Fahrräder „Das Lastenfahrrad ist das neue Statussymbol“

Quelle: imago images

Der Fahrradmarkt wächst: Die ungebremst starke Nachfrage nach E-Bikes und Lastenrädern kann sogar ein Minus bei herkömmlichen Rädern ausgleichen. Gewinner der Entwicklung sitzen in Kopenhagen – und Darmstadt.

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Elektroräder und kein Ende: Dass sogenannte E-Bikes verstärkt nachgefragt werden, wird Kenner der deutschen Fahrradbranche seit Jahren schon nicht mehr überraschen – höchstens, in welchem Maße. Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) hat dies nun exakt benannt: Um satte 39 Prozent ist die Zahl der verkauften Elektroräder 2019 in Deutschland gestiegen, wie der ZIV auf seiner Jahrespräsentation am Mittwoch in Berlin mitteilte. Konkret kauften die Deutschen im vergangenen Jahr 1.360.000 Fahrräder mit Elektroantrieb. Die ZIV-Schätzungen wurden damit „noch einmal deutlich übertroffen“, wie der Verband schreibt.

Der Fahrradmarkt insgesamt wuchs ebenfalls – bei der Frage nach dem Wie kommt es auf die Differenzierung an: Die Stückzahl der verkauften Fahrräder lag 2019 mit 4,31 Millionen Einheiten nur knapp drei Prozent über der des Vorjahres. Der Umsatz hingegen, also die Summe, die Käufer für Räder insgesamt ausgaben, vergrößerte sich um erstaunliche 34 Prozent auf 4,23 Milliarden Euro. Die Erklärung: E-Bikes kosten deutlich mehr als Räder ohne Elektroantrieb. Die ungebrochene E-Nachfrage treibt den durchschnittlichen Verkaufspreis enorm nach oben – er stieg um rund 30 Prozent auf 982 Euro –, und damit den Gesamtumsatz.

Gunnar Fehlau ist einer, der die Branche seit Jahren kennt und ihre Mechanismen durchdrungen hat. Er leitet den Pressedienst-Fahrrad, einen Zusammenschluss aus 50 Vereinen (unter anderen auch der ZIV), Firmen und Institutionen mit Sitz in Göttingen. Er sagt: „E-Bike ist nicht mehr als eigene Gattung zu verstehen. Es gibt heute jeden Fahrradtyp mit und ohne Motor.“ Deshalb überrascht es ihn auch nicht, dass die steigende Beliebtheit der angetriebenen Räder auch Opfer mit sich bringt: „Der steigende E-Bike-Anteil substituiert in Teilen die Verkäufe der Brot- und Butter-Fahrräder, also alles ohne Elektroantrieb zwischen 500 und 1000 Euro.“ In Zahlen: Laut ZIV wurden 2019 rund 7,8 Prozent weniger herkömmliche Fahrräder (also ohne Motor) verkauft als 2018. Ein Minus, das die Branche aber verkraften kann. „Der leichte Rückgang ist ein natürlicher Prozess der Elektrifizierung der Fahrradbranche“, sagt Fehlau.

Eine Entwicklung, die bereits in den vergangenen Jahren abzusehen war: Das aufkommende Elektro-Fahrrad hatte bisher das edlere, kostspielige, aber unelektrifizierte Gebrauchsrad in Preisklassen jenseits der 2500 Euro den Markt abgegraben. Jener Radtyp sei dank des E-Bikes mittlerweile auf „Nischenstatus“ geschrumpft, erklärt Fehlau. Nun verlieren auch langsam die nicht ganz so teuren nicht-elektrischen Räder an Kund- und Käuferschaft. Der ZIV dürfte es verschmerzen können, solange die Preisentwicklung die eingeschlagene Richtung fortsetzt – und Elektroräder weiterhin Fans gewinnen.

