Dubiose Amazon-Pakete Nicht bestellt und doch geliefert

Amazon Pakete Quelle: imago images

Dieses Phänomen verunsichert Verbraucher: Ohne Bestellung erhalten sie gratis Amazon-Pakete, sogar Smartphones ohne Auftrag. Was dahintersteckt und warum Verbraucherschützer für die dubiosen Pakete Entwarnung geben.

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In der Weihnachtswerbung von Amazon aus dem vergangenen Jahr singen Pakete des Onlineriesen „Can you feel it“ von den Jacksons. An den talentierten Kartons erfreuen sich Kinder und Erwachsene gleichermaßen – zumindest stellt Amazon das im Werbespot gerne so dar. Tatsächlich können sich aber auch ganz andere Gefühle einstellen, denn dass eben solche Pakete auch zu einer wahren Plage werden können, zeigen Beiträge in diversen Online-Foren. Dort rätseln Nutzer über zahlreiche dubiose Pakete von Amazon, die sie gar nicht bestellt haben.

So viel vorweg: Von Amazon selbst stammen die Pakete nicht. Sondern von externen Händlern, die über Amazons „Marketplace“ ihre Produkte vertreiben. Amazon ist nämlich sowohl der größte Online-Händler als auch einer der größten Online-Marktplätze.

Nun hat sich vor wenigen Tagen die Verbraucherzentrale NRW zu den unbestellten Paketen geäußert. Anlass dafür war die Lieferung eines Mannes aus Düsseldorf: In einem vermeintlich von Amazon stammenden Paket fand er ein nagelneues Smartphone – ohne Lieferschein, Rechnung oder ähnliches.

Theoretisch hätte sich der Mann über dieses „Geschenk“ freuen können, ihm wurde nämliche auch kein Geld vom Konto abgebucht. Doch: „Diese Pakete können die Empfänger durchaus verunsichern, gerade wenn vermeintlich teure Produkte wie Smartphones geliefert werden. Recht schnell könnte der Gedanke aufkommen, dass der eigene Amazon-Account möglicherweise gehackt wurde“, erklärt Georg Tryba, Sprecher der Verbraucherzentrale NRW. Auch wenn das im Fall aus Düsseldorf nicht passiert ist, vermuteten Nutzer in Online-diversen Foren anfangs einen Hack des eigenen Kontos.

Einer der betroffenen Nutzer in diesen Foren ist Bernd Jaeger. Jaeger arbeitet im Home-Office. Wenn der Postbote bei ihm klingelt, ist er meistens zu Hause. Nicht unwichtig, denn Pakete bekommt Jaeger häufig, vor allem von Tech-Firmen. Die schicken ihm Produkte zu, damit Jaeger sie im Internet vorstellen oder neudeutsch „reviewen“ kann. Er ist Blogger und hat einen YouTube-Kanal mit mehr als 12.000 Abonnenten. Für die Unternehmen offenbar keine schlechte Öffentlichkeitsarbeit. Lautsprecher, Mikrofone oder Schreibtischstühle – Jaeger testet allerlei Produkte für seine Leser und Zuschauer.

Unter die Sendungen diverser Gadgets für seinen Blog mischten sich jedoch im vergangenen Jahr Pakete, die Jaeger nicht bestellt hatte, die ihn aber ziemlich stutzig machten. Denn normalerweise würden Firmen vorher ankündigen, wenn sie ihm Produkte zuschicken oder sie legen zumindest ein kurzes Schreiben mit in das Paket. Doch die unbekannten Pakete hatten nichts dergleichen – kein Schreiben, keine Rechnung, keinen Absender. Nur auf den Paketen selbst entdeckte Jaeger etwas Vertrautes: das Amazon-Logo.

