Drogeriemarktkette Die Schlacht um Schlecker

Schlecker ist am Ende. Die Kundschaft lief in Scharen zu dm und Rossmann über - und selbst das Privatvermögen aufgebraucht. Wie ist der Konzern zu retten?

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Schlecker einkaufen Quelle: Andreas Körner für WirtschaftsWoche

Die Sichtung des Drogerie-Phantoms begab sich im Herbst 2004. Selten hatte sich Anton Schlecker, Gründer und Inhaber der gleichnamigen Drogeriekette, zuvor gegenüber Journalisten geäußert. Doch an jenem Tag wollte er Recherchen der WirtschaftsWoche entgegentreten, sein Konzern geriete immer stärker unter den Druck der Rivalen – und gewährte Einlass in sein Reich. „Die Konkurrenz wird auch nicht mehr so stark wachsen“, gab sich Schlecker damals überzeugt. Sein Unternehmen? „Das Konzept stimmt, es muss nur weiter verfeinert werden“, befand der Drogeriefürst und deutete voller Stolz auf eine Karikatur an der holzgetäfelten Wand des Besprechungsraums: Anton Schlecker als strahlender Gondoliere, seine Frau als Galionsfigur am Bug der schönsten und größten Gondel. Dahinter paddeln Schleckers Rivalen, dm-Gründer Götz Werner und Dirk Roßmann. „Bis die anderen Schlecker überholt haben, gibt es mich nicht mehr“, sagte der Drogeriekönig.

Sieben Jahre sind seit der denkwürdigen Begegnung vergangen. Eigentlich reichlich Zeit, um umzusteuern. Doch Schlecker verpasste die Chance. Heute liegt der Konzern in Trümmern. Dem Gondoliere droht der Untergang – und seine Kinder Lars und Meike müssen um ihr Erbe kämpfen.

Pleite nach Plan

Tief hat sich die Krise seit den ersten Signalen 2004 in den Konzern gefressen, zu unwirtlich wirken die Filialen, zu unbeliebt ist die Kette bei den Kunden. Trotzdem: Spielen Gläubiger und Gewerkschaften mit, scheint eine Rettung des einstigen Drogerie-Dominators zumindest in Teilen möglich. Sie wird den Konzern aber von Grund auf verändern. Denn damit eine Sanierung gelingt, muss der Insolvenzverwalter die Filialzahl eindampfen und Tausende Beschäftigte entlassen. Verbleibende Läden müssen modernisiert und das Sortiment neu ausgerichtet werden. Um das zu finanzieren, ist der Einstieg von Investoren nötig. Auch der Verkauf von Auslandstöchtern kommt in Betracht. Am Ende stellt sich gar die Frage, ob auf den Filialen noch der Name Schlecker prangen soll.

Diagramm: Die große Umverteilung

Würde die Familie bei einem solch radikalen Umbau mitziehen? „Schlecker hat gar keine Wahl“, sagt ein Insolvenzverwalter aus Süddeutschland. Zwar taucht der frühere Metzgermeister noch auf den Reichenlisten der Wirtschaftsblätter auf. Sein angebliches Privatvermögen von mehr als zwei Milliarden Euro dürfte in Wahrheit aber eher eine Fantasiebewertung seines Drogerieimperiums sein – zu einem Preis, den schon seit Jahren niemand bereit war zu zahlen. Zudem haftet Schlecker als Einzelkaufmann für die Schulden seines Konzerns. Um welche Summen es geht, ist fraglich und hängt auch von den konzerninternen Verträgen mit Tochterunternehmen ab. Klar ist aber: Nebst einer Kollektion bunter Versace-Hemden und schneller Autos hat der Patron – ganz Schwabe – nur vergleichsweise wenig irdischen Zierrat angehäuft. Von schnittigen Yachten oder üppigem Grundbesitz ist nichts bekannt. Schleckers Geld stecke großteils in seiner Firma, glauben Unternehmenskenner.

Jugend forscht


Schon beim Versuch, den Verfall aufzuhalten, versetzte der Clan die Branche in Erstaunen. Anton und Gattin Christa Schlecker gaben Ende 2010 einen Teil ihrer Macht an ihre Kinder Lars und Meike ab. „Jugend forscht“, wurde der Wachwechsel intern bespöttelt. Zu schwer fiel es Führungskadern, sich die beiden beim montäglichen Familienrat mit Vater Anton vorzustellen.

