Discountrepublik Deutschland Geiz ist geiler als je zuvor

Billiger wird's nicht: Die Deutschen sind ein Volk der Schnäppchenjäger. Quelle: imago images

Die sibirische Discountkette Torgservis will Aldi und Lidl mit Dumpingpreisen unterbieten. Ein gewagter Plan. Doch der Siegeszug von Billigheimern wie Action, Tedi, Kik und Takko zeigt, dass die Magie der Schnäppchenjagd in Deutschland ungebrochen ist. Sie wollen 2019 Hunderte neue Läden eröffnen.

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Die Meldung sorgte für Verwunderung in der Handelszunft: Der sibirische Discounter Torgservis will Ende Januar mit einem ersten Markt in Deutschland starten, mittelfristig sind sogar 100 spartanisch eingerichtete Läden unter dem Namen „Mere“ geplant. Das wichtigste Verkaufsargument: gnadenlos günstige Preise, die selbst die Tarife der heimischen Platzhirsche Aldi und Lidl unterbieten.

Experten bezweifeln, dass das russische Expansions-Experiment gelingt. Doch die Voraussetzungen für den sibirischen Preiskämpfer sind womöglich gar nicht so schlecht. Denn billig boomt in Deutschland. Discounter wie Action, Tedi, Kik und Takko wollen nach Informationen der WirtschaftsWoche 2019 Hunderte neue Läden eröffnen. Ihr Siegeszug zeigt, dass die Magie der Schnäppchenjagd in Deutschland ungebrochen ist und selbst vermeintlich gesättigte Märkte noch Platz für Billig-Newcomer bieten.

Bestes Beispiel: die niederländische Kette Action, die seit 2009 in Deutschland aktiv ist und mittlerweile ein Netz von 290 Läden über das Land gespannt hat. Allein im vergangenen Jahr eröffnete Action 70 neue Standorte. „2019 planen wir mit vergleichbarer Geschwindigkeit in Deutschland weiter zu expandieren“, kündigt eine Unternehmenssprecherin im Gespräch mit der WirtschaftsWoche an. Noch im Frühling sei die Eröffnung der 300sten Filiale in Deutschland geplant und „das Potential für Action auf dem deutschen Markt ist noch groß“. Bisher jedenfalls sei das Unternehmen „mit der Entwicklung der Filialen in Deutschland sehr zufrieden“.

Tatsächlich trifft das Geschäftskonzept den Nerv der Kunden. Dabei ist ein roter Faden im Sortiment, das sich von Dekoartikeln über Werkzeug bis zu Haushaltswaren und Süßigkeiten erstreckt, nur schwer auszumachen. Ein Großteil des Warenangebots in den Action-Märkten wechselt zudem ständig. Die einzige Konstante: der niedrige Preis.

Auf den setzt auch Action-Hauptwettbewerber und Marktführer Tedi. Seit dem Start vor 15 Jahren hat der Nonfood-Discounter sein Standortnetz auf 1600 Filialen in Deutschland ausgedehnt. Allein im vergangenen Jahr kamen mehr als 186 Filialen hinzu. Europaweit gibt es mittlerweile etwa 2100 Tedi-Shops. Und ein Ende des Booms ist nicht abzusehen: „Wir setzen unseren starken Wachstumskurs auch 2019 fort“, sagt eine Unternehmenssprecherin. „In Deutschland planen wir 150 Neueröffnungen und 150 weitere Filialen im Ausland.“

Doch wieso boomt ausgerechnet das Billigsegment? Die Wirtschaft wächst hierzulande seit Jahren, die Arbeitslosigkeit ist niedrig und die Kaufkraft so hoch wie schon lange nicht mehr. Dennoch scheint der Sparwillen vieler Deutscher ungebrochen zu sein. Nur ein überschaubarer Teil der Kunden gönnt sich angesichts der robusten wirtschaftlichen Lage auch höherpreisige Produkte. Für viele andere – darunter nicht nur Konsumenten, die auf jeden Cent achten müssen – scheint weiter die Devise „Geiz ist geil“ zu gelten. Jener Schlachtruf, mit dem die Elektronikkette Saturn kurz nach der Jahrtausendwende den Zeitgeist in drei Worte fasste und Einzelhändler wie Konsumenten in Wallung versetzte.

