Der Duft von gebratenem Fleisch liegt in der Luft. Rauchig, würzig, lecker. Wenn einem bei den offiziellen deutschen Grillmeisterschaften am 5. und 6. Mai nicht das Wasser im Munde zusammenläuft, dann nirgends. Rund 40 Teams treten an - Profis und Laien werden von einander getrennt. Sieben Gänge können, fünf daraus müssen gegrillt werden. 1500 Portionen gegrillter Fisch, Spareribs, Geflügel und Bratwurst werden die weit über 300 Juroren verkosten. Sie bewerten Aussehen, Geschmack, Garstufe und die Beilage, die ebenfalls vom Grill kommen muss.
Die Aufgabenstellung ist kniffelig. Die Teams mit so klangvollen Namen wie Teufelsgriller, Harzer Bruzzler, Türi Pritsumhed aus Estland oder Grill Ueli aus der Schweiz müssen zum Beispiel eine Rinderbrust grillen. Im Barbeque-Smoker bei Niedertemperatur dauert es zwölf bis vierzehn Stunden bis das langfaserig Fleisch zart und dabei noch saftig ist.
Nachtschicht für die Rinderbrust
Die ersten Mannschaften grillen daher schon am Samstagabend an, schieben Nachtschichten, um den kostbaren Braten nicht zu verderben. Pflicht für jede Teilnehmergruppe ist auch eine perfekt gegrillte Wurst. Auch wenn die letztgenannte unter den Profis gerne mal spöttisch als „unterstes Grillniveau“ bezeichnet wird – die deutsche Bratwurst, das findet auch Ebbo Christ, Vizepräsident der German Barbecue Association (GBA), ist ein Stück Kulturgut und gehört deshalb auch ins Pflicht-Menü der Grillmeister.
Deutschland - ein Grillvolk
Christ und seine Gefolgschaft erwartet ein großes Publikum. Bei den Meisterschaften 2011 zählten sie 80.000 Besucher. Auch 2012 ist der Ansturm riesig. Vielleicht weil sich Costa Cordalis angekündigt hat – er will gemeinsam mit den Besuchern in Schwäbisch Hall den Weltrekord im Sirtakitanzen brechen. Viel eher jedoch, meint der GBA-Vize, weil der Funke längst übergesprungen ist. Grillen ist Trend. Die Deutschen entwickeln sich zum Grillvolk.
Ohne Grill, kein Sommer
Mehr als ein Drittel grillt im Sommer mindestens einmal die Woche, mehr als die Hälfte mindestens einmal pro Monat. Ohne Fleisch auf dem Grill, ist der Sommer kein richtiger Sommer, finden fast 60 Prozent der Deutschen. Am liebsten grillt der Deutsche – die Damen halten sich noch immer etwas zurück – auf dem klassischen Holzkohlegrill, den 80 Prozent aller Grillfans besitzen und gegrillt wird, weil – richtig – es so lecker, gesellig und gemütlich ist. Grillen ist ein Fest und gegrillt wird immer öfter auch zum Fest – zu Silvester und Weihnachten etwa. Schon ein knappes Drittel der Deutschen grillt das ganze Jahr hindurch. Das ergab die Weber Grillstudie 2012.
Fachlektüre und Grillschulen
Doch die Deutschen grillen nicht nur immer öfter, sie wollen darin auch immer besser werden. Wissbegierig studieren sie Fachlektüre wie etwa Weber’s Grillbibel, die sich zum Bestseller entwickelt hat. Der Hersteller der bekannten Kugelgrills profitiert nicht schlecht vom Grillfieber und füttert seine Fans mit immer neuen Titeln. Zur Saison 2012 gibt es Weber’s Grillen, Weber's Räuchern und Heft speziell zu Seafood. Immer aufwendigere Speisen bis hin zu Kuchen und Desserts landen auf dem Grill, belegt die Grillstudie des Herstellers. Das lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Den Deutschen ist die Wurst nicht mehr genug.
Lernen von den Besten
Doch die Zubereitung auf Sterneniveau will gelernt sein. 10.000 Teilnehmer zählte die Weber Grillakademie im vergangenen Jahr – Tendenz steigend. In der ganzen Republik von Berlin bis Stuttgart bietet der Hersteller von Grills und Accessoirs Kurse an. Die Gebühr beträgt zwischen 90 und 125 Euro pro Person.