Handyhüllen, Karabinerhaken und Mausefallen kostenlos und ungefragt

Bei Jaeger begannen die unerklärlichen Lieferungen mit einer unscheinbaren Handyhülle. „Als ich das erste Paket erhalten habe, war ich noch recht unaufgeregt und habe vermutet, dass meine Frau eventuell etwas bestellt hatte“, erklärt Jaeger. „Das war aber nicht der Fall. Ich habe daraufhin erstmal mein Amazon-Konto überprüft, ob etwas bestellt wurde oder ich möglichweise gehackt wurde.“ Auch das war nicht passiert. Trotzdem folgten weitere Pakete: Eine Überwachungskamera, eine Mausefalle und Karabinerhaken.

Intensiver nachgeforscht hat Jaeger erst, als er an einem Tag gleich sechs Handyschutzhüllen in sechs verschiedenen Paketen erhielt. Er kontaktierte Amazon im Chat. Die lapidare Antwort des Kundeservice: Jaeger könne die Pakete kostenfrei zurückschicken. Die Mühe habe er sich allerdings nicht gemacht.

Stattdessen tut er, was er am besten kann: Am 27. September 2017 verfasst Jaeger einen Beitrag für seinen Blog. Er schildert seine Ratlosigkeit, die dürftige Antwort von Amazon und präsentiert Fotos von den gelieferten Produkten, die er als „China-Schrott“ bezeichnet. „Unter meinem Blogbeitrag zu dem Thema habe ich ungewöhnlich viele Kommentare von Nutzern erhalten, die ähnliche Pakete bekommen. So klein kann dieses Phänomen also nicht sein.“
Außerdem erfährt der Blogger: „Das Problem ist Amazon offenbar bestens bekannt. Mir wurde gesagt, dass nun häufiger solche unbestellten Lieferungen kommen könnten. Welche Händler dahinterstecken, wollte Amazon mir nicht sagen.“ Zumindest war Jaeger nun von offizieller Stelle vorgewarnt.

Das sagt Amazon zu den nichtbestellten Paketen

Wer die dubiosen Pakete verschickt, verrät Amazon auch auf Anfrage der WirtschaftsWoche nicht. Sondern äußert sich so: „Wir gehen jedem Hinweis von Kunden nach, die unaufgefordert ein Paket erhalten haben, da dies gegen unsere Richtlinien verstößt. Verkäufer haben in diesem Zusammenhang weder Namen noch Adressen von Amazon erhalten. Verkäufer, die gegen unsere Richtlinien verstoßen, werden gesperrt, die Zahlungen werden zurückgehalten und wir leiten entsprechende rechtliche Schritte ein.“

Im konkreten Fall von Bernd Jaeger würden laut Amazon zwei verschiedene Marketplace-Händler hinter den Lieferungen stecken. Diese seien gesperrt worden. Die Folge: Ein Kopfhörerset war das vorerst letzte Paket, das Jaeger unbestellt von den Marketplace-Händlern bekam.

Was hinter den Lieferungen steckt

Amazon selbst teilt nicht mit, was die Händler mit den Lieferungen bezwecken wollen. Nicht, weil Amazon das selbst nicht weiß, sondern weil die Lieferungen durchaus geschäftsschädigend sein können und offenbar inoffiziell bleiben sollen: Zwar enthalten die Pakete meist belanglose Produkte, doch Kunden fragen sich womöglich, woher die Händler an ihre Adresse kommen oder sie sind von den Produkten schlicht genervt. Das Vertrauen in den lieben Online-Händler von nebenan mit den fröhlichen, singenden Paketen könnte verloren gehen.

Klaus Forsthofer ist Autor des Handelsblogs „Marktplatz1“, selbst langjähriger Händler auf Amazon Marketplace und hält mittlerweile Vorträge, Workshops und Schulungen für andere Amazon-Händler. Hinter den unbestellten Paketen vermutet Forsthofer eine versuchte Manipulation des Amazon-Algorithmus.

