Die letzten Meter bis zur Bergspitze: Der Schweiß läuft, die Kraft geht. Doch der Mountainbiker hat Glück, in seinem Rad ist die Unterstützung gleich eingebaut. Gut versteckt im breiten Rahmen surrt ein kleiner Elektroantrieb. Er hilft bei jedem Pedaltritt des Sportlers mit, macht den Weg nach ganz Oben einfacher.
Was früher als undenkbar galt, ist keine Zukunftsmusik mehr. E-Bikes und Pedelecs entwickeln sich von der Fahrhilfe für Seniorenradler zum Produkt für Jedermann. Für 2014 haben die Fahrradhersteller die neuen Zielgruppen noch mehr ins Visier genommen. Die E-Biker der Zukunft sind jung und sportlich. Sie fahren zum Supermarkt, ins Büro oder einfach querfeldein.
“Es gibt einen Wandel in der Gesellschaft”, sagt Karen Greiderer. Sie ist Sprecherin der Fahrradmesse VeloBerlin, auf der am 29. und 30. März die Trends für die kommende Rad-Saison präsentiert werden. Einer der großen ist für Greiderer bereits im Vorfeld klar: “Die Tendenz bei unseren Ausstellern geht klar in Richtung Elektro-Rad. Viele Fahrradhersteller haben sie im Angebot.”
Das Geschäft mit E-Bikes und Pedelecs läuft seit Jahren hervorragend. Während die Gesamtzahl der 2013 verkauften Fahrräder im Vorjahresvergleich um vier Prozent auf insgesamt 3,8 Millionen sank, stieg die der E-Bikes: Mehr als jeder zehnte Fahrradkäufer entschied sich für einen Drahtesel mit Zusatzpower. 410.000 Räder mit Elektroantrieb wurden insgesamt verkauft - ein Plus von acht Prozent. Allerdings ist das Wachstum nicht mehr so rasant wie in den vergangenen Jahren. “Wir haben sehr gute Zuwachsraten”, sagt Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV), “aber die Boom-Zeiten sind erstmal vorbei.”
Die neuen Zielgruppen
Das liegt auch daran, dass die ursprüngliche Zielgruppe der über 50-Jährigen begrenzt ist. “Das ist aber nach wie vor unsere Kerngruppe”, sagt Neuberger. “Sie wird auch in Zukunft von großer Bedeutung sein.” Der demografische Wandel spielt den Fahrradbauern in die Hände. Doch die Grenzen sind schon jetzt absehbar. “Natürlich findet im Bereich der Best-Ager eine gewisse Marktsättigung statt”, sagt Susanne Puello. Die 53-Jährige muss es wissen. Puello ist Geschäftsführerin der deutschen Winora Group.
Seit 100 Jahren stellt das familiengeführte Unternehmen Fahrräder her. 2008 stieg es in den Markt für Räder mit Elektroantrieb ein. Fünf Jahre später macht die Gruppe mit Pedelecs und E-Bikes bereits mehr 60 Prozent des Umsatzes. Das Geschäft mit den Seniorenradlern läuft gut, aber Puello will mehr. “Wir müssen Zielgruppen machen”, sagt sie energisch. Ihr Plan: Neue Kunden gewinnen, selbst wenn die noch gar wissen, dass sie ein E-Bike brauchen.
Extra-Schub für Sportler
Laut aktuellem Fahrrad-Monitor des Bundesministeriums für Verkehr würden sich 27 Prozent aller Befragten beim Fahrradkauf eines mit Elektromotor zulegen. Fast die Hälfte der Deutschen ist an dem Thema zumindest interessiert. Eine Entwicklung, die wohl erst am Anfang steht. „Die E-Bike-Märkte werden auf breiter Front wachsen”, prophezeit Puello. Für sie geht es nur noch um die Frage, welches Rad für wen.
Stolz ist die Winora-Geschäftsführerin insbesondere auf ihre Vorreiterrolle im sportlichen Bereich. Als erste habe man das Segment für E-Performance, also Rennräder und Mountainbikes mit E-Antrieb erschlossen. Die hochgerüsteten Räder kosten leicht mehr als 5000 Euro und sind sicherlich nichts für jeden. Zwei potentielle Käufergruppen hat Puello im Auge. Zum einen die Mitfahrer: Auch wer nicht bis in die letzte Muskelfaser durchtrainiert ist, könne dank eines E-Mountainbikes mit anderen Radlern mithalten und die gleichen Erfahrungen machen.
