Für das Weihnachtsgeschäft kam diese Aktion etwas zu spät. Mitte Dezember verkündete Aldi, dass man künftig über den „Aldi Talk“ Mobilfunkshop auch Smartphones, Tablets und entsprechendes Zubehör anbieten will. Im Sortiment sind Produkte aller bekannten Hersteller, wie Apple, Samsung, LG oder Huawei. Für die Abwicklung haben sich Aldi Süd und Aldi Nord einen langjährigen Partner an Bord geholt: Medion.
Was auf den ersten Blick wenig spektakulär wirkt, ist für die Discountriesen ein gewaltiger Schritt. Hatten sie noch bis vor kurzem den Onlinehandel gemieden wie der Teufel das Weihwasser, tasten sie sich jetzt ins Neuland vor. „Aldi geht im E-Commerce vorsichtig vor, ihr wichtigstes Ziel ist es immer noch, die Kunden in die Märkte zu bekommen“, sagt Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute aus Köln. „Aber sie werden auf Dauer nicht darum herumkommen, auch online zu verkaufen.“
Wie Aldi groß wurde
Wer hatte eigentlich die Idee Aldi so zu gründen, wie wir es heute kennen? Es wird wohl nie endgültig zu klären sein. Aber viele Indizien deuten darauf hin, dass es eher Karl Albrecht war als sein Bruder Theo. Das soll aber nicht schmälern, welch wichtigen Beitrag auch Letzterer beitrug.
Der Krieg war aus. 1946 im zerbombten Essen-Schonnebeck begann die Erfolgsgeschichte zwischen Lebensmittelkartons und Krämerware. Das Brüderpaar Karl und Theo Albrecht erkannte die Chance, die die Phase der sozialen Umorientierung bot. Sie bauten den Tante-Emma-Laden der Eltern aus.
Karl und Theo Albrecht erkannten rasch, dass der Laden der Eltern ihnen beiden keine Zukunftsaussicht bot. Sie entdeckten die betriebswirtschaftliche Zauberformel der Zeit „Nachfrage versus Bedarfsdeckung“ für sich und schafften es, sie im Sinne des Kunden zu lösen.
Karl und Theo Albrecht lebten die Anforderungen der damaligen Zeit in perfekter Symbiose. Sie hatten weder äußerlich viel gemeinsam noch waren sie ähnlich gepolt. Theo überragte seinen Bruder um Kopfeslänge. Doch der „Kleinere“ war Vordenker und Impulsgeber. Ungeduldig, beredt, rastlos, bisweilen explosiv war Karl. Theo wirkte dagegen eher zurückhaltend, sogar zögerlich abwägend.
Die beiden Brüder waren in ihrer uniformen Arbeitsauffassung füreinander ein Glücksfall. Von vornherein waren die Aufgaben geteilt: Karl versah den Innen-, Theo den Außendienst. Sprich: Karl kümmerte sich um die schwierige Einkaufspolitik. Es war nicht einfach, die richtige Ware preiswert und in ausreichende Menge zu erhalten. Theo betreute die Verkaufsstellen sowie die Verwaltung und Buchhaltung.
1946 begann es mit dem kleinen Laden der Eltern. 1950 nannten die beiden Brüder eine Kette von 13 Läden inklusive Bedienungen ihr Eigen. Nun strukturierten sie ihre Läden nach dem Discountprinzip um. 1961 trennten sie ihre Geschäfte in Aldi Nord und Aldi Süd.
Zur moralischen Stabilität ihrer Konzerne trug maßgeblich die persönliche Lebensweise der Brüder bei. Beide waren im Auftreten zurückhaltend und lebten bescheiden. Sie waren nach alter Schule nach den Prinzipien Sparsamkeit und Kargheit erzogen.