Der Großmeister des Grills
Damit ist Weber’s Grillakademie die wohl größte Konkurrenz für Ebbo Christ. Der Vizepräsident der GBA hat die 1. Württembergische Grillschule eröffnet. Seit zehn Jahren weist der Exilschwabe die Einheimischen in die Kunst des Grillens ein, wird nicht müde den Unterschied zwischen direktem und indirektem Grillen zu erläutern, predigt den Einsatz von hochwertigem Fleisch und Gemüse und natürlich die Anschaffung eines ordentlichen Grills.
„Mit einem guten Gerät macht es einfach mehr Spaß. Das ist wie mit der billigen Bohrmaschine, die macht auch ein Loch – aber wie“, erklärt Christ, warum man ein paar Euro mehr investieren sollte. Ab 100 Euro, sagt er, bekommt man einen passablen Holzkohlegrill, einen guten für 300 bis 500 Euro. Gasgeräte sind grundsätzlich teurer, ab etwa 170 Euro kann man mit ordentlicher Qualität rechnen. Christ: „Der Trend gehe auf jeden Fall zu höherwertigen Geräten, im guten Mittelfeld liegen wir bei 500 und 1000 Euro für einen Gasgrill.“
Das klingt nach viel. Doch wenn man bedenkt, dass kein Deutscher vor 15 Jahren auch nur im Traum daran gedacht hätte, für eine Kaffeemaschine mehr als 30 Mark auszugeben und heute für eine vollautomatische Espressomaschine – die wohlgemerkt in der warmen Küche steht und nicht bei Minusgraden auf der Terrasse überwintern muss – ohne mit der Wimper zu zucken 800 Euro auf den Tisch legt, dann wirkt der Preis kaum mehr abgehoben.
Mission "Grillniveau" erfüllt
Bei Ebbo gibt es den geselligen Grillabend je nach gewähltem Kurs für 69 bis 99 Euro pro Person. Am häufigsten gebucht ist derzeit „Von Ällem Ebbes“ – eine schwäbisch-charmante Formulierung für „von allem etwas“, ein Querbeet-Kurs also, in dem der Grillwütige erlernt, was jenseits der Bratwurst auf dem Rost landen kann. Die Einsteigerkurse werden beim Grillguru schon nicht mehr so häufig nachgefragt. Die zehn Jahre auf Grillmission machen sich in seiner Region bemerkbar. "Das Niveau ist gestiegen", freut sich der 52-Jährige, der er sich mit der German Barbecue Association zum Ziel gesetzt hat, "die freizeitliche Grillkultur zu fördern". Dazu gehört auch das Bewusstsein für hochwertige Lebensmittel zu schärfen. Fleisch bezieht er am liebsten aus der Region, „Qualität, bei der man weiß, wo es herkommt“.
Ein Fest für die Fleischer
Für ein gutes Stück Fleisch auch etwas tiefer in die Tasche greifen, das lobt sich Gero Jentzsch, Pressesprecher des Deutschen Fleischer Verbands. Im DFV haben sich 15 Landesinnungsverbände des Fleischerhandwerks zusammengeschlossen. Den Metzgern rettet die Grillsaison die Sommerbilanz. Denn wenn die Temperaturen steigen, schwindet bei den Verbrauchern die Lust auf schwere Braten – Produkte mit denen das Fleischerhandwerk zu Weihnachten und in den Wintermonaten ein gutes Geschäft macht. Mit zunehmend lauen Abenden wächst glücklicherweise der Appetit auf gegrillte Würstchen, Spieße und Steaks.
Experimentelle Phase
„Von der Grillsaison profitieren die Fleischer ganz beträchtlich“, weiß Jentzsch. Ein gutes Grillgeschäft ist ein wichtiger Indikator für den Umsatz des kompletten Jahres. Bratwurst und Schweinenackensteak sind nach wie vor die Kassenschlager, aber der Sprecher des Fleischerverbands beobachtet, dass die Kunden von ihrem Fachgeschäft immer raffinierte Waren wünschen. „Wir stellen eine Verfeinerung des Geschmacks fest. Kunden wünschen sich mehr Auswahl im Grillsortiment“. Lammbratwürstchen etwa, Bratwurst mit frischen Kräutern oder Würste mit Wildbrätanteil. „Die Grillsaison regt die Fantasie der Fleischer und damit auch die Kauflust der Kunden an.“ Im Düsseldorfer Raum sollen bereits „Altbier-Griller“ – also Würstchen mit der regionalen Bierspezialität „Alt“ gesichtet worden sein.