Den Unkenrufen mancher Sportler zum Trotz zielt die Winora-Gruppe aber zum anderen auch auf echte Sportcracks. “Ein Sportler kann sich mit dem E-Performance-Bike genauso austoben wie mit einem normalen Rad. Er kommt nur doppelt so hoch, doppelt so weit und ist doppelt so schnell”, sagt Puello. Mit dieser Meinung ist sie nicht allein. Nahezu alle großen Hersteller haben ein E-Moutainbike im Angebot. Noch ist der Marktanteil der Performance-Bikes klein, aber er wird wachsen, glauben Branchenkenner.
Kleine E-Bike-Typologie
Pedelecs leiten ihren Namen aus den englischen Begriffen "Pedal, Electric Cycle" ab. Ein elektrischer Hilfsmotor unterstützt den Radler nur solange dieser in die Pedale tritt. Das Fahrrad darf nicht mehr als 250 Watt Leistung bereitstellen und nicht schneller als 25 km/h sein.
In vielen Bundesländern ist für Pedelecs mindestens die Mofa-Prüfbescheinigung erforderlich. Sie steht Fahrern ab 15 Jahren offen und umfasst eine theoretische und praktische Ausbildung sowie eine Theorie-Prüfung. Personen, die vor dem 01. April 1965 geboren wurden, benötigen aber lediglich einen Personalausweis. Die Mofa-Prüfbescheinigung ist in den Motorradführerscheinen A, A1 und A2 sowie im Pkw-Führerschein der Klasse B (früher Klasse 3) enthalten.
Für Pedelecs ist nur dann keine eigene Haftpflichtversicherung notwendig, wenn sie in der Privathaftpflicht enthalten ist. Oft sind in alten Verträgen Elektroräder aber nicht enthalten. Dann ist eine schriftliche Bestätigung vom Versicherer anzufordern, dass Pedelecs im Vertrag eingeschlossen sind.
Es besteht keine Helmpflicht.
Schnelle Pedelecs sind sogenannte "S-Pedelecs", auch Schweizer Klasse genannt. Sie unterstützen den Fahrer durch den bis zu 500 Watt starken Elektromotor bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h. Auch hier arbeitet der Motor nur, wenn der Fahrer in die Pedale tritt.
Für den Betrieb ist bei S-Pedelecs ein Versicherungskennzeichen erforderlich. Im Straßenverkehr benötigt der Fahrer die Fahrerlaubnis für Kleinkrafträder der Klasse M. Seit 19. Januar 2013 heißt diese Klasse AM und ist in den Motorradführerscheinen sowie im Pkw-Führerschein der Klasse B (früher Klasse 3) enthalten. Die Klasse AM steht Personen ab 16 Jahren offen und schließt sowohl eine theoretische als auch praktische Prüfung ein.
S-Pedelecs werden wie Kleinkrafträder eingestuft und dürfen nicht auf dem innerstädtischen Radwegnetz fahren. Außerhalb geschlossener Ortschaften dürfen S-Pedelecs nur Radwege benutzen, wenn diese durch das Zusatzschild "Mofas frei" für den Kraftverkehr freigegeben sind.
Es besteht Helmpflicht.
Im Gegensatz zu Pedelecs und S-Pedelecs besitzen E-Bikes einen maximal 500 Watt starken Antrieb, der unabhängig vom Tritt in die Pedale funktioniert. Über einen Drehgriff oder Schalter am Lenker steuert der Fahrer die Motorleistung des bis zu 20 km/h schnellen E-Bikes. Höhere Geschwindigkeiten sind vom Tritt in die Pedale abhängig.
E-Bikes gelten wie S-Pedelecs als Kleinkraftrad und benötigen ein Versicherungskennzeichen sowie eine Betriebserlaubnis. Das Führen des E-Bikes setzt mindestens eine Mofa-Prüfbescheinigung voraus.
Es besteht Helmpflicht.
Schweißfrei ins Büro
Wichtigste Umsatzbringer in der Zukunft sind aber nicht die Sportler, sondern die Normalos. “Auf lange Sicht”, sagt Puello und meint damit zehn Jahre und mehr, “wird sich das Thema E-Bike in den urbanen Räumen durchsetzen.“ Auf kurze und mittlere Distanzen werden E-Bikes zum Auto-Ersatz, glaubt auch ZIV-Mann Siegfried Neuberger. Die Radler werden ohne Schweißflecken im Büro ankommen, lautet ein Versprechen. Sie werden mühelos ihre Einkäufe nach Hause bekommen, ein anderes. Für den Transport besonders großer Kisten haben viele Hersteller mittlerweile schon Trasnport-E-Bikes, mit großem Stauraum im Angebot.
