Deutschlandchef von H&M „Ich sehe viele Menschen, die bei Fridays for Future mitlaufen – und anschließend zu H&M gehen“

H&M-Deutschlandchef Thorsten Mindermann Quelle: Wolfgang Köhler

Der Modefilialist gilt vielen als Inbegriff von Fast-Fashion – ein Problem für zukünftige Kunden der Generation Greta? Ein Gespräch mit Thorsten Mindermann, der das für den Konzern wichtigste Geschäft leitet.

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Die größte H&M-Filiale Deutschlands befindet sich in der Spitalerstraße in Hamburg, fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Nach Umbau und Wiedereröffnung 2016 bietet das Geschäft 4.800 Quadratmeter Fläche auf drei Etagen. Und selbst darüber ist das Reich der Schweden noch nicht zu Ende: In den darüber liegenden Stockwerken des Gebäudes hat H&M seinen Deutschlandsitz.

Deutschland ist für den Modefilialisten seit Jahren der wichtigste Markt: Im Geschäftsjahr 2019/2020 (01. Dezember bis 30. November) setzte H&M hierzulande 2,9 Milliarden Euro um. Das sind knapp 16 Prozent am Gesamtumsatz von umgerechnet 18,4 Milliarden Euro, die die börsennotierte H&M-Gruppe in insgesamt 60 Märkten erwirtschaftet. Zur Gruppe gehören auch die kleineren Marken Monki, Cos, Weekday und Arket. Seit 16 Jahren verantwortet Thorsten Mindermann die Geschäfte in Deutschland. Der gebürtige Bremer arbeitet sein ganzes Berufsleben bei Hennes&Mauritz: 1989, während seines BWL-Studiums an der Hamburger Wirtschaftsakademie, begann er als studentische Aushilfskraft in H&M-Filialen in Hamburg und Bremen. Nach Aufgaben als Filialleiter und Area-Manager wurde er 2002 zunächst Chef des Schweizer H&M-Marktes, 2005 dann Deutschlandchef. Im vergangenen Jahr erhielt er zusätzlich auch die Verantwortung für die Region Zentraleuropa (Schweiz, Österreich, Niederlande und Slowenien).

Wirtschaftswoche: Herr Mindermann, will H&M in Zukunft noch Fast-Fashion sein?
Thorsten Mindermann: Das Wort Fast-Fashion benutzen Sie jetzt. Wir sehen uns in vielen Dingen als Vorreiter in der Fashion-Industrie.

Aber das ist doch das Geschäftsmodell, das H&M groß gemacht hat.
Wir werden immer in diese Schublade gepackt.

Nicht ganz zu Unrecht, oder?
Natürlich – aber es ist immer eine Frage der Perspektive. Unser Konzept lautete stets: Wir bieten Mode und Qualität zum besten Preis an – und dem haben wir vor etwa zehn Jahren hinzugefügt: …auf nachhaltige Weise. Aber wir haben nie gesagt: Zieh das Teil an – und schmeiß‘ es morgen weg.

Das habe ich auch nicht unterstellt.
Seit ich bei H&M bin, also bestimmt schon 25 Jahre, benutze ich ein und denselben H&M-Gürtel. Der tut immer noch seinen Job. Ich will sagen: Fast-Fashion ist der Begriff, der uns zugeordnet wird, das respektiere ich. Aber so betreiben wir nicht unser Unternehmen, dafür stehen wir nicht.

Fast-Fashion ist heute negativ konnotiert. Es steht für vieles, was schlecht läuft in der Modeindustrie, vor allem für einen großen Beitrag zum Klimawandel und für schlechte Arbeitsbedingungen.
Wir verstehen unter schnell eher: Wie schnell ist ein Unternehmen oder eine Marke in der Lage, Wünsche der Kundinnen und Kunden aufzugreifen und anzubieten? Und das ist nach wie vor sehr wichtig. Es bringt ja nichts, wenn wir Dinge, die in diesem Jahr angesagt sind, ein Jahr später anbieten.



