Der Mann am Telefon hielt sich nicht lange mit Höflichkeiten auf: Was denn die Klage solle, die gerade auf seinem Schreibtisch gelandet sei, blaffte der Manager eines früheren Schlecker-Lieferanten Arndt Geiwitz an, den Insolvenzverwalter des Drogeriekonzerns Schlecker. „Hat die Pleite nicht schon genug Schaden angerichtet?“ So erinnerte sich Geiwitz vor einigen Jahren an die Reaktionen auf seine Klagen gegen Hersteller von Röstkaffee, Zucker, Drogerieartikeln, Süßwaren und Waschmittel auf Schadensersatz wegen überteuerter Lieferungen. Sie hatten Produktpreise untereinander abgesprochen und dafür bereits Strafen der Kartellbehörden kassiert.
Eine Abfuhr kassierte Geiwitz bislang nicht nur am Telefon, auch vor Gericht hatte er bislang wenig Erfolg – insbesondere bei seinem Vorgehen gegen große Drogerieartikelhersteller wie Beiersdorf, Procter & Gamble und Henkel. In den ersten Instanzen war Geiwitz‘ Klage abgewiesen worden. Auch das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) hatte es für nicht sehr wahrscheinlich gehalten, dass Schlecker durch den Informationsaustausch ein Schaden entstanden sein könnte.
Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) könnte sich jetzt aber möglicherweise das Blatt wenden: Der Kartellsenat des BGH entschied am Dienstag, es müsse neu geprüft werden, ob und in welcher Höhe Schlecker finanzieller Schaden durch Kartellabsprachen von Zulieferern entstanden ist. Es entspreche allgemeiner Erfahrung, dass solche Absprachen zu höheren Preisen führten. Dem habe die Vorinstanz zu wenig Gewicht beigemessen, erklärten die Karlsruher Richter und verwiesen das Verfahren zurück an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
212 Millionen Euro Schadenersatz gefordert
Schon das Bundeskartellamt hatte gegen die Drogeriewarenhersteller Bußgelder verhängt, weil sie zwischen 2004 und 2006 in einem gemeinsamen Arbeitskreis Informationen ausgetauscht hatten. Dabei ging es etwa um beabsichtigte Preiserhöhungen oder den Stand der Verhandlungen mit einzelnen Handelsketten. Der Insolvenzverwalter meint, dass Schlecker deshalb im Einkauf überhöhte Preise zahlen musste. Er fordert rund 212 Millionen Euro Schadenersatz.
Ob es dazu kommt, ist trotz der BGH-Entscheidung noch offen. Der Vorsitzende Wolfgang Kirchhoff wies bei der Urteilsverkündung darauf hin, dass die Umstände im Einzelfall entscheidend seien. Tendenziell dürfte sich die Position des Insolvenzverwalters aber verbessert haben.
Geiwitz selbst sieht in dem Urteil einen „wichtigen Schritt für die Durchsetzung der Schadenersatzforderungen“. Er sei „vorsichtig optimistisch, dass wir den durch die illegalen Absprachen entstandenen Schaden vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt belegen können.“ Die Kartellklagen seien „ein Kampf für die Masse-Gläubiger und damit vor allem auch für die Schlecker-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter wie auch für jeden Steuerzahler, da die Bundesagentur für Arbeit hohe Ansprüche aus dem Verfahren hat.“
Dabei geht es um offene Ansprüche auf eine maximal dreimonatige Lohnfortzahlung bei Kündigung. Schlecker, einst die größte Drogeriemarktkette Europas mit Sitz im baden-württembergischen Ehingen, hatte im Januar 2012 Insolvenz angemeldet. Viele Tausende Mitarbeiterinnen – es waren vor allem Frauen – verloren ihre Arbeit.
Das Verfahren gegen die Drogerieartikel-Hersteller ist die größte von mehreren Kartellklagen, die Geiwitz erhoben hat. Nach Auskunft eines Sprechers laufen noch drei weitere Schadenersatz-Prozesse, jeweils in der ersten Instanz. Am Stuttgarter Landgericht gehe es um Waschmittel und Kaffee, am Landgericht Mannheim um Zucker. Ein fünfter Streit mit Süßwaren-Herstellern sei außergerichtlich beigelegt worden. Neben den Schlecker-Verfahren führt Geiwitz‘ Kanzlei auch für die Drogeriekette Müller, Kaufland, Rossmann, Budnikowsky und Bartels Langness Schadenersatzklagen gegen die Drogeriewarenhersteller vor unterschiedlichen Gerichten.
Lesen Sie auch: Hohe Energiepreise, steigende Finanzierungskosten – die Lage wird brenzlig, warnen Sanierungsexperten.