Meike und Lars Schlecker Quelle: Andreas Körner für WirtschaftsWoche

Lars, 40, ausgestattet mit wallender Dirigentenmähne und einer Abneigung gegen Krawatten, könnte auch als Berliner Start-up-Unternehmer durchgehen. Meike, 38, gern gewandet in ein adrettes Businesskostüm, würde man eher in einer Kanzlei oder Bank vermuten denn an der Spitze des schwäbischen Windel- und Spülihändlers. Doch das Duo stürzte sich mit Verve ins Geschäft, holte Berater, setzte eine Werbekampagne auf und tauschte das Logo in einen geschmeidigeren Schriftzug. 230 Millionen Euro sollten zudem in den Umbau von Sortiment und Läden fließen.

Allein, es half nichts. Am 23. Januar, nachdem die Suche nach einem Investor gescheitert war, eine Zwischenfinanzierung wegbrach und angeblich die Schweizer Einkaufskooperation Markant Forderungen in Höhe von 20 bis 30 Millionen Euro fällig gestellt hatte, kapitulierte der Clan: Schlecker meldete Insolvenz an, wenige Tage später folgte die Tochter Ihr Platz.

Familiäres Risiko

Um ihren Einfluss zu sichern, versuchen der Patron und seine Kinder nun, das Verfahren mitzusteuern. Das Management und die Familie streben eine Planinsolvenz in Eigenregie an. Kommt es dazu, wird der vom Ulmer Amtsgericht am vergangenen Montag bestellte Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz eher kontrollieren und beraten denn durchgreifen. Zentrale Gläubiger sollen aber bereits gegen den Vorstoß murren, den Verursachern des Dilemmas nun die Gesundung des Konzerns anzutragen.

Schleckers Aufstieg und Fall

Doch selbst wenn die sogenannte Eigenverwaltung scheitert, muss das nicht das Aus für die Filialkette bedeuten. Eine Planinsolvenz, bei der der Verwalter das Unternehmen selbst saniert und später an Investoren weiterreicht, wurde zum Beispiel beim Essener Warenhauskonzern Karstadt vorexerziert. Selbst bei einer Abwicklung und Zerschlagung des Konzerns könnten Unternehmensteile überleben. Für die Familie wären letztere Szenarien jedoch der GAU. Das Risiko, aus dem Unternehmen gedrängt zu werden und Schulden bedienen zu müssen, stiege enorm.

Wie bei Karstadt eröffnet das deutsche Insolvenzrecht dem leckgeschlagenen Seifenprimus zunächst aber reihenweise Sparpotenzial. Eines der wichtigsten Instrumente ist das Insolvenzausfallgeld.

Expansion wie im Rausch

Diagramm: Finaler Vierkampf

Auf mindestens 40 Millionen Euro taxiert ein Schlecker-Betriebsrat die monatlichen Personalkosten für die rund 30 000 Mitarbeiter in Deutschland. Für drei Monate übernimmt die Bundesagentur für Arbeit die Zahlungen, wodurch der Konzern nach vorsichtiger Kalkulation mehr als 120 Millionen Euro spart. Die Arbeitsagentur – und damit die Allgemeinheit – steigt so zu einem der größten Gläubiger im Schlecker-Verfahren auf. Wenn am Ende fünf bis zehn Prozent der Schulden getilgt würden, wäre das laut Insolvenzrechtlern schon viel. Lohnt der Einsatz also überhaupt?

Auf den ersten Blick ist das Schlecker-Desaster kaum reparabel. Das Gros der deutschen Läden ist in kläglicher Verfassung. Der Wormser Handelsexperte Jörg Funder beschreibt Schlecker als ein „Hart-Discount-Konzept an geringwertigeren Standorten“. Gemeint sind verwinkelte Filialen, in denen oft eine einzelne Verkäuferin den Laden schmeißt. In der Kundengunst rangiert Schlecker aber nicht nur wegen des Ladenflairs weit hinter dm und Rossmann. Der Ruf ist nachhaltig ruiniert. „Endlich trifft es mal einen, der es wirklich verdient hat“, kommentierte ein Leser auf wiwo.de. Schleckers Insolvenzantrag sei „die beste Nachricht des Tages“. Der Zorn richtete sich vor allem gegen den Inhaber.