Funktionieren soll diese Manipulation so: „Der Algorithmus bestimmt die Reihenfolge der angezeigten Produkte, wenn ein Nutzer bei Amazon etwas sucht. Die Stelle, an der ein Produkt steht, hängt unter anderem von der sogenannten Konversionsrate ab“, erklärt Forsthofer. Diese Rate setzt die Besucher einer Produktseite mit den tatsächlichen Käufern ins Verhältnis. Je mehr Kunden ein Produkt hat, desto höher ist die Konversionsrate des Produkts und umso prominenter wird es angezeigt.

„Mit dem Versenden der unbestellten Produkte und dem angeblichen Verkauf wollen die Händler die Konversionsrate ihrer Produkte verbessern und so sichtbarer für die Kunden werden. Amazon wird vorgegaukelt, dass die Kunden diese Artikel lieben“, sagt Forsthofer. In Wirklichkeit tun sie das nicht, auch Bernd Jaegers Begeisterung für seine Pakete hält sich in Grenzen.

Wirtschaftlich erscheinen die unbestellten Pakete für die Händler auf den ersten Blick wenig Sinn zu ergeben. Immerhin müssen sie den Versand zahlen und verschicken ihre Produkte auf eigene Rechnung. Doch mehr Popularität auf Amazon rechtfertigt dieses Übel offenbar.

„Die verschickten Waren müssen bei Amazon als verifizierter Kauf registriert werden, damit der Algorithmus sie erkennt. Dafür verschicken die Marketplace-Händler Produkte mit ganz niedrigen variablen Kosten und kaufen diese quasi selbst“, erklärt Forsthofer. Er schätze, dass die Gesamtkosten solcher Lieferungen für die Händler zwischen drei und sechs Euro liegen. Es ist auch denkbar, dass sich Händler über das gefälschte Kundenkonto auch noch selbst eine gute Bewertung schreiben. Das ist auch eine Vermutung der Verbraucherzentrale, die allerdings auch die Manipulation des Algorithmus  für ein Ziel der unbestellten Lieferungen hält.

Amazon handelt „schnell und rigoros“

Woher kommen die Händler nun an die Adressen? Immerhin müssen sie die Artikel an existierende Anschriften senden und mit denen einen Account erstellen, der auf den Namen des angeblichen Kunden läuft. „Die Händler suchen sich irgendwelche Adressen im Internet. Welche Adressen das sind oder ob die Artikel jemals ankommen, das ist ihnen egal. Hauptsache ist, dass die Artikel verschickt werden und bei Amazon als Verkauf eingehen“, erklärt Amazon-Coach Klaus Forsthofer. Die betroffenen Empfänger wie Bernd Jaeger seien für die Händler nur „Mittel zum Zweck“. Auch Jaegers Adresse dürften die Händler aus dem Internet haben. Immerhin steht sie online im Impressum seines Blogs.

„Tatsächlich können sich Verbraucher vor den Lieferungen nicht wirklich schützen, auch wenn sie nicht zu einem Impressum oder ähnlichem verpflichtet sind. Immerhin tauchen Adressdaten an unzähligen Stellen im Internet auf. Und wenn dieser Betrug im großen Stil angelegt ist, könnten Adressen sogar erkauft werden“, erklärt Georg Tryba von der Verbraucherzentrale NRW.

Was letztendlich mit den Paketen passiert, ist Sache der Empfänger – einen wirtschaftlichen Schaden haben Sie nicht, die Artikel sind ja bezahlt. „Das ein oder andere Produkt konnte ich in der Verwandtschaft unterbringen, weil dann tatsächlich jemand einen ‚Wasser-Qualitätsmesser‘ benötigte“, erklärt Jaeger. „Vieles ist einfach im Müll gelandet, weil mir bei dem Preis der Produkte sogar der Weiterverkauf zu aufwändig war.“ 

Amazon-Pakete, die im Müll landen? Das passt so gar nicht zu dem Bild, das der Online-Händler mit seinen fröhlich singenden Paketen gerne suggerieren würde. Doch nicht nur bei Bernd Jaeger zuhause landen die Pakete im Müll, auch Amazon selbst ist darin ganz gut. Aber das ist eine andere Geschichte.

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