Als einzigen „Luxus“ erlaubten sie sich ein eigenes Auto. Auf sein Golfschloss in Donaueschingen schickte Karl Albrecht seine Führungskräfte zum Entspannen. Die Brüder kannten keine Scheu vor ihrer kleinbürgerlichen Herkunft. Die Adresse Huestraße 89 in Essen-Schonnebeck wollten sie nie abstreifen. Sie waren stets praktizierende Katholiken und wollten in der Öffentlichkeit so wenig wie möglich wahrgenommen werden.
Theo Albrecht hatte eine Marotte: Er wollte jede Filiale sehen, bevor die zentrale Schreinerei an die Fertigung der Regale und Einrichtungsteile ging. Dabei kümmerte den Hobbyarchitekten die Delegation von Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung nur bedingt. Es galt: In dubio pro Theo.
Es gab durchaus Spannungen zwischen dem quirligen Theo und dem abwägenden Karl Albrecht. Besonders deutlich wurde das beim ersten Schritt über die Grenzen Deutschlands. 1971 expandierte Aldi nach Österreich. Karl war es, der die Familie als erster international aufstellte. Heute firmiert Aldi Nord in Österreich übrigens unter dem Namen „Hofer“.
Verschwiegenheit war stets Trumpf im Hause Albrecht. Aldi lässt sich partout nicht in die Karten schauen. Die totale Verschleierung aller Kulissen ist institutionalisiert. So wenig undichte Stellen wie möglich, lautet die Devise.
Die Brüder gaben sich Maßregeln, die zu unverrückbaren internen Prinzipien wurden: Keine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Keine Firmensprecher. Keine Interviews im Radio oder Fernsehen. Keinerlei mondäner Lifestyle. Keine Lobbyarbeit. Keine Firmenjubiläen. Lückenlose Rückgabe von Werbegeschenken.
Die Zurückhaltung hatte einen guten Grund: Abgucker und Schmarotzer sollten keine Gelegenheit zur Einsicht in Interna haben. Die innovative Discount-Struktur war eine zarte Pflanze und schutzbedürftig. Das neue Konzept musste sich in Ruhe verfestigen. Erfahrungen waren Gold wert.
Aldis Verwaltungsrat ist ein frei schwebendes Organ. Gesellschaftsrechtlich ist es nirgendwo in den Statuten eingebunden. Seine Mitglieder haben freiberuflichen Status, sind aber dennoch die „Macher“: Der Verwaltungsrat ist das zentrale Machtorgan des Konzerns. Aldi steht seit jeher zu seinem Führungssystem, dass sich mit dem Wort Durchgriffs-Management am besten umschreiben lässt. Der Verwaltungsrat hat den Alleinführungsanspruch.
Aldi stellte stets besondere Anforderungen an seine Mitarbeiter und richtet seine Personalsuche darauf ab. Vorstellungsgespräche sind exzessiv angelegt, manchmal über mehrere Sitzungen. Man lotet die charakterlichen und sozialen Hintergründe des Bewerbers genau aus. Personalvermittlungen kommen nicht zum Zug.
Natürlich variiert das Anforderungsprofil je nach Stelle, aber es gibt gewisse Grundvorstellungen: Der Bewerber sollte unauffällig und zurückhaltend im Auftreten sein, seine Bekleidung schlicht und gediegen, seine Herkunft möglichst bodenständig, die Familienverhältnisse geordnet, Sparsamkeit wird sehr geschätzt wie auch Pflichtbewusstsein und Normalität hinsichtlich des Lebensprinzips.
Das Warenumschlagssystem von Aldi mit seinen schematisierten Abläufen erfordert erfahrene Praktiker. Es wird nicht vorrangig Kopfarbeit am Schreibtisch verlangt. Wer richtig aufsteigen wollte, hatte bei den Albrechts eine Ochsentour vor sich. Ein Akademikerstatus ist entbehrlich.
Für Aldi liegt das Geheimnis des langfristigen Erfolges im Zeitmanagement der Führungskräfte. Es gibt eine detaillierte Planungsphilosophie und strenge Normen nach dem Motto: Plan dich oder friss dich! Zudem hat Aldi ein umfangreiches Prämiengerüst. Bezirksleiter bekommen solche und vergeben wiederum welche an ihre Filialleiter. Einzig der Geschäftsführer bekommt keine Prämie.
