Die Zitterpartie um die Übernahme der rund 450 Kaiser’s-Tengelmann-Supermärkte durch Edeka steuert auf ihr Finale zu. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) muss entscheiden, ob er den Deal genehmigt – gegen den Widerstand von Edekas Erzrivalen Rewe, der diese Woche sein Interesse an den Supermärkten mit einem neuen Übernahmeangebot untermauert hat.
Vor allem aber gegen Warnungen von Lieferantenvertretern. Gerade die sorgen sich vor noch mehr Nachfragemacht des größten deutschen Lebensmittelhändlers, der sich mit dem Werbespruch „Wir lieben Lebensmittel“ als sympathischen Nachbarschaftsladen inszeniert. Im Umgang mit Lieferanten scheint bei der Truppe um Edeka-Chef Markus Mosa aber mitunter die Devise zu gelten: „Wir nutzen alle Mittel.“
Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands
Bartells-Langness
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 3,09 Milliarden Euro (Schätzung)
Globus
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 3,23 Milliarden Euro
Rossmann
Umsatz mit Lebensmitteln in Deutschland: 5,18 Milliarden Euro
dm
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 6,33 Milliarden Euro
Lekkerland
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 8,98 Milliarden Euro
Metro (Real, Cash & Carry)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 10,27 Milliarden Euro (Schätzung)
Aldi (Nord und Süd)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 22,79 Milliarden Euro (Schätzung)
Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 28,05 Milliarden Euro (Schätzung)
Rewe-Gruppe
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 28,57 Milliarden Euro (Schätzung)
Edeka (inkl. Netto)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 48,27 Milliarden Euro
Quelle: TradeDimensions / Statista
So zumindest beschreiben Lieferanten gegenüber der WirtschaftsWoche den Verhandlungsstil von Edeka-Einkäufern. „Das sind mit die härtesten Burschen“, konstatiert der Chef eines niedersächsischen Herstellers. Er beklagt einen „Wust an Forderungen und Rückvergütungen“, der das Geschäft für ihn unkalkulierbar mache. Nach einer Ministererlaubnis könnte Edeka versuchen, die Konditionen weiter zu drücken, um die Übernahmekosten einzuspielen, befürchtet ein anderer Lieferant. Ihre Namen wollen die Mittelständler nicht gedruckt lesen. Zu groß ist die Angst vor dem Zorn aus Hamburg.
Edekas verfügt über ein großes Druckpotenzial
Dort will man konkrete Fragen zu den Vorwürfen nicht beantworten. Ein Anwalt des Unternehmens teilt mit: Die Zusammenarbeit zwischen Edeka und der Mehrheit der Geschäftspartner laufe „konstruktiv und für beide Seiten vorteilhaft“, der Konzern lege „Wert auf ein professionelles und von gegenseitigem Respekt geprägtes Verhältnis“.
Endspurt im Streit um Kaiser's Tengelmann
Die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann schreibt seit Jahren rote Zahlen. Insgesamt sollen sich die Verluste seit der Jahrtausendwende auf mehr als 500 Millionen Euro summieren. Der Eigentümer, die Unternehmerfamilie Haub, will deshalb einen Schlussstrich ziehen und die rund 450 Geschäfte an Deutschlands größten Lebensmittelhändler Edeka verkaufen.
Das Bundeskartellamt hat den Zusammenschluss der Supermarktketten untersagt. Die Wettbewerbsbehörde befürchtet durch die Fusion Preiserhöhungen und weniger Wettbewerb. Schließlich ist der Lebensmittelhandel in Deutschland schon heute hochkonzentriert. Nur vier Ketten - Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe mit dem Discounter Lidl sowie Aldi - teilen sich 85 Prozent des Marktes. Und unter den „großen Vier“ ist Edeka mit weitem Abstand die Nummer eins.
Nein. Denn die Supermarktketten haben Antrag auf eine Ministererlaubnis gestellt, um das Veto des Kartellamtes auszuhebeln. Laut Gesetz kann der Bundeswirtschaftsminister eine Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des Zusammenschlusses schwerer wiegen als die Wettbewerbsbeeinträchtigungen.
In erster Linie locken die Handelsketten mit Arbeitsplatzgarantien. Nur die Gesamtübernahme durch Edeka sichere den Erhalt der 16.000 Stellen bei Kaiser's Tengelmann, argumentieren sie. Eine Einzelabwicklung werde dagegen mindestens 8000 Jobs kosten. Denn für Problemfilialen werde sich dann wohl kein Kaufinteressent finden - ebenso wenig wie für die Konzernzentrale, die Fleischwerke oder die Logistik. Dem Antrag auf Ministererlaubnis zufolge schreiben fast 200 Kaiser's Tengelmann-Filialen rote Zahlen.
