Einwegplastik im Getränkehandel „Dieses System ergibt absolut keinen Sinn“

Der Stuttgarter Familienbetrieb Kastner setzt mit dem Einwegplastikboykott ein Zeichen für Nachhaltigkeit. Quelle: Hans-Peter Kastner

Getränkehändler Kastner hat sein Geschäft für den Umweltschutz riskiert und Einwegflaschen aus dem Sortiment verbannt. Im Interview spricht er über die Auswirkungen auf sein Unternehmen und Reformängste in der Branche.

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Hans-Peter Kastner hat „die Schnauze voll von Plastik“: In einem offenen Brief rief er Mitte des Jahres dazu auf, mit Mehrwegalternativen im Getränkehandel den Umweltschutz voranzutreiben. Statt des von ihm erwarteten Shitstorms erhielt er eine Flut positiver Rückmeldungen. Daraufhin nahm der Chef des Stuttgarter Familienbetriebs in Einwegverpackungen abgefüllte Getränke einfach aus dem Sortiment und riskierte damit seine Existenz. Seit dem kompletten Einweg-Boykott sind nun mehr als zwei Monate vergangen und der Getränkehändler zieht Bilanz.

WirtschaftsWoche: Sie haben im Juli dazu aufgerufen, keine Plastikflaschen und Dosen mehr in Ihrem Getränkehandel zu kaufen. Hat das etwas am Konsumverhalten der Kunden geändert?
Hans-Peter Kastner: Leider hat sich das Kaufverhalten der Kunden nicht wirklich geändert. Wir haben in der Zwischenzeit schon wieder ungefähr 8500 Flaschen zurückbekommen, weil wir das Leergut bis 30. September weiter angenommen haben. Seit 1. August haben wir allerdings keine Einwegflaschen und Dosen mehr im Sortiment.

Hat diese Umstellung gut funktioniert?
Es war teilweise aufwändig, entsprechend verpackte Produkte zu finden. Gerade Energydrinks und isotonische Getränke werden fast nur in Einwegverpackungen abgefüllt. Aber wir konnten unser Sortiment bis auf zwei oder drei Prozent auf Mehrwegglas umstellen, das schon vorher einen Großteil unseres Angebots ausgemacht hat. Von Seiten der Lieferanten gab es dabei keine Probleme – wir haben weder Lieferengpässe noch sonstige Schwierigkeiten. Den Gewichtsnachteil versuchen wir durch kleinere Verpackungseinheiten und geringere Füllmengen auszugleichen.

Sie haben im Juli berechnet, dass in Einwegplastik verpackte Produkte derzeit einen Umsatzanteil von 30 Prozent Ihres Getränkehandels ausmachen. Wie wirkt sich der Plastikboykott auf das Geschäft aus?
Wir haben definitiv Kunden verloren, weil sie eben darauf bestehen, ihre Getränke in der Einwegflasche zu kaufen. Aber wir haben auch neue dazu gewonnen, die uns darin unterstützen wollen, nachhaltiger und umweltfreundlicher zu arbeiten. Insgesamt sind die meisten Kunden auf Mehrwegflaschen umgestiegen. Dennoch haben wir seit der Umstellung einen Umsatzverlust von drei bis vier Prozent.

Wie waren die Reaktionen der Kunden auf die Verbannung von Einwegflaschen aus Ihrem Laden?
Das Thema Verpackung und Plastik ist bei allen Kunden in den letzten Wochen vermehrt aufgegriffen worden. Man kann fast schon von einer Kampagne sprechen. Es wird mehr darüber gesprochen und die Leute scheinen sich Gedanken zu machen. Seitdem kommen auch sehr viele Fragen. Häufig ist dabei die Pfandkennzeichnung ein Thema. Viele Hersteller drucken ein Einweg-Pfandsiegel auf ihre Produkte und die Verbraucher denken dann, es handele sich um eine Mehrwegflasche. Aus Sicht des Kunden ist das verständlich: Er kauft eine Kiste, hinterlegt das Pfand und bringt die Kiste wieder zurück zu uns. Für ihn ist der Kreislauf abgeschlossen, der eigentliche Prozess beginnt aber erst.