Gerade in Zeiten des Klimawandels, argumentiert der ZIV, hätten Radler alle Argumente auf ihrer Seite: „Hauptargument für den Kauf eines E-Bikes bleibt (...) die hohe Relevanz für die Mobilitätsanforderungen der heutigen Zeit in Freizeit und Alltag“, schreibt der Verband. „Das E-Bike ist für viele Bürger gerade das interessanteste E-Mobilitätsfahrzeug“, sagt auch Gunnar Fehlau. Ihre Nutzung substituiere in Teilen auch bereits die Autonutzung, „da gibt es eine Evidenz.“ Das Elektrorad verfüge noch über „dieses Erlebniselement des Pedalieren – aber mit eingebautem Rückenwind.“ Das spüren auch die beiden größten deutschen Hersteller von E-Bike-Akkus, Bosch und Brose.

„Der große Trend ist, dass es diesen einen Fahrrad-Trend in diesem Jahr nicht gibt“, sagt Fehlau. In den vergangenen Jahren habe die Branche immer wieder mal „brutale Sprünge gemacht“, sagt er, „von der LED-Lampe bis zur Funkschaltung. In diesem Jahr haben wir aber nicht die eine Neuheit, die über allem steht.“ Will man einzelne Gattungen herausgreifen, kommt man schnell auf Lastenräder. Erstmalig hat auch der ZIV Lastenräder als eigenständige Modellgruppe ausweisen: Innerhalb der Elektrofahrrad-Gruppe machten sie vergangenes Jahr bereits vier Prozent aus. Das ist natürlich nur ein kleiner Anteil im Vergleich mit E-Trekking-Rädern (36 Prozent) und E-City- beziehungsweise Urban-Rädern (31 Prozent), aber die erstmalige eigenständige Erfassung deutet bereits das Potenzial an.

Statussymbol Cargobike

Ole Honkomp von der Kettler Alu-Rad GmbH in Köln bestätigt das: „Die Trends in dieser Saison drehen sich vor allem um Transportlösungen jeder Art und höhere Reichweite der E- Bikes.“ Die ehemalige Fahrradsparte der Freizeitsportmarke Kettler wurde 2015 von der Zweirad Einkaufsgenossenschaft (ZEG) übernommen, Europas größtem Fahrrad-Fachhändler. Honkomp beobachtet, dass etwa der Transport von Kindern eine immer größere Rolle eingenommen habe, „denn das Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein ist deutlich gestiegen.“ Das unterstrichen auch Unternehmen, die nach sinnvollen Alternativen für den Transport von Waren suchen, Stichwort Cargo-Bikes.

„Das Cargobike hat lange gedarbt als Radgattung, einfach weil es echt anstrengend war“, befindet Gunnar Fehlau. „Heute haben die Dinger einen Motor, man kann damit die Kinder schweißfrei in die Kita fahren und danach ins Büro. Plötzlich wird so eine Radgattung für viele interessant. Das Lastenfahrrad ist in Teilen von Großstädten das neue Statussymbol.“

Wegbereiter dieser Gattung waren vor allem zwei dänische Fahrradhersteller, was nicht wirklich verwundert: Der alle zwei Jahre erscheinende Copenhagenize-Index erstellt eine Tabelle der Fahrradhauptstädte der Welt – mit dem namensgebenden Kopenhagen als Dauersieger. In Kopenhagen gibt es Fahrrad-Schnellstraßen und eine regelrechten Fahrrad-Rushhour – und die Firmen Christiania Bike sowie Larry vs. Harry. Beide sind berühmt für ihre Lasten- und Transporträder.

Christiania ist der Name des Kopenhagener Hippie-Stadtteils, eines selbsternannten Freistaates. Einer der Bewohner, Lars Engstrom, baute Mitte der Achtzigerjahre seiner Freundin ein Dreirad mit Transportkiste, denn Autos waren in Christiania damals nicht erlaubt. Aus dem Geburtstagsgeschenk der Ökos ist ein Unternehmen geworden: 2018 verkaufte Christiania in Deutschland rund 400 Lastenräder. Auch die „Bullitt“ genannten Cargobikes von „Larry vs. Harry“ halfen dabei, das Lastenrad salonfähig zu machen, die Menschen strampeln nun dankbar fürs grüne Gewissen – und dank Elektroantrieb auch anstrengungsarm. Doch das hat seinen Preis: Ein Elektro-„Bullitt“ kostet schon mal rund 5000.