Das alles soll, so lautet ein weiteres Versprechen, schneller gehen als mit dem Auto. Rückendeckung für diese These kommt unter anderem von der Leuphana Universität Lüneburg. “Elektrofahrräder sind ein deutlicher Attraktivitätssprung im Vergleich zum Auto”, sagt Peter Pez. Er hat die Fahrtzeiten verschiedener Verkehrsmittel untersucht und festgestellt, dass Pedelec- und E-Bike-Fahrer im Stadtverkehr auf kurze und mittlere Distanzen deutlich schneller unterwegs sind als Autofahrer. Der Verkehrsforscher sieht den Vorteil nicht nur in der Zeitersparnis sondern auch in den geringen Anschaffungs- und Unterhalts-Kosten und vor allem in der Umweltverträglichkeit.
Die Vorteile der Elektro-Räder sind für ihre Hersteller längst klar. Jetzt müssen sie ihrer Kunden nur noch emotional zu fassen kriegen.
Design und Innovation
Die Jungen gewinnt man nicht mit altbackenem Design. Das haben die Fahrradbauer verstanden. Mit den unattraktiven Klötzen aus dem letzten Jahrzehnt haben die neuen Modelle wenig gemein. “Ein E-Bike muss mehr und mehr schön sein”, sagt Puello. Das Zweirad wird zum Lifestyle-Produkt, Radeln mit eingebautem Rückenwind soll sexy und sportlich werden. Die Batterie wird immer geschickter im Rahmen versteckt. Die Linien werden schnittiger und sportlicher, die Farben kräftiger und bunter.
Auch an der Technik wird immer weiter gefeilt. Die verbauten Akkus sind zusehends leichter. Die meisten Elektro-Räder wiegen weniger als 20 Kilogramm. Gleichzeitig steigt die Reichweite der Akkus enorm, während die Aufladezeit sinkt. Nicht nur die klassischen E-Bike-Tugenden werden optimiert. Die modernsten der Räder sollen sich in Zukunft vernetzen. Auf der VeloBerlin zeigt BMC/Stromer mit dem ST2 ein E-Bike, dass auf einem intergierten Touchscreen GPS-Daten anzeigt und via Bluetooth Informationen mit dem Smartphone austauscht.
Mehr Konkurrenz
Die Entwicklung ist derzeit so rasant, dass die ersten Händler schon darüber klagen. “Auf Grund des schnellen technischen Wandels musste der Fachhandel vor allem bei E-Bikes deutliche Abschreibungen auf Überbestände vornehmen”, heißt es vom Zentralverband der Zweiradhändler. Sprich: Das vermeintliche Hightech-Gefährt gehört schneller zum alten Eisen, als so manchem lieb ist. „Die Branche steht vor der Herausforderung, die richtige Balance zwischen Entwicklungstempo und Umsetzbarkeit im Handel zu finden“, sagt Puello.
Doch der Innovationsdruck auf die Hersteller wird nicht nachlassen. Immer mehr Fahrradbauer wollen auf dem E-Bike-Markt mitmischen. "Der Markt wird von den klassischen Fahrradherstellern dominiert”, sagt Neuberger. Die Fahrrad-Riesen Derby Cycle und Cycle Union sind auch bei den E-Bikes die Platzhirsche. Aber auch viele Neulinge drängen auf den Markt. Die Gewinnaussichten sind verlockend. Obwohl Pedelecs und E-Bikes in Stückzahlen nur 11 Prozent am deutschen Fahrrad-Markt ausmachen, generieren sie 28 Prozent des Umsatzes.
Der Wettbewerb wächst nicht nur unter den Fahrradbauern. Shimano schickt sich an, dem bisherigen Branchenprimus Bosch Marktanteile im Bereich der Antriebe abzujagen. Die Japaner bringen 2014 ein eigenes System auf den Markt, dass preiswerter sein wird, als das der Konkurrenz.
Winora-Geschäftsführerin Puello sieht das mit Sorge. Sie hofft, dass in Zukunft Technik und Innovation über den Erfolg entscheiden, nicht nur der Preis. "Wenn wir uns wieder nur den Preisschlachten hingeben, wird das für die Industrie und den Absatz schädlich sein." Bei einem durchschnittlichen E-Bike-Preis von rund 2000 Euro werden sich Kunden über die fallenden Preise erstmal freuen.