Digitalisierung Händler tasten sich ins digitale Neuland

Eine Studie zeigt: Viele deutsche Handelsunternehmen bewerten ihren digitalen Fortschritt optimistischer als er ist. Mehr als die Hälfte sind nicht für die Digitalisierung gerüstet. Das wird sie teuer zu stehen kommen.

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Viele Unternehmen schätzen ihren digitalen Fortschritt positiv ein – oft zu Unrecht. Quelle: dpa

Düsseldorf Der Anzug des Hauptdarstellers in dem Blockbuster war wirklich chic. Doch nach einem kurzen Check bei Amazon entscheidet man sich dagegen, ihn zu kaufen. Passt sicher eh nicht. Beim Spaziergang durch die Altstadt am nächsten Tag brummt das Handy: „In dem Laden auf der linken Seite in 50 Metern, können Sie den Anzug anprobieren.“ Der Anzug sitzt noch nicht ganz richtig. Per Klick auf den Touchscreen in der Kabine öffnet sich der Spiegel und präsentiert ihn eine Nummer größer. Er sitzt perfekt. Kaum ist der Kunde aus dem Laden, meldet sich das Handy wieder: „In dem Laden gegenüber gibt es einen Rabatt auf passende Schuhe zur Ihrem neuen Anzug. Und im Blumenladen nebenan bekommen Sie einen Blumenstrauß für Ihre Frau.“

So könnte eine perfekt digitalisierte Handelswelt aussehen. Doch noch tut sie es nicht. Dass nicht nur der Onlinehandel, sondern die komplette Digitalisierung der Wertschöpfung immer wichtiger, ist nichts Neues. Trotzdem scheint diese Nachricht noch nicht bei vielen deutschen Händlern angekommen zu sein.

Das zumindest sagt eine Studie zum digitalen Reifegrad der Unternehmen in Deutschland, durchgeführt vom Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW). So sind mehr als die Hälfte der deutschen Firmen aus den Bereichen Handel, Produktion und Herstellung nicht für die Digitalisierung gerüstet. Lediglich 16 Prozent befinden sich im höchsten Reifegrad der Digitalisierung.

Ein Grund dafür ist eine verzerrte Selbstwahrnehmung. So geben bei den größeren Mittelständlern 71 Prozent an, die digitale Strategie in ihr operatives Geschäft einbeziehen, bei den kleineren Unternehmen sind es 57 Prozent. Doch den Plänen folgen nach Einschätzung der Experten oft keine Taten, die digitale Strategie scheitert an der Umsetzung.

Außerdem sehen nicht alle Händler in der Digitalisierung eine wirtschaftliche Chance. Immerhin schon 73 Prozent der großen Mittelstandunternehmen glauben, dass durch die Digitalisierung neue Wertschöpfungsquellen erschlossen werden können. Doch Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern denken zu 50 Prozent das Gegenteil.

Das könnte sie teuer zu stehen kommen. „Unternehmen, die sich der Digitalisierung verweigern, werden es schon in wenigen Jahren schwer haben, das Geschäft aufrecht zu halten“, warnt Oliver Bohl vom BVDW. Denn die Digitalisierung ist unaufhaltbar – ob man möchte oder nicht. „Wir müssen die Realität annehmen – und zu dieser gehört der digitale Fortschritt.“


Große Chancen für Apotheker oder Optiker

Ein Beispiel ist der Möbelhandel. Während viele mittelständische Firmen noch fast ausschließlich auf die stationären Märkte setzen, ist die Otto-Group geschickt in diese Lücke gestoßen und hat davon profitiert: Ihr Onlineumsatz von 700 Millionen Euro jährlich zeigt, dass das Geschäft mit Einrichtungsbedarf im Web durchaus lukrativ sein kann. Auch Ikea möchte nun nachziehen. Zwar verzeichnet es zurzeit nur 190 Millionen Euro jährlich, will aber bis 2020 seinen Onlineumsatz auf 800 Millionen steigen.

Doch es sind nicht Unternehmen wie Ikea oder die Otto-Group, die Probleme mit der Digitalisierung haben. „Vor allem kleine und mittlere Unternehmen hinken bei der Digitalisierung hinterher. Der Grund sind oftmals die hohen Kosten. Vielfach fehlt den Unternehmen aber auch das Bewusstsein dafür, welche Prozesse verbessert werden könnten“, sagt Bohl.

Es ist kein Geheimnis, dass Bücher und CDs gerne online gekauft werden. Viele kleine Läden verschwinden dadurch aus den Altstädten des Landes. Ihnen ist die Digitalisierung nicht gelungen. Auch der Elektrowarenhandel leidet. „Weniger emotionale Produkte werden gerne online gekauft. Diese können dort anhand technischer Daten sogar besser verglichen werden“, so Bohl.

Es reicht aber noch lange nicht, lediglich das stationäre Angebot in einen Onlineshop zu verfrachten. „Der Kunde ist heute multidimensional. Er interagiert mit den Händlern an verschiedenen Kontaktpunkten – stationär und online. Überall dort muss ein Unternehmen präsent sein,“ sagt Bohl. Ist es das nicht, tritt ein anderer Anbieter an seine Stelle.

Davon sind nicht nur Geschäfte betroffen. Konsumenten wünschen sich auch von Onlinehändlern, dass sie ihre Produkte in echten Läden erlebbar machen. Das führt dann dazu, dass sogar der Online-Riese Amazon Kaufhäuser eröffnet, wie etwa in Seattle und bald auch in San Diego.

Hierzulande bieten die Mode-Unternehmen Modmoto und Outfittery erste Ansätze für eine Verzahnung vom Onlinehandel und dem stationären Auftritt: Personalisierte Outfits samt Blazer, Hose, Hemd und Schuhen werden durch eine Online-Befragung zusammengestellt und per Post verschickt. Für den analogen Auftritt stehen neu in Berlin ein Fitting Room von Modomoto und ein Ausstellungsraum von Outfittery bereit.

Bohl sieht vor allem für Unternehmen, die noch zu 90 Prozent stationär und nur 10 Prozent online aktiv – etwa Apotheken oder Optiker – große Chancen in der Digitalisierung. „Solche Unternehmen können gerade aus dem Nichtreagieren anderer Branchen, die durch die Digitalisierung massiv unter Druck geraten, lernen und es besser machen.“

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