Erst Ende 2011 gab die Metro-Tochter den Werbespruch auf. Zu stark schienen sich die Kundenwünsche geändert zu haben, zu schwer konnte Saturn dem Preisversprechen angesichts von Onlinerivalen wie Amazon wohl selbst noch gerecht werden. Auch andere Discounter wollten weg vom Schnäppchenschleuder-Image. Selbst die Discountpioniere Aldi und Lidl lieferten sich fortan ein Wettrennen um die schönsten Filialen im Land, stellten mehr Markenprodukte in die Regale und versuchten beim Publikum mit gefälligeren Ladendesigns zu punkten. „Das zieht zwar neue Kunden an“, sagt Handelsexperte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Düsseldorf, „steigert aber auch die Kosten und erhöht das Risiko, nicht länger als Billiganbieter wahrgenommen zu werden“. Denn „ein Discounter darf nicht schick sein – das gefährdet sein Preisimage“, konstatiert Fassnacht. Und der Preis ist offenbar nach wie vor das entscheidende Einkaufskriterium der Deutschen.

Wie ausgeprägt die Begeisterung vieler Konsumenten für die Schnäppchenjagd ist, lässt sich derzeit im Textilhandel besichtigen. Während in großen Teilen des Modehandels Umsatzschwund grassiert und Marken wie Tom Tailor, Gerry Weber und Esprit gegen den Absturz kämpfen, eröffnen Billiganbieter wie Kik und Takko immer neue Läden. So will die Tengelmann-Tochter Kik ihren „Kurs im Inland und im europäischen Ausland mit der Eröffnung weiterer Filialen fortsetzen“, sagt eine Sprecherin. Auch Takko werde „2019 weiter expandieren“, teilt das Unternehmen mit. „Wir sind zuversichtlich, in 2019 bis zu 100 neue Filialen europaweit zu eröffnen“.

Schon heute betreibt Takko in Europa 1900 Filialen, 1200 davon in Deutschland. Auch die Zahl der Beschäftigten werde im Zuge der Expansion weiter wachsen, heißt es.

Gleichzeitig drängt Decathlon – der „Aldi des Sports“ – auf den deutschen Markt. 16 Filialen haben die Franzosen 2018 in Deutschland eröffnet, in ähnlichem Tempo soll es 2019 weitergehen. Geplant seien neue Standorte zum Beispiel in Fürth, München, Dortmund und Berlin, sagt eine Sprecherin. Ende des Jahres dürfte die Filialzahl bei rund 80 liegen.

Auch im Netz fahndet eine wachsende Kundenschar nach Ultrabilligangeboten und landet oft bei der Shoppingplattform Wish. Dort gibt es einen wilden Sortimentsmix aus Kunst und Krempel zu bestaunen, wobei letzteres eindeutig überwiegt. Gerade werden Duschköpfe, die den Wasserstrahl in buntes Licht tauchen, für 8 Euro verschleudert. Leuchtdioden, die die heimische Toilette von innen illuminieren, gibt’s für 3 Euro. Daneben locken allerlei chinesische Ramschklassiker wie Fußnagelklemmen und Noppenschuhe für die Bodenpflege.

Selbst dreiste Fälschungen gibt es bei dem digitalen Wühltisch mit Sitz in San Francisco. So werden auf der deutschen Seite derzeit angebliche Nomos-Glashütte-Uhren „made in Germany“ für 6 Euro vertickt. „Das sind ganz eindeutig keine Nomos-Uhren, sondern ganz billige Kopien“, heißt es bei dem deutschen Hersteller. „Wir beobachten diese und andere Plattformen und sind mit unseren Anwälten in Kontakt.“ Dem Erfolg tat das bislang keinen Abbruch. „Wish Shopping“ zählt schon seit einiger Zeit zu den beliebtesten Apps in Deutschland.

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