Discounter-Giganten Lidl sagt Aldi den Kampf an

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Rein ins Schnäppchengetümmel

Kritiker bleiben skeptisch. Noch immer gebe es zu viele altgediente Kräfte, die die neuen Regeln ignorierten, sagt ein früherer Lidl-Leitender. Auch der Mindestlohnvorstoß wird in der Branche vielfach als Versuch gewertet, die Personalkosten der Wettbewerber nach oben zu treiben.

Mit derlei Vorhaltungen hatte das Schwesterunternehmen Kaufland nie zu kämpfen. Mehr als 600 Kaufland-Märkte gibt es in Deutschland. Die meisten Filialen wirken wie eine labyrinthartige Melange aus Supermarkt und Warenhaus – nur, dass an den Regalen Hunderte Hinweisschilder pappen, die in Knallgelb versprechen: „Discountbillig.“

Obst und Eierlikör

Der Geruch von geräuchertem Fisch zieht über den Parkplatz vor der Kaufland-Filiale in der Rostocker Südstadt. Doch die meisten Kunden ignorieren die Fischbude direkt neben dem Eingang des Marktes. Statt Dorsch und Flunder „frisch vom Kutter“ gilt es heute, Sonderangebote abzustauben. Kaufland feiert Neueröffnung, und so stürzt sich gegen Mittag die überwiegend ältere Kundschaft ins Schnäppchengetümmel. Zwei Damen mit Wuschelfrisuren manövrieren ihren Einkaufswagen beherzt in die Schnapsabteilung und bunkern sieben Kombi-Sets Eierlikör mit Schokobechern. Am Obststand bildet sich rund um die Tafeltrauben „Italia“ eine Rentnertraube. Statt 2,49 Euro kostet das Kilo 1,11 Euro. „Aber mit Kernen“, murrt ein Silberschopf und lädt drei Packungen in den Wagen.

Das Haus in Rostock passt in das neue Filialkonzept. Der Markt ist kleiner als viele ältere Standorte und auf eine Ebene beschränkt. Das Sortiment an Gebrauchswaren wie Geschirr und Jacken wurde zugunsten von Lebensmitteln ausgedünnt. Mit dem Mix aus einem breiten Sortiment von bis zu 60.000 Artikeln und der Discounter-Anmutung hat Kaufland keinen direkt vergleichbaren Konkurrenten. Allenfalls die Metro-Tochter Real agiert mit einem ähnlichen Flächenkonzept.

Waschpulver und Bügeleisen

Während Real seit Jahren die Gewinnzone aber bestenfalls touchiert, schlage sich Kaufland „glänzend“, lobt Thomas Roeb, Handelsprofessor der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Egal, ob Kostenstruktur oder Preisaggressivität, Kaufland sei „in jeder Hinsicht die Benchmark im Großflächengeschäft“, so Roeb. Um die Position zu halten, stachelt das Management den Ehrgeiz der Führungskräfte an. „Wir haben um jeden Cent gekämpft, jeder Verkauf eines Joghurtbechers war wichtig“, erinnert sich Daniel Brußig, der 15 Jahre lang verschiedene Kaufland-Märkte führte, bevor er 2011 die Branche wechselte. Kern der Motivation ist ein Cobra getauftes Steuerungssystem.

Das Kürzel steht für Controlling by Ranking. In mehr als 50 Disziplinen vom Umsatz bis zur Zahl der Stornos an den Kassen und den Personalkosten müssen sich die Marktleiter messen und vergleichen lassen.

Kostenmanager prüfen akribisch jedes Detail. Wie oft muss der Müll abgeholt werden? Legen Reinigungsfirmen bei der Abrechnung der Parkplatzsäuberung die korrekte Quadratmeterzahl zugrunde? Im Zweifel messen die Neckarsulmer Kostenblocker persönlich nach. Das Spar-Gebot erstreckt sich bis zur Gemüsetheke. Um weniger Frischeartikel abschreiben zu müssen, zücken die Kaufland-Kräfte jeden Abend vor Ladenschluss den Rotstift.

Das Niedrigpreisversprechen funktionierte von Anfang an. Als 1984 der erste Kaufland-Markt direkt neben der Zentrale der Schwarz-Gruppe eröffnete, stauten sich die Autos kilometerlang auf den Zufahrtstraßen. 19.000 Video-Kassetten schleppte die Kundschaft von dannen, 6.000 Trommeln Waschpulver und 3.000 Bügeleisen gingen weg, vermerkte damals andächtig der „Spiegel“. „Bei aller Vorsicht gegenüber Eröffnungs-Euphorien“, wurde Dieter Schwarz ob des Ansturms zitiert, „können wir unsere Umsatzerwartung von 100 Millionen Mark im Jahr nach oben korrigieren.“ Heute spült allein Kaufland brutto rund 20 Milliarden Euro ein.

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