Insolvenzfachleute haben seit der Coronakrise vor einem drohenden „Insolvenz-Tsunami“ gewarnt. Die rückläufigen Insolvenzzahlen in den letzten Jahren haben sie nicht widerlegt. Im Gegenteil: Wie bei einem Tsunami geht das Wasser erst zurück, um dann mit voller Wucht loszuschlagen.
An diesem Punkt sind wir jetzt: Der Scheitelpunkt der Insolvenzrückgänge ist erreicht und eine „Insolvenzwelle“ steht bevor. Denn teure Strompreise und die Unsicherheiten bei der Energieversorgung bilden zusammen mit den Störungen der Lieferketten und der hohen Inflation die Voraussetzungen für einen „perfekten Sturm“. Zumal die Reserven vielerorts aufgebraucht und zahlreiche Unternehmen durch Corona „vorgeschädigt“ sind. Sie durften ihr Geschäft nicht oder nur eingeschränkt öffnen; die laufenden Kosten konnten so nicht erwirtschaftet werden.
Um die Folgen zu mildern, stellte der Staat zwar unterschiedliche Hilfen bereit, wie beispielsweise das Kurzarbeitergeld und Kredite. Doch die Kreditprogramme waren von Anfang an falsch konstruiert. Denn liquiditätsmäßig haben die Kredite zwar Einnahmen ersetzt und „Leerlaufkosten“ gedeckt. Bilanziell sind die Unternehmen, denen die Einnahmen fehlten, jedoch in die Überschuldung gewandert, oder eine ohnehin bestehende Überschuldung wurde noch vertieft. Schließlich sind die Staatshilfen Schulden, die zurückgezahlt werden müssen. Das rächt sich nun.
Gaskrise, Energiepreise und Inflation haben ein wirtschaftliches Umfeld geschaffen, auf welches der Verbraucher mit Kaufzurückhaltung antwortet. Auf der Unternehmensebene bedeutet dies wieder: keine oder nur verringerte Einnahmen. Wenn jetzt, bei bestehender Kaufzurückhaltung und niedrigeren Einnahmen, noch eine zusätzliche Zahlungspflicht, nämlich die aus der Rückzahlung der Corona-Darlehen folgt, fehlt häufig das Geld. Unter massiven Druck geraten vor allem so genannte Zombie-Unternehmen, also Betriebe die mindestens zehn Jahre alt sind und seit drei Jahren nicht mehr den Zinsdienst erwirtschaftet haben.
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Mit den Möglichkeiten der Insolvenzordnung, durch Nutzung der Eigenverwaltung, eines Insolvenzplanverfahrens oder den Möglichkeiten der neu geschaffenen außergerichtlichen Sanierung (StaRUG) kann es angeschlagenen Unternehmen jedoch gelingen, die sich überlagernden Krisen abzuschütteln und ein Fundament für eine stabile Zukunft zu legen.
Kennzahlen können manipuliert werden
Insolvenzverfahren sind, anders als viele Politiker meinen, nämlich kein „Übel“. Ganz im Gegenteil! Sie sind ein erforderliches Werkzeug zur Transformation der Wirtschaft. Die Anpassung an die geänderten Rahmenbedingungen kann so effizienter und effektiver erfolgen als „unter der staatlichen Gießkanne“. Gerade das deutsche Insolvenzrecht hat sich als Sanierungsinstrument bewährt und stand nach einem Ranking der Weltbank im Bereich Resolving Insolvency auf einem hervorragenden zweiten Platz in Europa, hinter Finnland.
Umso unverständlicher wären nun erneute staatliche Eingriffe ins Insolvenzrecht, wie sie vom Bundesministerium für Justiz geplant sind. So soll der Prognosezeitraum bei der sogenannten Überschuldungsprüfung von zwölf auf vier Monate verkürzt werden. Unternehmen würden dadurch Zeit gewinnen, um ihre Geschäftsmodelle anpassen zu können, so die Hoffnung. Tatsächlich aber soll die Fortführungsfähigkeit dabei rein liquiditätsmäßig betrachtet werden. Entsprechende Kennzahlen können aber manipuliert werden, beispielsweise durch Unterpreisverkäufe, Stundungen oder ähnliche Maßnahmen. Insolvenzen werden dadurch zunächst zwar verzögert, die Krisenursachen bleiben aber bestehen.
Volkswirtschaftlich könnte das zu verstärkten Forderungen der Vertragspartner nach Vorkassezahlungen und ähnlichen Versuchen führen, Geschäfte abzusichern. Das aber wäre krisenverschärfend. Sinnvoller ist es, die Möglichkeiten des Insolvenzrechts zu nutzen, um Unternehmen, die überschuldet sind und Verluste erwirtschaften, zu restrukturieren, oder, wenn das nicht gelingt, sie aus dem Markt ausscheiden zu lassen. Sonst drohen sie gesunde Unternehmen zu infizieren, was dann die Krise wiederum verschärft.
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