Was passiert denn mit den Flaschen mit Einweg-Pfand?
Bei uns gehen die Einwegflaschen zurück zum Hersteller und von dort zum Recyclinghof. Dort werden sie zu Granulat verarbeitet und an die Produzenten der Flaschenrohlinge weitergegeben. Von da aus kommen sie zurück zum Abfüller. Wir haben seit Juli etwa 2000 Kunden nach der Wiederverwendung von Pfandflaschen befragt – 80 Prozent denken, man würde sie mehrmals befüllen. Wenn sie dann erfahren, dass wirklich nur Mehrwegflaschen vom Lieferanten abgeholt und wieder befüllt werden, fühlen sich viele getäuscht.

Die Entscheidung gegen die Einwegflaschen war nicht nur ökologisch – Sie haben sich auch über die Kosten des Pfandsystems für Einwegplastik geärgert. Ist das nicht ein Nullsummenspiel?
Nein, absolut nicht. Der Kunde zahlt 25 Cent Pfand für eine Flasche und bekommt sie bei der Rückgabe ausgezahlt. Wir bekommen diesen Betrag zuzüglich der Mehrwertsteuer, das sind dann ungefähr 30 Cent. Oft wird das so dargestellt, als würden wir daran verdienen – aber für die Rückgabe fallen Kosten an. Einerseits müssen wir Mitglied bei einer Clearingstelle sein, das allein kostet mehrere hundert Euro im Jahr. Dann müssen Materialien für die Etikettierung und Rückführung gekauft werden und die Zählung der Flaschen bezahlt werden. Hinzu kommt die Lagerung und das händische Zählen. Außerdem braucht man viel Platz für die Lagerung: Wir haben 204 Quadratmeter Ladenfläche, das Außenlager für die Sortierung und Lagerung von Leergut ist hingegen 250 Quadratmeter groß. Pro Einwegflasche schreiben wir insgesamt mindestens fünf Cent Verlust.

Aber ist das nicht vertretbar, wenn die Flaschen bei Ihnen gekauft wurden?
Wir haben immer wesentlich mehr Einwegverpackungen zurückbekommen, als wir herausgegeben haben. Die Leute kaufen bei den Discountern und bringen das Leergut zu uns. Wir zahlen dann das Pfand aus, sammeln die Flaschen sechs bis acht Wochen, geben sie zurück und müssen anschließend etwa einen Monat warten, bevor wir das Geld zurückerhalten. Das Ganze müssen wir vorfinanzieren – konkret bedeutet das einen dauerhaften Fehlbetrag von drei- bis viertausend Euro in der Kasse. Außerdem tragen wir das Insolvenzrisiko der großen Hersteller, besonders als Familienbetrieb ist das ärgerlich. Dieses System ergibt absolut keinen Sinn. Die Einwegproblematik ist insgesamt auch ein Kampf zwischen Fachhändlern und Discountern, weil die eine Mehrwegquote von Null Prozent haben.

Verstößt das nicht gegen die im Verpackungsgesetz festgelegte Mehrwegquote von 70 Prozent?
Aldi und Lidl haben definitiv keine Mehrwegflaschen im Sortiment. Das Gesetz ist leider nur eine freiwillige Richtquote. Ich war vor kurzem auf der Re-Use Conference in Brüssel, auf der das auch angesprochen wurde. Sowohl die deutsche Umwelthilfe als auch verschiedene Verbände haben gefordert, dass diese Quote verpflichtend sein muss, weil sie sonst nichts bringt. Was wir brauchen ist entweder ein komplettes Einwegverbot oder verbindliche Quoten.

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