Schon mehrfach hatte Lidl-Lenker Gehrig geplant, dem Billig-Primus in Amerika Paroli zu bieten. 2005 sollte Kanada zum Einfallstor für Lidl werden. Die Zentrale hatte bereits Standorte gesichert und Personal eingestellt, um dann überraschend doch den Rückzug anzutreten. Offizielle Erklärungen gab es damals nicht. Schnell machte auf den Fluren der Zentrale das Gerücht die Runde, Gehrig leide unter Flugangst und habe daher das Experiment beendet. Tatsächlich stoppte er das Großprojekt wohl eher, weil dem Konzern die Verzettelung drohte. Zu viele Baustellen waren zur gleichen Zeit aufgerissen worden. Die Auslandsgesellschaften wichen bei Ladengestaltung und Ausrichtung immer weiter von der reinen Lehre aus Neckarsulm ab, wichtige Markteintritte wie in Polen und in Tschechien waren weder finanziell noch personell verdaut.
2016 soll Lidl Aldi überholen
Nun tun sich erneut Chancen in den USA auf. Lidl wolle „zu strategischen Fragen keine Stellung nehmen“, heißt es dazu in Neckarsulm. „Die US-Präsenz ist einer der wichtigsten Vorteile, die Aldi noch gegenüber Lidl hat“, urteilt derweil Handelsexperte Queck.
Nach seinen Daten haben nicht nur Lidl und Kaufland, vereint in der Schwarz-Gruppe, den Dauerkonkurrenten beim Umsatz längst abgehängt. Auch Lidl allein könnte den Billig-Veteranen in absehbarer Zeit übertrumpfen. „Spätestens 2016“, so Queck, „löst Lidl Aldi als weltweit größten Discounter ab.“ Der Experte geht davon aus, dass die globalen Aldi-Umsätze bis dahin auf 66,8 Milliarden Euro steigen werden, die von Lidl sollen dann 67,9 Milliarden Euro erreichen. Rüstet Emporkömmling Lidl jetzt zum endgültigen Gegenschlag – Discounterstrike?
Schwarz startete seine Aufholjagd 1973, zwölf Jahre nach den Albrecht-Brüdern. Da die Brüder ihr Reich in die rechtlich getrennten Unternehmen Aldi Nord und Aldi Süd mit Zentralen in Mülheim und Essen aufteilten, könnte sich Schwarz formal schon heute als Sieger über die jeweiligen Einzelteile betrachten. In der Realität sind Aldi Nord und Süd aber eng verbandelt und werden in Summe als gemeinschaftliches Billig-Bollwerk und deutscher Discount-Primus wahrgenommen.
Richtig daran ist, dass Aldi bei der Produktivität nach wie vor das Maß aller Dinge im Lebensmittelhandel ist. Kein Unternehmen erzielt pro Quadratmeter Verkaufsfläche mehr Umsatz. Der Kult-Discounter gibt im Preiseinstiegssegment den Ton an und ist bei Qualitätsrankings wie in der Kundenzufriedenheit kaum zu schlagen.
Lidl läuft - Aldi lahmt
Trotzdem: Der einst so übermächtige Gegner hat zuletzt an Schlagkraft verloren. Nach Daten des Markforschers GfK stiegen die Lebensmittelumsätze von Lidl in Deutschland im ersten Halbjahr 2012 um 2,2 Prozent. Aldi Süd legte nur um 1,3 Prozent zu, Aldi Nord verlor sogar 0,3 Prozent.
Den Discountern wehe „seit einiger Zeit der Wind ins Gesicht“, schrieben die GfK-Forscher. Vor allem Aldi finde „nicht so recht in die Spur“ zurück.
Über die Genauigkeit der GfK-Daten streitet die Branche, die Tendenz ist aber klar: Lidl läuft, Aldi lahmt. Vorbei sind die Zeiten als neue Angebote wie Reisen oder Telefontarife die Aldi-Geschäfte beflügelten. Passé ist die Ära, als Menschenmassen vor Aldi- und nicht vor Apple-Läden warteten, um Computer zu ergattern. Die Chancen in Osteuropa verschliefen die Manager in Mülheim und Essen.
Und auch im Online-Geschäft agiert der Niedrigpreiskonstrukteur zu zögerlich. Während Lidl im Internet von Abfalleimern bis zu Zelten Tausende Artikel auch fern des klassischen Sortiments verkauft, beschränkt sich die Aldi-Seite auf Basisangebote wie Blumenversand und Fotoservice. „Lidl ist schneller, vielleicht auch etwas mutiger“, konstatiert Queck. Aldi agiere dagegen „sehr viel konservativer bei Innovationen und bei der Expansion“.