehen, als hätte man sie gerade aus dem Wohnzimmer gezerrt. Der Markt für edle Outdoor-Möbel wächst mit zweistelligen Wachstumsraten. Qualität ist gefragt auf Veranden und Balkonen, mehr Qualität, mehr Farbe, mehr Lebensgefühl.
Milliarden mit Gartenmöbeln
Laut Statistik geben die Deutschen mittlerweile so viel Geld für Outdoor-Möbel aus wie für ihre Wohnung: im Schnitt 200 Euro. Das klingt nicht nach viel, in der Summe ergibt sich aber ein Milliardenmarkt. Der Spezialmöbelbereich verspricht einen Lichtblick für den Möbelmarkt, der seit mehr als zehn Jahren seitwärts tendiert.
2002 betrug sein Umsatz rund 30 Milliarden Euro. 2012 setzte der deutsche Handel gerade eine Milliarde mehr um. Wachstum sieht anders aus. Ein Dutzend Hersteller ist daher auf den Zug der wetterfesten Sofas, der lichtunempfindlichen Sessel und UV-resistenten Teppiche, der abgeschirmten Leuchten und exklusiven Outdoor-Küchen aufgesprungen. Und kaum ein Monat vergeht ohne Produktneuheiten.
Das Geschäft mit Gartenmöbeln
50 Prozent der Privathaushalte haben einen Garten.
32 Prozent kaufen hochwertige Gartenausstattung.
18 Milliarden Euro Umsatz brachte 2013 der Gartenmarkt.
Nun hat Flötotto ein von dem renommierten Designer Stefan Diez entworfenes Sofa im Chesterfield-Look lanciert. „Couch“, verkündet der Hersteller des sachlich benamten Stücks, der in den letzten Jahren nicht etwa durch sein Gartenprogramm aufgefallen wäre, eigne sich für drinnen und draußen. Die textile Hülle ist wasserabweisend und UV-beständig, der fluffige Kern mit Schaumflocken und Kunststoffkugeln gefüllt.
Angefangen hat die Vermöblung des Draußen vor einem halben Dutzend Jahren mit aufgemotzten Grills. Vermehrt standen kleine Gourmetküchen auf Terrassen und Balkonen. Echte und selbst ernannte Profis warfen ihre Kohle- und Elektrogeräte auf den Müll und feuerten fortan mit Gas.
Wasser- und Wetterfest
Wenn sich das Leben schon draußen abspielte, wie sonst nur im Urlaub an der Adria und auf Malle, dann bitte mit allen Annehmlichkeiten Mitteleuropas. Wer sitzt schon gerne auf Bierbänken, wenn es Loungemöbel gibt? Kein Wunder, dass aktuelle Outdoor-Kollektionen Camouflage betreiben. Sie tarnen sich als kuschelige, elegante Stücke, sind aber eigentlich wetterfeste Kerle. Royalbotania etwa gestaltete die 180 Zentimeter hohe Outdoor-Leuchte „3D floorlamp“ aus pulverbeschichtetem Aluminium.
Sie ist wasserfest und übersteht angeblich sogar einen Schauer. Trotz ihrer Größe macht die floorlamp auch im Wohnzimmer eine gute Figur. Dazu passen die schlichten Zwei- und Dreisitzer der „Suite Collection“ von Fischer Möbel, Loungesessel aus elektropoliertem Edelstahl und mit wasserabweisenden Bezugsstoffen, die sich aus einigen Modulen zu immer neuen Kombinationen zusammenstellen lassen. Diese können auf der Terrasse stehen – oder eben in der Wohnung. Und damit bei langen Sommerabenden nicht die Füße einfrieren, bieten viele Hersteller inzwischen wetterfeste Teppiche an.