Ampelsteaks in Rot, Gelb, Grün
Die Fleischlust der Deutschen will auf vielfältigste Weise gestillt werden – doch nicht jeder Kunde sucht den Fachhandel auf. Mit Kampfpreisen stürzt sich der Einzelhandel in die Saison. Mit „Ampelware“ – also meist Schweinenackensteaks in grüner, roter und gelber Marinade. Lidl lockt mit Aktionspreisen von „minus 25 Prozent“. Dem deutschen Bauernverband schmeckt das gar nicht. „Manche lernen es nie“, kommentiert der Generalsekretär des DBV Helmut Born die Reklameoffensive mit billigstem Fleisch. Die Discounter vergäßen alle Prinzipien der Wertorientierung, kaum dass sich die Vieh- und Fleischwirtschaft zur tierschutzgerechten und nachhaltigen Erzeugung bekannt habe. Ein „Rückfall in das Verramschen von Nahrungsmitteln“ nennt Born das. Auch die Kaufland-Marke „Purland Ihre Frische Metzgerei“ wirbt mit „Auf Dauer billig“ für Steaks Provence für 4,99 das Kilogramm, Rostbratwürstchen gibt es mit 11 Prozent Rabatt für 5,86 Euro. Rewe steigt mit grober Bratwurst für 4,99 – fast ein Drittel billiger als sonst - in den Grill-Ring. Den Fleischern macht das wenig Laune. Mit dieser Billigware können und wollen sie nicht konkurrieren. Letztendlich entscheidet der Geschmack des Verbrauchers, was auf den Grill kommt.
Maultaschen vom Grill
Der Lebensmittelhandel steht den findigen Metzgermeistern in punkto Kreativität in nichts nach. Maultaschen-König Burger bietet im neuen „Grillers“-Sortiment Teigtaschen zur Zubereitung über offenem Feuer an – etwa im „Veggie Herbal Style“ für den fleischlosen Genuss oder im klassischen „BBQ Style“. Erlaubt ist was gefällt. Gero Jentzsch sieht die Deutschen noch in der Entwicklung: „Die Revolution am Grill ist noch nicht ganz vollzogen“, meint der Sprecher des Deutschen Fleischer Verbands. Zu jeder Revolution und Evolution gehört eine experimentelle Phase. Maultaschen auf dem Grill – nun ja, das Ende der Grillrosts ist eben noch lange nicht erreicht. Und nicht in jedem Grillwütigen schlummert auch ein Koch. Man greift zur Fertigware - schaut lieber zu, wie andere kochen.
Floristen in Not
Ein Phänom, dass einen wahren Kochshow-Boom im deutschen Fernsehen auslöste - von Lanz bis Lafer. Der österreichische Spitzenkoch, der mit Kollege Horst Lichter im ZDF in der Showküche steht, hat sich als Grill-Experte einen Namen gemacht. Seit 2006 folgen tausende Zuhörer Johann Lafers interaktiver Grillparty beim Radiosender SWR 3. Im vergangenen Jahr sorgte der Spitzenkoch für einen unverhofften Umsatzanstieg bei den Floristen. Im gesamten Sendegebiet kauften eifrige Mit-Griller die Bestände an Bananenblätter auf, um das exklusive Rezept des TV-Kochs nachzukochen.
Doch das Interesse an Kochsendungen schwindet, die Sendezeiten rücken immer später in den Abend. „Vielleicht“, meint Grill-Lehrer Ebbo Christ, „werden sie bald von Grill-Sendungen abgelöst.“ Da ergäben sich ganz neue Möglichkeiten der Präsentation, unkt der Grill-Experte. Bietet der Grillboom am Ende eine neue Perspektive für die Showstars von gestern? Harald Schmidt am BBQ-Smoker? Gottschalk grillt? Man darf noch träumen in diesen Tagen – und wenn es nur von Bratwurst ist.