Digitalisierung Das Smartphone wird alles überleben

Kaum ein Besitzer möchte sein Smartphone noch aus der Hand legen - eine Jahrhunderttechnologie Quelle: imago images

Analysten werfen Apple vor, sich zu abhängig vom iPhone zu machen. Dabei braucht der Konzern gar nichts anderes. Warum das Smartphone eine Jahrhunderttechnologie wie Auto, Elektrizität oder Eisenbahn ist.

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Es war ein hartes Jahr für Apple. Seit Oktober büßte die Aktie des Konzerns rund 30 Prozent an Wert ein. Und immer heftiger kritisieren Analysten die Abhängigkeit des Unternehmens vom iPhone. 2019 dürfte kaum Besserung bringen, sagen einige Marktexperten doch sinkende Verkaufszahlen voraus. Ungeachtet dessen verkündete Star-Investor Warren Buffett vor einigen Wochen, dass er weiter Aktien von Apple hinzugekauft habe. Liegt Buffett falsch? Haben wir den Anfang vom Ende der Smartphone-Ära erreicht?

Mitnichten! Buffett hat vielmehr erkannt, dass Apple etwas seltenes gelungen ist. Nämlich mit dem Smartphone eine Jahrhunderttechnologie zu entwickeln. Eine Technologie, die uns und unsere Kindeskinder überleben wird. Eine Technologie, wie es das Auto ist, die Eisenbahn, die Elektrizität und – reist man weit in der Zeit zurück – das Rad.

Wenn Buffet richtig liegt, wären Prognosen von Analysten, wonach Apple im ersten Quartal 2019 nur noch 38 bis 42 Millionen Smartphones verkaufen wird, nur eine kurzfristige Schwankung in einem reifen Markt. Ein massiver Einbruch wäre langfristig nicht zu befürchten. Das iPhone wäre für Investoren so etwas wie eine sichere Bank.

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass uns das Smartphone – so oder so ähnlich, wie wir es heute kennen – noch viele Jahrzehnte begleiten wird. Es ist die perfekte Mischung aus Arbeits- und Freizeitgerät. Es versorgt Auge und Ohr, inzwischen sogar unseren Tastsinn mit Informationen. Es ersetzt Laptop und Portemonnaie, dokumentiert unser Leben in Form von Fotos, Videos und Standortdaten, ist auf Reisen unser Radio oder unser Fernseher, es ist Stadtführer und Restaurantkritiker. Und es ist die zentrale Stelle, an der Telefonate, Videogespräche und Textnachrichten zusammenlaufen. Dabei passt das Gerät in unsere Hosentasche.

Etwas mehr als ein Jahrzehnt nach seiner Erfindung ist das Smartphone bereits so gut, dass dessen Besitzer es kaum noch aus der Hand legen möchten. Internationalen Studien zufolge zückt heute rund jeder zweite sitzende Passagier in einem Bus oder einer Bahn sein Smartphone. Zugleich funktioniert das Gerät auf der heimischen Couch, bleibt selbst dann nicht unbeachtet, wenn auf dem Fernseher ein spannender Film läuft.

Jahrhunderttechnologien zeichnen sich besonders dadurch aus, dass alle Versuche, sie abzulösen, scheitern. Flugautos sind beispielsweise auch 70 Jahre, nachdem sie erdacht wurden, nicht in unserem Alltag aufgetaucht, haben erst recht nicht das Auto ersetzt. Und wir steuern noch heute das Auto per Lenkrad und nicht per Joystick. Die Art, wie das Automobil funktioniert, hat sich im 20. Jahrhundert nur marginal verändert. Das gilt genauso für die Eisenbahn. Solche nur noch minimalen Veränderungen erleben wir zunehmend auch beim Smartphone: eine etwas bessere Kamera hier, ein größeres Display da, das war's. Trotzdem verlieren wir nicht die Lust an dem Gerät.