Wer den Ansprüchen Aldis gerecht werden will, muss sie beherrschen: die Handbücher. Das gilt aber vor allem für die regionalen Geschäftsführer. Aldi Nord hat im Laufe der Jahre alles, was Firmeninterna angeht, in solchen Handbüchern fortgeschrieben. Da ist einiges Zusammengekommen – viel Lesestoff.
Aldi-Mitarbeiter lachen wenig. Zu stark lastet der Druck auf allen. Er wird von der Spitze her aufgebaut und durchgereicht. Das einzige, was lacht, ist die Liquidität.
Es ist auch für Journalisten vom Fach sehr schwierig, Details über die beiden Aldi-Konzerne herauszubekommen. Das Unternehmen ist nicht börsennotiert und somit nur zu bestimmten Veröffentlichungen verpflichtet. Umso wertvoller sind glaubwürdige und detaillierte Berichte, wie sie Eberhard Fedtke in seinem Buch nun geliefert hat. Er war viele Jahre lang Gesellschafter bei dem Konzern.
Bibliografie:
Eberhard Fedtke
Aldi Geschichten. Ein Gesellschaftler erinnert sich
NWB Verlag, Herne 2011
296 Seiten
Schon dass die beiden Aldi-Konzerne hier gemeinsam vorgehen, zeigt die große strategische Bedeutung. Während fast alle Lebensmittelhändler in irgendeiner Form Onlinehandel betreiben, ist es für die Marktführer im Discount neu, dass sie in Deutschland Waren über das Internet verkaufen. Doch mittlerweile reift die Erkenntnis, dass sie sich diesem Vertriebskanal auf Dauer nicht verschließen können. „Mit unserem Mobilfunk-Shop möchten wir neue Zielgruppen ansprechen und von den Vorteilen von Aldi Talk überzeugen“, erklärt Vittorio Rotondo, zuständig für den Bereich Aldi Services bei Aldi Süd.
Ein ähnliches Motiv treibt Aldi beim Onlinehandel mit Wein. Den jedoch testet das Unternehmen nicht im Heimatmarkt, sondern in Großbritannien. „Mit Wein zu starten ist ein logischer Schritt für uns. Es ist eine Prestige-Kategorie für Aldi und ein Einstiegspunkt für Kunden, die vorher noch nicht bei uns gekauft haben“, begründete Matthew Barnes, Geschäftsführer Aldi Großbritannien das neue Angebot.
Chronologie: Der Aufstieg von Aldi
Der Bäcker Karl Albrecht startet am 10. April 1913 den Verkauf von Backwaren im heutigen Essener Stadtteil Schonnebeck.
Quelle: dpa
Karl Albrecht und seine Frau Anna eröffnen im Essener Stadtteil Schonnebeck ein „Kaufhaus für Lebensmittel“.
Nachdem Eltern das Geschäft um weitere Filialen erweitert haben, übernehmen die Söhne Karl und Theo Albrecht 1945 den Betrieb.
Die Brüder entwickeln das Geschäftsmodell weiter. Das Stammgeschäft in Essen-Schonnebeck wird zum Selbstbedienungsladen. Die Kette wächst zudem weiter. 1960 hat das Unternehmen mehr als 300 Filialen.
Das Unternehmen hat mehr als 300 Filialen.
Die Brüder teilen das Filialnetz auf. Karl konzentriert sich auf den südlichen Teil (Aldi Süd) und Theo auf den nördlichen, Aldi Nord. Sie arbeiten aber weiter eng zusammen.
Die erste Aldi-Filiale im Discount-Prinzip wird eröffnet.
1967 folgt der erste Schritt ins Ausland. Aldi Süd übernimmt das österreichische Handelsunternehmen Hofer. 1976 startet Aldi Süd in den USA. Wenige Jahre später steigt auch Aldi Nord mit der Übernahme von Trader Joe's in den US-Markt ein.
