Fahrräder „Das Lastenfahrrad ist das neue Statussymbol“

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Statussymbol Cargobike

Ole Honkomp von der Kettler Alu-Rad GmbH in Köln bestätigt das: „Die Trends in dieser Saison drehen sich vor allem um Transportlösungen jeder Art und höhere Reichweite der E- Bikes.“ Die ehemalige Fahrradsparte der Freizeitsportmarke Kettler wurde 2015 von der Zweirad Einkaufsgenossenschaft (ZEG) übernommen, Europas größtem Fahrrad-Fachhändler. Honkomp beobachtet, dass etwa der Transport von Kindern eine immer größere Rolle eingenommen habe, „denn das Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein ist deutlich gestiegen.“ Das unterstrichen auch Unternehmen, die nach sinnvollen Alternativen für den Transport von Waren suchen, Stichwort Cargo-Bikes.

„Das Cargobike hat lange gedarbt als Radgattung, einfach weil es echt anstrengend war“, befindet Gunnar Fehlau. „Heute haben die Dinger einen Motor, man kann damit die Kinder schweißfrei in die Kita fahren und danach ins Büro. Plötzlich wird so eine Radgattung für viele interessant. Das Lastenfahrrad ist in Teilen von Großstädten das neue Statussymbol.“

Wegbereiter dieser Gattung waren vor allem zwei dänische Fahrradhersteller, was nicht wirklich verwundert: Der alle zwei Jahre erscheinende Copenhagenize-Index erstellt eine Tabelle der Fahrradhauptstädte der Welt – mit dem namensgebenden Kopenhagen als Dauersieger. In Kopenhagen gibt es Fahrrad-Schnellstraßen und eine regelrechten Fahrrad-Rushhour – und die Firmen Christiania Bike sowie Larry vs. Harry. Beide sind berühmt für ihre Lasten- und Transporträder.

Christiania ist der Name des Kopenhagener Hippie-Stadtteils, eines selbsternannten Freistaates. Einer der Bewohner, Lars Engstrom, baute Mitte der Achtzigerjahre seiner Freundin ein Dreirad mit Transportkiste, denn Autos waren in Christiania damals nicht erlaubt. Aus dem Geburtstagsgeschenk der Ökos ist ein Unternehmen geworden: 2018 verkaufte Christiania in Deutschland rund 400 Lastenräder. Auch die „Bullitt“ genannten Cargobikes von „Larry vs. Harry“ halfen dabei, das Lastenrad salonfähig zu machen, die Menschen strampeln nun dankbar fürs grüne Gewissen – und dank Elektroantrieb auch anstrengungsarm. Doch das hat seinen Preis: Ein Elektro-„Bullitt“ kostet schon mal rund 5000.

In Deutschland profitieren unter anderem zwei Darmstädter Fahrradhersteller von der Nachfrage nach den sogenannten Cargobikes: Die 2017 gegründete Manufaktur Kargon GmbH (deren Elektrounterstützte Cargo-Räder ab 4600 Euro kosten) sowie der selbsternannte Cargobike-Marktführer Riese und Müller. Deren Umsatz spiegelt das eskalierende Cargo-Interesse wider. Auf WirtschaftsWoche-Nachfrage teilt Riese und Müller mit: Im Geschäftsjahr 2016/2017 (das Geschäftsjahr dauert von August bis Ende Juli) setzte die Firma 65 Millionen Euro um und verkaufte 30.000 E-Bikes. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2018/2019 verkaufte das Unternehmen mit 56.000 E-Bikes fast das Doppelte und erwirtschaftete damit 145 Millionen Euro. Die Mitarbeiterzahl hat sich im gleichen Zeitraum von 250 auf nunmehr rund 550 Mitarbeiter mehr als verdoppelt.

Riese-und-Müller-Geschäftsführerin Sandra Wolf sagt, man fokussiere sich ausschließlich auf sogenannte „Premium E-Bikes und E-Cargo-Bikes“ und wolle damit „eine sinnvolle Alternative zum Auto bieten“. Die Modelle kosten dann leicht 6000 Euro und mehr. Ab dem Wintersemester 2020 unterstütze man eine neue Stiftungsprofessur Radverkehr an der FH Frankfurt mit einer 50-Prozent-Stelle. „Unser Ziel ist die Wahrnehmung des E-Bikes als Autoersatz zu erhöhen“.

Gehen Innovationen und Trends also mehr von Manufakturen und kleineren Radherstellern aus? Jein, sagt Experte Gunnar Fehlau. Er verdeutlicht das am sogenannten Gravel-Bike, ein Rennrad mit breiteren, aber leichtlaufenden Reifen, für Strecken, „die fürs Mountainbike zu langweilig und fürs Rennrad unfahrbar sind“, wie er sagt. „Die Gravel-Bikes sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich Innovationen in der Rad-Industrie entwickeln.“ Der Trend begann vor rund zehn Jahren bei Rad-Manufakturen, die damaligen Gravel-Bikes waren mit über 3000 Euro sehr kostspielig, „und sehr nischig“, sagt Fehlau. Heute gibt es Gravel-Bikes bei den meisten Vollsortimentern ab 1000 Euro. Es brauche also auch die Großen für die Marktdurchdringung.

Fehlau plädiert auch dafür, die Zulieferer nicht aus dem Blick zu verlieren – auch dort lasse sich Innovationskraft finden. Er verweist etwa auf den Schutzblech- und Pumpenhersteller SKS aus dem sauerländischen Sundern: Die Firma bietet die 3D-Druck-Dateien bestimmter Ersatzteile wie Pumpenhalterungen zum Selberdrucken an. Oder der fränkische Fahrradtaschenhersteller Ortlieb: Die Klettverschlüsse neuer Taschen werden nun nicht mehr verklebt, sondern angeschraubt, so dass man sie, falls sie in ihrer Funktion nachlassen sollten, einfach durch neue Klettverschlüsse ersetzen kann, anstatt gleich eine neue Tasche kaufen zu müssen. Von der Radl-Freude der Deutschen profitieren so auch die Zulieferer: Laut ZIV ist der Markt für Fahrräder und Fahrradkomponenten auf rund sieben Milliarden Euro gewachsen.

Mehr zum Thema: Können Lastenräder das Lieferchaos in den Städten lindern?

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