Hardware- und Softwareentwickler haben das Smartphone nahezu perfekt an uns Menschen angepasst. Die grafische Bedienoberfläche lässt sich intuitiv mit dem wichtigsten Werkzeug steuern, das wir zur Verfügung haben – unserer Hand. Ein gewaltiger Vorteil etwa gegenüber sogenannten Datenbrillen. Die verschmelzen zwar die reale Welt mit der virtuellen, müssen jedoch wenig intuitiv über Blicke, Gesten oder einen Joystick gesteuert werden, sobald man mehr als seine Blickrichtung ändern will. Der Chef des Spieleherstellers Epic Games, Tim Sweeney, hatte noch vor vier Jahren vorhergesagt, dass solche Augmented-Reality-Brillen binnen zehn Jahren traditionelle Bildschirme verdrängen würden. Inzwischen glauben offenbar nicht einmal mehr die Treiber der Brillen-Technologie daran, darunter Konzerne wie Facebook und Microsoft.

Die wichtigste Zutat für den Erfolg des Smartphones

Stattdessen lassen sich unsere Smartphones mit einer billigen Pappkonstruktion und zwei Linsen zur Datenbrille umfunktionieren, mit der wir bei Bedarf in die virtuelle Realität eintauchen können.

Ja, inzwischen können wir sogar mit unserem Smartphone sprechen, es nach dem Wetter, Aktienkursen oder Fußballergebnissen fragen – wie bei sogenannten Smart Speakern, den intelligenten Lautsprechern.

Solche Smart Speaker wie Amazons Echo, Apples HomePod oder Google Home, die gerade reihenweise auf den Markt kommen, spielen auf Befehl Musik und Nachrichten ab. So sinnvoll und hilfreich eine Sprachsteuerung im Alltag sein mag, im Vergleich zum Smartphone sind Smart Speaker vorerst nur ein Nischenprodukt.

Das liegt auch daran, dass ihnen die heutzutage wichtigste Kommunikationsschnittstelle zum Menschen fehlt: der Bildschirm. Mit einem Blick können wir mehr Informationen aufnehmen als es unser Ohr in der gleichen Zeit kann. Neurowissenschaftler haben inzwischen herausgefunden, dass etwa die Hälfte unserer Gehirnleistung für die Verarbeitung von visuellen Informationen genutzt wird. Die Gründe liegen in der evolutionären Vergangenheit des Menschen. Unsere Vorfahren hielten in der Savanne Ausschau nach Gefahren, nach Nahrung, nach einem Partner zur Fortpflanzung.

Wie wichtig unsere Augen weiterhin sind, lässt sich auch im heutigen Medienverhalten ablesen. Eine Studie des Verbandes Privater Medien kam zu dem Ergebnis, dass die Deutschen im Schnitt mehr als fünfeinhalb Stunden täglich auf Bildschirme starren, dagegen nicht einmal vier Stunden Radio und Musik hören. In den USA fällt das Verhältnis noch krasser zu Gunsten des Bildschirms aus. Es dürfte also niemanden wundern, dass heute so mancher Nutzer drei bis vier Stunden am Tag mit seinem Smartphone interagiert, es als Spielkonsole nutzt, zur Videowiedergabe, zum Chatten, zum Lesen – und hin und wieder auditiv zum Hören von Podcasts und Musik.

Die wohl wichtigste Zutat für den dauerhaften Erfolg des Smartphones ist aber seine Erweiterbarkeit. Mittels Apps und Sensoren lassen sich die Funktionen des Gerätes auf alle erdenklichen Arten ausbauen. Das Smartphone wird zum Blutdruckmessgerät, zum Navi, zum Flugzeugradar, zur Bankfiliale, zum Supermarkt. Es frisst nahezu jede neue Technologie, die auf den Markt kommt und macht sie zur eigenen Funktion.

Das Smartphone wird sich auch in den nächsten Jahren weiter entwickeln, mal schneller, mal langsamer – vielleicht sogar ein flexibles Display und flexible Akkus bekommen, so dass wir das Gerät irgendwann wie eine Uhr ums Handgelenk wickeln können. Selbst jene Technologie, an der Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk zurzeit mit einem Start-up namens Neuralink arbeitet, könnte irgendwann als weitere Funktion ins Smartphone einfließen: Musk tüftelt an einer direkten Datenverbindung zwischen Gehirn und Computer. Während sich Neuralink im ersten Schritt auf medizinische Anwendungen konzentriert, etwa die Steuerung von Prothesen, fantasieren die ersten schon von der alltagstauglichen Gedankensteuerung von Computern – und Smartphones.

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