Die H&M-Kunden sind jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt, allein 22 Prozent sind im Alter zwischen 20 und 29 Jahren. Die Generation Greta dürfte schwer zu begeistern sein für ein Unternehmen, das für Fast-Fashion steht. Zumal Greta Thunberg in diesem Jahr der „Vogue“ erzählt hat, sie habe seit drei Jahren keine neue Kleidung mehr gekauft.
Ich habe Greta nie kennengelernt, aber ich glaube nicht, dass sie oder andere der Bewegung speziell etwas gegen H&M haben. Das habe ich zumindest nie gehört oder gelesen. Ich denke schon, dass Leute, die sich mit Fast-Fashion auseinandersetzen, auch wissen, dass große Unternehmen wie etwa H&M einen großen Beitrag leisten können, um Dinge auch besser zu machen. Es ist nicht so, dass diejenigen, die bei Fridays for Future demonstrieren, unsere Geschäfte meiden. Im Gegenteil: Ich sehe ganz viele Menschen, die bei solch einer Demo mitlaufen – und anschließend gehen sie zu H&M. Für mich ist das kein Widerspruch, wenn ein Unternehmen glaubwürdig den Wandel versteht und voranbringt.

Vielleicht ist die Erklärung zum Teil auch in der Lücke zu finden zwischen dem, was Menschen in Umfragen erklären, tun zu wollen – und ihrem tatsächlichen Verhalten.
Das kann sein. Aber es ist auch kein Geheimnis, was wir tun und wie groß wir sind oder wo wir produzieren, oder dass wir keine Einzelstücke anbieten. Das ist allen bekannt. Jeder hat also die Chance, bewusst zu entscheiden: Gehe ich da jetzt rein – oder gehe ich nicht hinein? Und wenn ich drin bin: Kaufe ich etwas? Kaufe ich ein Teil – oder drei Teile?

Sie sehen also nicht die Gefahr, dass die potenziellen Kunden H&M meiden könnten, sofern Sie gewisse Dinge, etwa im Klimaschutz, nicht ändern?
Doch, auf jeden Fall. Aber das ist ja nicht erst jetzt so. Und das betrifft nicht nur H&M, nicht nur Modeunternehmen. Jedes Unternehmen tut gut daran, Beiträge zu leisten, zum Beispiel zum Klimaschutz. Wir haben kein Interesse, irgendetwas zu verheimlichen, denn sonst kommen Kunden nicht mehr zu uns, da sie uns nicht mehr vertrauen. Aber umgekehrt wissen und handeln wir natürlich auch: Wir müssen etwas dafür tun, damit auch übermorgen die Kunden zu uns kommen.

Mode ist nur ein Beispiel – aber die Modeindustrie ist einer der weltgrößten CO2-Treiber. Der größte Kritikpunkt von Klimaschützern: die schiere Masse an Kleidung. Von 2000 bis 2015 hat sich die Anzahl der Kleidungskäufe weltweit verdoppelt, bis 2030 dürfte es eine weitere Verdopplung geben. Sehen Sie das nicht als Problem?
Wenn es um Konsum um des blanken Konsumwillens geht, dann sehe ich das als Problem. Wenn aber ein Kind wächst und eine größere Größe benötigt, ist das für mich kein Problem. Denn Mode leistet ja nicht nur Spaß und Unterhaltung, sondern löst auch menschliche Grundbedürfnisse. In diesem Zusammenhang muss man immer die Entwicklung der Gesellschaft mit einbeziehen: Wie viel Wachstum an Konsum ist getrieben durch das Wachstum der Weltbevölkerung? Oder durch Menschen, die heute finanziell in der Lage sind, sich Dinge zu leisten, die sie sich vor fünf Jahren noch nicht leisten konnten?

Und wie lautet Ihre Antwort?
Das Bevölkerungswachstum ist jedenfalls ein starker Treiber für dieses Konsumwachstum. Wichtig ist, dass wir den Kreationsprozess so umgestalten, dass wir möglichst genau das und nur so viel produzieren und einkaufen, was nachgefragt wird.

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