Einführung der Aktionstage. Aldi Süd führt Kühltheken für den Verkauf von Frischprodukten ein.
Aldi Süd nimmt u.a. Tiefkühlprodukte ins Sortiment auf.
Aldi Süd beginnt mit der Aufstellung von Backstationen.
Aldi-Mitbegründer Theo Albrecht (Aldi Nord) stirbt im Alter von 88 Jahren.
Aldi Nord führt ein neues Laden-Konzept mit Backstationen ein. Beginn der europaweiten Modernisierung des Filialnetzes.
Aldi-Mitbegründer Karl Albrecht stirbt mit 94 Jahren.
Mit ihrem Discount-Prinzip haben die Gebrüder Albrecht den Lebensmittehandel revolutioniert und ihre Unternehmen einen enormen Erfolg beschert. Das Forschungsinstitut EHI schätzt den Nettoumsatz von Aldi Süd im Jahr 2013 auf 13, 8 Milliarden Euro, den von Aldi Nord auf 10 Milliarden. Aldi Süd verfügt allein in Deutschland über rund 1830 Filialen, Aldi Nord über mehr als 2400. Weltweit kommen Aldi Nord und Aldi Süd zusammen auf insgesamt über 10.000 Filialen und rund 66,8 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Bisher verkauft Aldi in Großbritannien Wein nur in Kisten zu sechs Flaschen. Doch das Angebot soll weiter ausgebaut werden. „Der Wein bringt uns neue Kunden aus der Mittelklasse“, beobachtet Aldi-Manager Barnes.
Es ist deshalb nur eine Frage der Zeit, wann Aldi auch in Deutschland Wein über das Internet verkauft. Der Discounter hält hierzulande schon 22 Prozent Marktanteil im Weinhandel. Wie attraktiv das Segment für den Onlinehandel ist, zeigt der Weinhändler Hawesko. Er hat sich im vergangenen Jahr von Platz 157 auf Platz 57 der größten deutschen Onlinehändler vorgeschoben. Mit einem Umsatz von 91,5 Millionen Euro ist er auch der zweitgrößte Lebensmittelhändler im deutschen E-Commerce.
Konkurrenten setzen Aldi unter Druck
Auch andere Lebensmittelhändler setzen Aldi unter Druck, online weiter voranzukommen. So hat die Supermarktkette Real den Onlinemarktplatz Hitmeister übernommen und will den E-Commerce deutlich ausbauen. Im vergangenen Jahr hat sich Real so von Platz 183 auf 91 vorgeschoben und macht im Netz jetzt fast 50 Millionen Euro Umsatz. Deshalb dürfte es nicht mehr lange dauern, bis Aldi den nächsten Schritt macht. Eine digitale Präsenz hat Aldi Süd für seinen Weinhandel vor kurzem bereits geschaffen. Auf dem Portal meine-weinwelt.de wird das gesamte Weinangebot präsentiert, ergänzt von Tipps von Weinexperten und dazu passenden Rezepten. Nur die Verkaufsfunktion muss noch freigeschaltet werden.
Dass Aldi auch frische Lebensmittel online anbietet, wird wohl noch lange Zukunftsmusik bleiben. Viele Experten bezweifeln auch, ob es jemals so weit kommen wird. EHI-Geschäftsführer Gerling etwa hält die Logistik für zu aufwendig, als dass sie für einen Discounter profitabel zu betreiben sei.
Schließlich tun sich damit auch gestandene Lebensmittelvollsortimenter schwer. Rewe etwa, ein Pionier in diesem Markt, setzt online gerade mal geschätzte 25 Millionen Euro mit Lebensmitteln um. Zwar hat Rewe-Chef Alain Caparros gerade angekündigt, den Umsatz auf 800 Millionen Euro steigern zu wollen. Doch wie er das profitabel betreiben will, bleibt bisher sein Geheimnis. Da tastet sich Aldi lieber vorsichtig und Schritt für Schritt ins digitale Neuland.