Deutscher Fahrradmarkt Fahrräder vor dem Kauf anfassen? „Totaler Quatsch!“

Fahrräder werden zunehmend online gekauft – wer profitiert davon? Quelle: PR

Immer mehr Menschen kaufen Fahrräder im Internet. Gleichzeitig steigt der Durchschnittspreis pro Rad. Profiteure und Beschleuniger dieser Entwicklung sind mobile Reparatur- und Service-Anbieter.

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Der derzeit wohl fortschrittlichste – manche sagen gar disruptivste – Spieler auf dem milliardenschweren deutschen Fahrradmarkt setzt auf die Gesangskunst von Bariton-Barde Max Raabe:

Manchmal ist das Leben ganz schön leicht
Zwei Räder, ein Lenker und das reicht
Wenn ich mit meinem Fahrrad fahr'
Dann ist die Welt ganz einfach
Die Autos steh'n im Stau, ich fahr vorbei
Alle Ampeln grün, die Bahn ist frei
Wenn ich mit meinem Fahrrad fahr

So federleicht beschwingt einen Max Raabe zu gezupfter Gitarre, wenn man bei der Firma Live-Cycle anruft; statt der Warteschleifenmusik ertönt diese Liebeserklärung an das Zweirad. Und wer auch nur kurz zuhört, bekommt sofort Lust, aufs Rad zu steigen. Das ist nicht unpassend, denn weil immer mehr Menschen in Deutschland ihre Fahrräder im Internet kaufen, wäre es zumindest nicht überraschend, wenn die Mitarbeiter von Live-Cycle den ganzen Tag lang singen vor Freude. Denn sie profitieren gerade enorm von diesem Trend.

Mobiler Rad-Service

Anfang 2017 von drei Männern in München gegründet, ist Live-Cycle mittlerweile in sieben deutschen Großstädten vertreten mit Werk- und Servicestätten für Fahrräder. Aber eben nicht nur dort, sondern – und das ist die Neuerung – auch mobil: Live-Cycle fährt nach Terminvereinbarung mit großen Transportern zu den Kunden nach Hause, um dort Fahrräder zu reparieren – oder aber, um in Kooperation mit Fahrradherstellern fabrikneue Räder zu Kunden zu liefern. Fachleute montieren dann vor Ort das neue Rad und stellen Sattel- und Lenkerhöhe auf die Körpergröße des Fahrers ein. Damit bietet Live-Cycle also genau jenen Kundenservice für zu Hause, den Fahrradhändler bis dahin nur in ihren Filialen anbieten.

Mit dieser Dienstleistung schafft es das Start-up offensichtlich zunehmend, Kunden die Hemmung zu nehmen, ein Fahrrad online zu kaufen. Zahlen veröffentlicht das Münchner Jungunternehmen zwar nicht, bezeichnet sich aber als führend „im Bereich mobiler Fahrrad- und E-Bike-Service“. Mit dem Maastrichter Start-up Go-Bike-Service gibt es seit Februar auch einen Wettbewerber in Deutschland. Deren Gründer Ward Grootjans freut sich: „Es gibt hier so viele Aufträge!“ Sowohl Go-Bike-Service als auch Live-Cycle müssten jedoch bisweilen „dem Markt beibringen, dass es uns gibt. Das Konzept kommt für viele fast noch ein bisschen früh.“

Markus Fritsch ist Herausgeber des Online-Fachmagazins Velobiz und beobachtet die Fahrradszene seit mehr als 20 Jahren. Er sagt: „Ich traue Live-Cycle zu, die Branche zu verändern. Die Langzeitauswirkungen dieser Kooperationen zwischen Händlern und mobilen Service-Stationen sind zwar noch nicht abzusehen, aber sie hat disruptives Potenzial, weil der Kunde nicht mehr an einen bestimmten Händler gebunden ist.“

Milliardenmarkt Fahrrad

Laut den Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbands wird mittlerweile fast jedes vierte Fahrrad in Deutschland im Internet gekauft: Der Online-Anteil stieg von 19 Prozent im Jahr 2017 auf 23 Prozent im vergangenen Jahr. Gleichzeitig wuchs auch der Markt für Fahrräder und E-Bikes insgesamt: um 16 Prozent auf nunmehr 3,16 Milliarden Euro. Das Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln kommt in seiner Ende April veröffentlichten Studie „Branchenfokus Fahrräder“ auf ein Marktvolumen von 4,2 Milliarden Euro. So oder so: Mit ihren neuen Angeboten machen Live-Cycle und Go-Bike-Service den großen Markt noch ein bisschen größer und auch komplizierter, als er ohnehin schon ist.

Denn den Fahrradmarkt in Deutschland unübersichtlich oder zersplittert zu nennen, wäre eine Untertreibung. Wer sich einen Überblick verschaffen will, der kann sich schnell so verloren fühlen wie ein Kind ohne Stützräder.

Man unterscheidet zwischen sogenannten Monobrand-Händlern, die also nur Räder aus eigener Herstellung verkaufen, wie etwa Canyon (aus Koblenz) oder Rose-Bikes (aus Bocholt). Ihnen gegenüber stehen breit aufgestellte und flächendeckend verbreitete Filialhändler mit großem Sortiment. Zu den größten zählen etwa Stadler aus Regensburg (20 Filialen), mit geschätzten 200 Millionen Euro Umsatz wohl der Marktführer, BOC aus Hamburg (33 Filialen), Little John aus Dresden (29 Filialen) oder Lucky-Bike aus Bielefeld (27 Filialen). Hinzu kommen regionale Filialisten wie Cube (Bayern), Megabike24 (Schleswig-Holstein und Hamburg) oder das Radhaus (Berlin und Brandenburg). Außerdem gibt es die reinen Online-Händler wie fahrrad.de (Stuttgart), bike24.de (Dresden) oder bike-discount.de (Grafschaft), von denen viele inzwischen auch ein paar stationäre Geschäfte betreiben.

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