Denn Anton Schlecker gilt noch immer als Prototyp des bösen Kapitalisten. 1965 hatte er mit 21 Jahren in der familieneigenen Fleischwarenfabrik angeheuert, zu der damals 17 Metzgereifilialen gehörten. Zehn Jahre später erkannte er, dass sich mit Creme und Shampoo mehr verdienen lässt als mit Schinken und Wurst. Schlecker stieg in den Drogeriemarkt ein und expandierte wie im Rausch.

Ärger mit den Arbeitnehmern

Gleichzeitig wuchs der Ärger mit Arbeitnehmervertretern. Dass Schlecker bei einer der wöchentlichen Filialvisiten aus der Rolle fiel und eine Betriebsrätin als „blöde Kuh“ tituliert haben soll, gehört zu den harmloseren Anekdoten. 1998 wurde er zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt, weil er Beschäftigten vorgegaukelt hatte, sie würden nach Tarif bezahlt.

Gut zehn Jahre später sorgte Schlecker wieder für Schlagzeilen: Er ließ Mitarbeiter über eine konzerneigene Leiharbeitsfirma zu Niedriglöhnen beschäftigen. Obwohl die Praxis nach öffentlichen Protesten wieder abgestellt wurde und Schlecker einen Tarifvertrag abschloss, gilt die Kette seither als Symbol für Dumping und Ausbeutung. Damit „hat Schlecker sich den Namen auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte, versaut“, sagt Jochen Rädeker. Der Präsident des Art Directors Club für Deutschland empfiehlt bei einem Neustart daher gar einen Namenswechsel.

Wie tief die Abneigung gegen den Seifenkönig a. D. sitzt, hat auch der Nürnberger Marktforscher GfK ermittelt: Schlecker hat in den vergangenen fünf Jahren rund sechs Millionen Kunden verloren, geht aus einer bisher unveröffentlichten GfK-Studie hervor. „Allein 2011 wanderten rund zwei Millionen Kunden ab“, sagt GfK-Handelsexperte Wolfgang Adlwarth.

Rund 40 Prozent von Schleckers „verlorenen Umsätzen“ landeten laut GfK bei Drogeriemärkten wie dm oder Rossmann. „Aber auch Supermärkte und Lebensmitteldiscounter konnten profitieren“, so Adlwarth. Verantwortlich für den Exodus seien vor allem die zahlreichen Schließungen von Läden und das schlechte Image. Vor einigen Jahren hätten noch 60 Prozent aller deutschen Haushalte mindestens einmal im Jahr bei Schlecker eingekauft, heute seien es nur noch 43 Prozent.

Massenweise Kundenflucht

Familie Schlecker Quelle: dapd

Der Exodus hat Folgen. Zwar sind die Geldströme im Konzern so transparent wie Rasierschaum. Marktexperten, die sich an eine Umsatzschätzung wagen, gehen aber davon aus, dass 2011 nur 3,8 bis 4,0 Milliarden Euro in die Kassen der deutschen Läden flossen. 2005 sollen es noch 5,5 Milliarden Euro gewesen sein.

Zumindest der Umsatzeinbruch der vergangenen beiden Jahre resultiert vor allem aus Schließungen unrentabler Filialen.

100-fach erhielten Vermieter auch in den vergangenen Monaten Kündigungen ihrer Verträge. So wie Marlies Warmhoff (Name geändert): Mehr als 15 Jahre lang hatte die Rentnerin das Ladenlokal im Erdgeschoss ihres Mehrfamilienhauses in einem 3000-Einwohner-Dorf an Schlecker vermietet. Nach einigen Telefonaten einigen sich Warmhoff und eine Schlecker-Mitarbeiterin Mitte Dezember mündlich auf eine vorgezogene Auflösung des Mietvertrags zum 31. Dezember und auf die Zahlung einer Ablösesumme am Jahresende. Doch am 30. Dezember hatte sich die Lage offenbar dramatisch verschlechtert. Warmhoff wurde mitgeteilt, dass die Ablösesumme erst Ende Mai bezahlt werden könne. Die Vermieterin bestand nun auf den monatlichen Mietzahlungen – und bekam eine überraschende Antwort: Im Januar und Februar würden ohnehin keine Mieten gezahlt, weil kein Geld da sei.