Es gibt Befürworter und Gegner einer Ausnahmegenehmigung. Die Monopolkommission hat sich in einem Sondergutachten strikt gegen eine Erlaubnis für den Zusammenschluss ausgesprochen. Nach ihrer Auffassung sind bei einer Fusion der Supermarktketten negative Auswirkungen auf den Wettbewerb sicher. Die in Aussicht gestellten Arbeitsplatzeffekte seien aber eher ungewiss. Auch bei der Gewerkschaft Verdi finden die Pläne bislang wenig Sympathie. Die bayerische Landesregierung und der Hamburger Senat plädieren dagegen für eine Ausnahmegenehmigung.
Nein. Falls das Bundeswirtschaftsministerium das Fusionsverbot bestätige, werde sofort mit der Zerschlagung von Kaiser's Tengelmann – also dem Verkauf in Teilpaketen – begonnen, signalisierten schon im September Unternehmenskreise. Bis Ende 2016 werde von Kaiser's Tengelmann dann nichts mehr da sein.
Ja. Die Schweizer Handelskette Migros, die Coop Kiel und der Discounter Norma haben bereits Interesse an einem Teil der Filialen signalisiert. Der Edeka-Erzrivale Rewe würde am liebsten sogar alle Geschäfte übernehmen. Allerdings dürfte in diesem Falle wohl auch der Kölner Handelsriese Probleme mit dem Kartellamt bekommen.
Im Zweifel verfügt Edeka über erhebliches Druckpotenzial. Schon in den „Allgemeinen Beschaffungsbedingungen“, die der WirtschaftsWoche in einer Fassung von 2012 vorliegen, hat sich der Handelsriese gegen so gut wie alle Widrigkeiten im Umgang mit seinen Lieferanten gewappnet. Ein Hersteller bezeichnet das Vertragswerk denn auch als „Bußgeldkatalog“.
Fast immer, wenn etwas schiefläuft, darf Edeka die Lieferanten zur Kasse bitten – teils mit Pauschalbeträgen, die es in sich haben. Sobald etwa Behörden einen Rückruf wegen Produktmängeln veranlassen, darf Edeka wegen des eingetretenen Imageschadens einen „pauschalen Schadenersatz“ von 100.000 Euro erheben, steht in dem Vertrag. Im Zweifel muss der Lieferant beweisen, dass das Image von Edeka nicht so stark gelitten hat. Edeka will sich dazu nicht äußern.
Tatsächlich sind solche Klauseln zwar legal und gehören auch zum Repertoire anderer Händler. Doch offenbar agieren diese nicht so forsch wie Edeka. Darauf deuten die Ergebnisse einer Befragung des Handelsexperten Thomas Roeb hin, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegen.
Edeka gilt als einer der härtesten Player im Vollsortiment
Insgesamt 65 von rund 900 angeschriebenen Lieferanten des Lebensmittelhandels haben für den Handelsprofessor von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg einen Fragebogen zu ihren Erfahrungen mit Edeka, Rewe, Kaufland und Real ausgefüllt. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ. Auffällig ist aber, dass Edeka in mehreren Kategorien als einer der härtesten Player im Vollsortiment bewertet wird.
Auf die Frage, welcher Händler am aggressivsten einen pauschalen Schadensersatz einfordere, wenn Lieferungen zu spät ankommen, gaben zum Beispiel 39 Lieferanten Edeka an. 20 nannten Rewe.
Auch bei Abweichungen von der Verpackungsgestaltung mache Edeka nach Ansicht von 18 Lieferanten am resolutesten Entschädigung geltend. Rewe wurde von elf Herstellern angekreuzt. 24 Antwortende nahmen bei Verhandlungen mit Edeka zudem einen „aggressiven Tonfall“ wahr, deutlich mehr als bei Rewe (13) und Real (13). Kaufland prescht nach Einschätzung der antwortenden Lieferanten hingegen noch schärfer vor.
Edekas Anwalt kritisiert die Untersuchung als unseriös und verweist darauf, dass Verhandlungen von Edeka korrekt ablaufen. Zudem sei das Unternehmen einer Initiative für den fairen Umgang zwischen Industrie und Handel beigetreten.
„Edeka lässt im Umgang mit Herstellern und Erzeugern schon heute die Muskeln spielen und diktiert die Konditionen“, sagt dagegen Gitta Connemann, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und zuständig für Ernährung und Landwirtschaft. „Das sollte nicht noch mit einer Ministererlaubnis belohnt werden.“ Davor warnen auch Experten der Monopolkommission. Es spreche viel dafür, „dass als Folge des Zusammenschlusses“ Lieferanten „mit einer Verschlechterung ihrer Konditionen rechnen müssen“, heißt es im Gutachten des Gremiums für Gabriel.
Ob der sich davon beeindrucken lässt, ist fraglich. Seit fast acht Monaten liegt Gabriel der Antrag auf Ministererlaubnis vor. Das deute darauf hin, heißt es in der Branche, dass über Kompromisse verhandelt werde.