Draußen ist das neue Drinnen
Früher standen in Parks und Gärten nur Bänke aus Teak, die mit viel Stahl eine Renaissance erfahren und filigraner geworden sind, dann folgten Betontröge und Sessel aus Eternit wie 1954 der legendäre „Loop“ von Willy Guhl, der an ein schwebendes Stück Gummi erinnert. Schließlich rollten wetterfeste Kunstfasern den Markt auf. Outdoor-Pionier Dedon führte vor, wie sich daraus ganze Kollektionen von Liegen und Sitzen, Beistelltischen und Loungemöbeln gestalten lassen. Dazu kamen waschbare, beziehungsweise wetterfeste Stoffe.
Dahinter verbarg sich eine kleine Materialrevolution. Normalerweise zerlegt UV-Strahlung in Verbindung mit Feuchtigkeit, Sauerstoff und Luftverunreinigungen selbst die härtesten Materialien. Kunststoff wird spröde und bricht, unbehandeltes Holz und Stoffe bleichen aus. Hilfe versprechen Nano-Pigmente aus Titandioxid. Sie absorbieren Strahlung – ähnlich einer Sonnenschutzcreme.
Einen anderen Weg wählte Hersteller Dickson mit „Sunbrella“, einem Gewebe aus 100 Prozent Acryl, dessen Fasern die Farbpigmente umschließen und so vor Sonnenlicht schützen. Optional ist die Oberfläche des Stoffes wasserabweisend.
Angesichts der neuen Lust am heimischen Draußensein rüstet selbst mancher Baumarkt mit Stücken für den gehobenen Anspruch auf. So wie die Leuchtenindustrie im Winterhalbjahr Umsatz macht, ist jetzt Hauptsaison für Gartenmöbel. Angefeuert durch den milden Winter, erobern die Deutschen ihre grünen Oasen.
So teuer wie ein Gebrauchtwagen
Das führt zwangsläufig zu ästhetischen Wucherungen. Garten- und Terrassenfreunde wuchten Mega-Strandkörbe, Lümmelbetten in Form überdimensionaler Muscheln und Hängeliegen ins Freie: Queen’s Garden bietet mit dem „Cocoon-Loungebett“ unter einem faltbaren Sonnensegel nach eigener Angabe einen „traumhaften Platz zum Entspannen“, nur nicht auf französischen Balkonen. Rund zweieinhalb auf anderthalb Meter muss man schon bereitstellen, sonst vermittelt das gute Stück vor allem eines: Platzangst.
Die kollektive Erweiterung der Wohnsphäre hat ihren Preis. Manche Stücke kosten so viel wie ein gebrauchter Kleinwagen: mehrere Tausend Euro.
„Draußen ist das neue drinnen“, behaupten Trendscouts – eine Entwicklung, die vom kaum noch vorhersehbaren Wetter im Frühsommer nicht gestoppt wird. Gastgeber verschieben den Repräsentationsbereich aus Wohnküche und Esstisch ein Stück ins Grüne.
Der Wunsch nach dem Wohngarten hat die gleichen Wurzeln wie das Public Viewing von Fußball-Großereignissen. So wie Fleece-Jacke und Wander-Look dank hoher Funktionalität längst im Büro angekommen sind, verschieben sich einmal mehr die Grenzen zwischen in- und outdoor, weil wir alle Städter geworden sind.
Auszeit im Wohngarten
Der Wohngarten bietet eine kleine Auszeit, ähnlich dem Urban Gardening, das mit unaufgefordert bepflanzten Ecken am Straßenrand kleine Gegenwelten schaffen will. Zurück zur Natur heißt Entschleunigen, Handy still stellen, zumindest für einen Augenblick. Einfach mal abhängen in der kostenfreien grünen Lounge, die nichts mehr besitzt von der ästhetischen Langeweile vor allem nützlicher, leichter und funktionaler Gartenliegen aus recyceltem Kunststoff.
Weil Städter zunehmend vernetzt sind und auf Abruf arbeiten, nutzen wir eben jede sich bietende Auszeit: Powernapping im Grünen, Strandbar am heimischen Fluss, Sekundenschläfer in der S-Bahn, runterkommen auf der eigenen Terrasse. Draußen sein im eigenen Reich ist die kleine Revolte gegen die 24-Stunden-Gesellschaft.