Betriebsbedingte Kündigungen kein Tabu

Demnächst könnte etlichen weiteren Vermietern ähnlicher Ärger drohen. Noch immer betreibt Schlecker zu viele Standorte, die Verluste schreiben. Mittelfristig hätten in Deutschland allenfalls 2000 der knapp 7500 Schlecker- und Ihr-Platz-Märkte eine Chance, sagt Handelsexperte Funder. Im Insolvenzverfahren fällt die Trennung leichter, Mietverträge können mit einer Drei-Monats-Frist gekündigt werden. Auch Entlassungen von Mitarbeitern sind leichter durchsetzbar. Entsprechend hart dürften die Schnitte von Insolvenzverwalter Geiwitz ausfallen. Entlassungen stehen wohl aber nicht nur in den Filialen an. Weniger Läden bedeuten zugleich, dass die Logistik und Lagerhaltung nicht ausgelastet ist. Auch hier könnte Geiwitz ansetzen.

Funktionäre der Gewerkschaft Verdi loten intern bereits aus, welche Zugeständnisse möglich sind. Absehbar scheinen längere Arbeitszeiten sowie ein Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld. Auch betriebsbedingte Kündigungen seien kein Tabu, heißt es in Gewerkschaftskreisen.

Dies kann indes nur der Anfang eines grundlegenden Umbaus sein. Als „Schneiden und Wachsen“ hatten die Schlecker-Geschwister schon 2011 ein Runderneuerungsprogramm umschrieben, bei dem die Filialen aufgemöbelt werden sollten. Tatsächlich wirken die neu gestalteten Läden geräumiger und heller. Bunte Piktogramme lotsen die Kundschaft durch das Sortiment. Zudem bekamen die Filialen ein Softwareanalysetool, das alle relevanten Verkaufsdaten analysiert. Werden an einem Standort etwa viele Windeln verkauft, wird das Kleinkindsortiment aufgestockt. Ist ein Altenheim in der Nähe, landen mehr Gebissreiniger in den Regalen.

Interessante Auslandstöchter

Kundenflucht Schlecker Quelle: REUTERS

Die bis dato rund 300 Filialen, in denen Elemente des Konzepts übernommen wurden, sollen im Schnitt ein „zweistelliges Umsatzwachstum“ verzeichnen, heißt es bei Schlecker. Da die Umstellung eines Ladens jedoch mindestens 25 000 Euro kostet, wurde die Umbauoffensive zuletzt auf Eis gelegt. Nun könnte die Idee zu einem Kernstück des Rettungsplans werden.

Zunächst müssen Verwalter und Management die Finanzierung sichern. Potenziellen Investoren wird bereits staatliche Hilfe in Aussicht gestellt: „Sollte das Insolvenzverfahren auf eine Investorenlösung hinauslaufen und ein Investor ein tragfähiges Konzept vorlegen, ist eine Bürgschaft des Landes Baden-Württemberg denkbar. Direkte Hilfskredite an Schlecker wird es aber nicht geben“, sagt Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD).

Klarheit über Vermögensverhältnisse

Für Investoren sind im Grunde auch die Auslandstöchter interessant, obwohl deren Umsätze in den meisten Ländern nach Schätzungen des Handelsinformationsdienstes Planet Retail 2011 ebenfalls zurückgingen. In Spanien, Österreich und Italien sowie in Tschechien und Polen hat Schlecker aber noch eine starke Position, wenngleich „die Standorte auch dort eher zweit- und drittklassig sind“, so Planet-Retail-Experte Matthias Queck. Langfristig drohen dort Probleme wie in der Heimat.

Schlecker-Zentrale Quelle: dpa

Unterdessen fordert Verdi-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger einen finanziellen Beitrag von Inhaber Schlecker, zumindest aber „die Wahrheit über seine Vermögensverhältnisse“. Die Aussichten, beim früheren Erzfeind tatsächlich noch an Geld zu kommen, werden aber selbst gewerkschaftsintern als gering eingeschätzt. Ein Verdi-Mann, der schon seit Jahren mit Schlecker ringt, wird fast sentimental: „Der AS, der hat nichts mehr.“

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