
Brüssel Der Europäische Gerichtshofs hält die Einbeziehung internationaler Fluglinien in den CO2-Emissonshandel der Europäischen Union für rechtmäßig. „Die Prüfung der Richtlinie 2008/101 hat nichts ergeben, was ihre Gültigkeit berühren könnte“, lautet das soeben ergangene Fazit der obersten europäischen Richter.
Mit der Entscheidung droht der Streit zwischen der EU und internationalen Partnern wie den USA, China, Brasilien und Russland zu eskalieren. Sie haben angekündigt, das europäische Vorhaben zu torpedieren, und Gegenmaßnahmen angedroht.
Zuletzt hatte US-Außenministerin Hilary Clinton die EU-Kommission in einem Brief davor gewarnt, an dem konfrontativen Kurs festzuhalten. Sei Europa nicht bereit, sich konstruktiv mit den internationalen Bedenken auseinanderzusetzen, werde die USA Gegenmaßnahmen ergreifen, heißt es in dem Brief, der dieser Zeitung vorliegt.
Vom 1. Januar 2012 an sollen alle Fluggesellschaften, die in der EU starten und landen, in das Handelssystem für Emissionen einbezogen werden. Bislang gilt das System nur für die Industrie. Ziel der Abgabe ist es, den Ausstoß des Treibhausgases CO2 zu senken. 2012 erhalten die Airlines noch 85 Prozent der Zertifikate umsonst, ab 2013 noch 82 Prozent. Für den Rest müssen sie Verschmutzungszertifikate kaufen. EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard rechnet für die Verbraucher mit Zusatzkosten pro Ticket für einen Langstreckenflug von maximal zwei bis zwölf Euro.
Gegen die EU-Gesetzgebung hatten der US-Luftverkehrsverband sowie die Fluglinien American Airlines, Continental Airlines und United Airlines geklagt. Dass sie sich nun mit dem EuGH-Urteil einfach abfinden werden, gilt als unwahrscheinlich.
Denkbar ist, dass sie ein formales Verfahren vor der Internationalen Luftfahrtorganisation ICAO beantragen werden. Ein Verdikt der Organisation wäre zwar rechtlich nicht bindend. Es könnte Vergeltungsmaßnahmen von Drittstaaten gegenüber der EU aber in einem anderen Licht erscheinen lassen. So hat China beispielsweise gedroht, es könne Aufträge in Milliardenhöhe beim deutsch-französischen Flugzeugbauer Airbus platzen lassen. Andernorts stehen Flugrechte europäischer Airlines zur Diskussion. Und der US-Gesetzgeber will seinen Fluglinien sogar ausdrücklich verbieten, am europäischen Emissionshandel teilzunehmen.
Knappe Margen schrumpfen noch weiter
Europäische Fluglinien befürchten Wettbewerbsverzerrungen, wenn internationale Konkurrenten nicht die gleichen Belastungen zu tragen hätten wie sie. Deutsche Wirtschafts- und Branchenverbände hatten zuletzt für ein Moratorium geworben. „Wir fordern die Politik auf, die für den 1. Januar 2012 geplante Einbeziehung des Luftverkehrs in den europäischen Emissionshandel um ein Jahr zu verschieben", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Wirtschaft, die jüngst an Bundeskanzlerin Angela Merkel und die drei zuständigen Fachminister für Wirtschaft, Umwelt und Verkehr versendet wurde.
Zu den Unterzeichnern gehörten neben BDI-Präsident Hans-Peter Keitel auch der Luft- und Raumfahrtindustrieverband sowie die Präsidenten der Branchenverbände Tourismuswirtschaft, Verkehrsflughäfen, Fluggesellschaften, Luftverkehrswirtschaft sowie das Deutsche Verkehrsforum. Klimaschutz sei zwar notwendig, doch müssten global gleiche Wettbewerbsbedingungen gelten.
Die Bundesregierung hält jedoch am eingeschlagenen Weg fest und stärkt der EU-Kommission den Rücken. In Brüssel heißt es, Gesetze, die rechtmäßig vom EU-Parlament und den 27 Mitgliedstaaten verabschiedet worden seien, ließen sich nicht einfach so ändern oder stoppen.
Ursache des Widerstands der Fluggesellschaften ist, dass die Branche traditionell selbst in guten Zeiten mit knappen Margen fliegt. Jede zusätzliche Belastung gilt als ernsthafte Bedrohung. Der Finanzdienstleister Thomson Reuters hat vor errechnet, dass der Emissionsrechtehandel den Sektor im kommenden Jahr mit rund 1,1 Milliarden Euro belasten könnte – angesichts des vom Branchenverband IATA prognostizierten schmalen Gewinns ein schmerzhafter Betrag. Bis 2020 könnte sich diese Summe auf 10,4 Milliarden Euro erhöhen.
Der Start des Handels 2012 fällt in ein Jahr, das für die Branche aller Voraussicht nach wirtschaftlich schwierig werden wird. Die IATA erwartet, dass die Gewinne aller Fluglinien rund um den Globus von 6,9 auf 4,9 Milliarden Dollar fallen werden.
Schwierige Suche nach Kompromissen
Die EU-Kommission setzt nun alles daran, mit ausländischen Fluggesellschaften Kompensationsmaßnahmen auszuhandeln, wenn sie sich nicht am Emissionshandel beteiligen. Käme es zu keiner Einigung, drohten im Extremfall Flugverbote in der EU.
Zum Schwur könnte es im April 2013 kommen. Dann wird die Kommission anhand der 2012 geflogenen Meilen den Fluglinien die Rechnung präsentieren: Wer mehr als die ihm kostenlos zustehenden Zertifikate verflogen und keine dazugekauft hat, muss zahlen. Es drohen Strafen bis zu 100 Euro pro Tonne CO2.
Keinesfalls will sich die EU-Kommission dem Druck aus den Drittländern beugen. Die Generalanwältin des EuGH stärkt Brüssel den Rücken. Denn sie stellt fest, dass sich die Kläger "grundsätzlich nicht auf die angeführten internationalen Abkommen und das Völkergewohnheitsrecht berufen können." Ein Flugplatz im Hoheitsgebiet der EU als Start- oder Zielort sei ein hinreichender territorialer Anknüpfungspunkt, um den Flug ins EU-Emissionshandelssystem einzubeziehen.
Die Attacken von Airlines und Drittstaaten auf die EU seien politisch motiviert, betonte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese in der Vergangenheit mehrfach: „Diese Kraftprobe sollte Europa unbedingt gewinnen.“
Ein Kompromissvorschlag kam zuletzt aus dem EU-Parlament selbst. Die Gemeinschaft solle ihr Gesetz auf den eigenen Luftraum beschränken, hatte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Brian Simpson, in einem Brief an EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard vorgeschlagen. Eine solche Lösung erlaube es der EU, in ihrem Territorium zu tun, was sie will, ohne anderen Ländern ihren Willen aufzuzwingen.
Simpsons Vorschlag bedeutete, dass zum Beispiel bei einem Flug Frankfurt - New York nur für jene Emissionen Zertifikate gekauft werden müssten, die innerhalb des europäischen Luftraums anfallen. Das EU-Gesetz berücksichtigt indes den kompletten CO2-Ausstoß zwischen den Destinationen.