In Deutschland profitieren unter anderem zwei Darmstädter Fahrradhersteller von der Nachfrage nach den sogenannten Cargobikes: Die 2017 gegründete Manufaktur Kargon GmbH (deren Elektrounterstützte Cargo-Räder ab 4600 Euro kosten) sowie der selbsternannte Cargobike-Marktführer Riese und Müller. Deren Umsatz spiegelt das eskalierende Cargo-Interesse wider. Auf WirtschaftsWoche-Nachfrage teilt Riese und Müller mit: Im Geschäftsjahr 2016/2017 (das Geschäftsjahr dauert von August bis Ende Juli) setzte die Firma 65 Millionen Euro um und verkaufte 30.000 E-Bikes. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2018/2019 verkaufte das Unternehmen mit 56.000 E-Bikes fast das Doppelte und erwirtschaftete damit 145 Millionen Euro. Die Mitarbeiterzahl hat sich im gleichen Zeitraum von 250 auf nunmehr rund 550 Mitarbeiter mehr als verdoppelt.

Riese-und-Müller-Geschäftsführerin Sandra Wolf sagt, man fokussiere sich ausschließlich auf sogenannte „Premium E-Bikes und E-Cargo-Bikes“ und wolle damit „eine sinnvolle Alternative zum Auto bieten“. Die Modelle kosten dann leicht 6000 Euro und mehr. Ab dem Wintersemester 2020 unterstütze man eine neue Stiftungsprofessur Radverkehr an der FH Frankfurt mit einer 50-Prozent-Stelle. „Unser Ziel ist die Wahrnehmung des E-Bikes als Autoersatz zu erhöhen“.

Gehen Innovationen und Trends also mehr von Manufakturen und kleineren Radherstellern aus? Jein, sagt Experte Gunnar Fehlau. Er verdeutlicht das am sogenannten Gravel-Bike, ein Rennrad mit breiteren, aber leichtlaufenden Reifen, für Strecken, „die fürs Mountainbike zu langweilig und fürs Rennrad unfahrbar sind“, wie er sagt. „Die Gravel-Bikes sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich Innovationen in der Rad-Industrie entwickeln.“ Der Trend begann vor rund zehn Jahren bei Rad-Manufakturen, die damaligen Gravel-Bikes waren mit über 3000 Euro sehr kostspielig, „und sehr nischig“, sagt Fehlau. Heute gibt es Gravel-Bikes bei den meisten Vollsortimentern ab 1000 Euro. Es brauche also auch die Großen für die Marktdurchdringung.

Fehlau plädiert auch dafür, die Zulieferer nicht aus dem Blick zu verlieren – auch dort lasse sich Innovationskraft finden. Er verweist etwa auf den Schutzblech- und Pumpenhersteller SKS aus dem sauerländischen Sundern: Die Firma bietet die 3D-Druck-Dateien bestimmter Ersatzteile wie Pumpenhalterungen zum Selberdrucken an. Oder der fränkische Fahrradtaschenhersteller Ortlieb: Die Klettverschlüsse neuer Taschen werden nun nicht mehr verklebt, sondern angeschraubt, so dass man sie, falls sie in ihrer Funktion nachlassen sollten, einfach durch neue Klettverschlüsse ersetzen kann, anstatt gleich eine neue Tasche kaufen zu müssen. Von der Radl-Freude der Deutschen profitieren so auch die Zulieferer: Laut ZIV ist der Markt für Fahrräder und Fahrradkomponenten auf rund sieben Milliarden Euro gewachsen.

Mehr zum Thema: Können Lastenräder das Lieferchaos in den Städten lindern?

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