Als Theresa Ragan mit dem Schreiben begann, war sie 33 und zum vierten Mal schwanger. Sie schrieb morgens, wenn die Kinder noch im Bett waren, mittags, wenn sie im Auto vor der Schule wartete, und abends, wenn die Kleinen wieder schliefen. Mehr als ein halbes Dutzend Bücher verfasste sie in ihrem Vorstadthaus in der kalifornischen Hauptstadt Sacramento. Geschichten, die niemand las.
Zwei Agenten versuchten, Ragans Werke bei Verlagen unterzubringen. Doch keiner griff zu. 2009 war die Autorin so frustriert, dass sie einen Krimi schrieb, in dem alle Hauptpersonen ermordet wurden – „aus Selbsttherapie“, wie sie heute sagt. Dann erfuhr sie in einem Blog von Amazons Autorendienst. Auf der Selfpublishing-Seite des Internet-Händlers kann seit 2007 jeder eigene Bücher digital veröffentlichen. Ragan stellte eines ihrer alten Werke ins Netz. „Ich rechnete mit 10 oder 20 Lesern“, erinnert sie sich. Schon in der ersten Woche waren es Tausende.
Klassische Verlage werden überflüssig
Seitdem reißt ihre Popularität nicht mehr ab. Ragan hat in den vergangenen drei Jahren rund eine Million Bücher verkauft – Thriller wie „A Dark Mind“ und Romanzen wie „A Knight in Central Park“. Mehr als 1,5 Millionen Dollar hat sie eingenommen – damit zählt sie weltweit zu den Top-Verdienern im schreibenden Gewerbe.
Fakten zu E-Books in Deutschland
Der Umsatzanteil der E-Books auf dem deutschen Buchmarkt ist in den ersten sechs Monaten dieses Jahres auf 4,9 Prozent angewachsen. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum waren es 4,2 Prozent.
Die Wachstumskurve hat sich zugleich abgeflacht, wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels am 1. Oktober 2014 mitteilte. Die Steigerungsrate habe von Januar bis Juli nur noch knapp 13 Prozent betragen. Im Vorjahr seien es fast 70 Prozent gewesen.
...bei E-Books im ersten Halbjahr war die Belletristik mit 82 Prozent Umsatzanteil.
In Deutschland liest fast jeder Vierte elektronische Bücher. Der Anteil der E-Book-Leser liegt inzwischen bei 24 Prozent nach 21 Prozent im vergangenen Jahr, ergab eine Umfrage im Auftrag des IT-Branchenverbands Bitkom. Berücksichtigt man nur die Menschen, die überhaupt Bücher lesen, greift sogar jeder Dritte zum E-Book.
Beim Lesen von E-Books kommen die Geräte, die sich aus Sicht der Industrie am ehesten für das Lesen digitaler Bücher eignen, am seltensten zum Einsatz. So nutzen nur 27 Prozent der Leser E-Book-Lesegeräte und 30 Prozent Tablet-Computer, ergab die Bitkom-Umfrage. Am häufigsten werden E-Books auf Laptops gelesen: das machen 56 Prozent der Nutzer. Danach kommen das Smartphone mit 44 Prozent und stationäre PCs mit 32 Prozent.
Ragans Geschichte ist mehr als eine typisch amerikanische Erfolgsstory. Sie ist so etwas wie die Blaupause für eine Welt, in der klassische Verlage überflüssig werden. Die heute 53-Jährige ist längst Vorbild der Indie-Szene unabhängiger Autoren in den USA.
Schätzungen zufolge stammt jeder dritte der 120.000 meistverkauften E-Book-Titel bei Amazon von Selbstverlegern. Die erwirtschaften dort mit digitalen Büchern schon mehr als die Autoren der fünf größten US-Verlagshäuser zusammen. Sie vermarkten ihre Werke über soziale Netzwerke und holen sich Vorschüsse auf Crowdfunding-Plattformen. Lohn der Mühe ist die Garantie, dass das Buch auch wirklich erscheint. Und ein höheres Honorar: Leiten Verlage meist nur gut zehn Prozent der Erlöse an die Autoren weiter, so sind es bei Amazon bis zu 70 Prozent.
Leser entscheiden über Qualität
Was einen Autor ausmacht, wird völlig neu definiert. Jeder kann jetzt Bücher verfassen. Wie gut das Geschriebene ist, entscheiden die Leser – indem sie die Werke kaufen oder eben auch nicht, sie auf Händlerseiten bewerten und in sozialen Literaturnetzwerken wie Goodreads weiterempfehlen.





Auch das Schreiben, oft als einsame Hirnarbeit in der Dachkammer idealisiert, wird in sozialen Netzwerken wie Wattpad oder Fidus Writer zum Gemeinschaftsprojekt. Autoren helfen sich gegenseitig mit dem Redigieren, Formatieren und korrekten Zitieren. Die Leser der kalifornischen Plattform Coliloquy bestimmen gar mit, wie der Autor Storys weiterentwickelt.
Manches Verlagshaus passt sich bereits an. So wie der Hamburger Kinder- und Jugendbuchverlag Oetinger, die deutsche Heimat von Pippi Langstrumpf und dem Sams. Bei ihm werkeln ganze Teams im Internet zusammen: 200 Autoren, Illustratoren und Lektoren leben in der virtuellen Schreibwerkstatt namens Oetinger34 ihre Kreativität aus. Jeder kann die Arbeit der anderen kommentieren: Passt die Zeichnung zum Charakter des Helden? Stimmen die Farben? Lässt sich der Text durch ein Bild ersetzen, das die Aussage besser trifft? Gemeinsam sollen so bessere, schlauere Bücher entstehen.