Fechtsportausrüster Allstar Wie ein deutscher Innovationstreiber seiner Branche unter Rohstoffmangel leidet

Dem Weltmarktführer und Fechtsportausrüster Allstar fehlt es an Maraging-Stahl und Dyneema-Fasern. Quelle: imago images

Nach zwei verlorenen Coronajahren wollte der Fechtsportausrüster Allstar wieder durchstarten. Doch nun fehlen dem Weltmarktführer wichtige Rohstoffe – und in Deutschland geht der Nachwuchs aus.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Während die Sportwelt zuletzt nach Peking auf die Olympischen Spiele schaute, da richtete Frank Messemer seinen Blick nach Dubai und Kairo. Im April stehen dort die Nachwuchs-Europa- und Weltmeisterschaften an – an und für sich sind die Events zwei Highlights im Programm des Sportausrüsters Allstar und seines Chefs. Doch Allstar hat Lieferprobleme – und Messemer eine Sorge mehr.

Die vergangenen zwei Jahre waren harte Zeiten für den Fechtsport. Allstar ist ein Pionier der Branche, ein Weltmarktführer des Nischensports. Doch die Pandemie hat den Sport schwer getroffen und damit die Ausrüster. Trainings fielen aus, Wettkämpfe wurden verschoben, Vereinsmitglieder traten aus. 2022 sollte alles besser werden. Eigentlich. Doch nun hakt es beim Nachschub und der Produktion, vor allem bei den Textilien für die Schutzanzüge und dem Stahl für die Sportwaffen. Allstar droht ein Image- und Umsatz-Gau.

Der Deutsche Fechter-Bund (DFB) musste seinen Kader für die anstehenden Wettkämpfe in Dubai und Kairo daher deutlich früher melden, damit der Teamausrüster Allstar die Ausrüstung wie Sportauszüge, Waffen und Kabel rechtzeitig fertig bekommt. Normalerweise versucht das Unternehmen bei allen großen Turnieren mit eigenem Verkaufs- und Werbestand vor Ort zu sein. Das mache laut Messemer, Inhaber und Chef von Allstar, zwar nur einen kleinen Teil des Geschäfts aus, sei aber wichtig für die Markenbildung. Jetzt habe das Unternehmen einige Termine absagen müssen, weil es keinen Verkaufsstand hinbekommen hätte, der das gesamte Produktportfolio abbilden könne.

Allstar genießt in der Branche weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Der Sport hat seine Wiege zwar in Frankreich und in Deutschland gibt es mit Uhlmann ein älteres deutsches namhaftes Unternehmen. Aber Allstar hat in den Sechzigerjahren als erster Hersteller die weißen Fechtjacken aus modernem elastischen Stoff mit Reißverschluss entwickelt, auf die, wenngleich sie inzwischen aus einem anderen Stoff bestehen, noch heute die meisten Sportler setzen. Bis dahin waren die Jacken noch aus schwerem Segeltuch und mit Knöpfen zu verschließen. „Vieles, was heute zum Standardrepertoire gehört, kam ursprünglich von uns“, erzählt Messemer voller Stolz.

Seit dem Erfolg mit den Jacken hat sich Allstar zur weltweiten Nummer Eins im Fechtsport entwickelt, wie das Unternehmen selbstbewusst auf seiner Internetseite beschreibt. Richtig nachprüfbar ist es aber nicht, wie sich die Umsätze zwischen der Firma aus Baden-Württemberg und den Konkurrenten aus dem Ausland verteilen. Zu klein ist der Markt, als dass sich jemand die Mühe machen würde, große Statistiken zu führen, zu gering auch die Margen der Unternehmen. Allstar machte im Geschäftsjahr 2019, also vor Corona, immerhin einen Gewinn von rund 860.000 Euro.

Geht es dem Fechtsport nicht gut, so geht es auch dem spezialisierten Ausrüster Allstar nicht gut. Die Coronalockdowns brachten das Geschäft zeitweise fast komplett zum Erliegen. „Das war eine wilde Geschichte. Bis zum März 2020 hatten wir noch ein Umsatzplus von sechs Prozent. Danach brachen die monatlichen Umsätze teilweise um 75 Prozent im Vergleich zu den Monaten im Vorjahr ein“, sagt Messemer. Im Jahr 2020 habe das Unternehmen weitestgehend seine Bestände abgebaut und die Produktion reduziert. Bis Mai 2021 ging es auch in Kurzarbeit.

Häfen und Logistikanbieter investieren nicht in Infrastruktur, weil sie an der Knappheit verdienen. Das Personal ist überlastet und unterbezahlt. Für einen US-Trucker sind das die wahren Ursachen der Lieferkrise.
von Hauke Reimer

Für Allstar wären, abgesehen vom Imageschaden, Lieferschwierigkeiten in Deutschland noch zu verschmerzen. Für das Unternehmen ist gerade der asiatische Raum längst zum wichtigsten Markt geworden, denn dort steigt die Nachfrage nach Fechtsport-Ausrüstung. „Der Heimatmarkt wird für uns wirtschaftlich immer unbedeutender“, sagt Messemer. 70 Prozent des Umsatzes erzielt die Firma inzwischen im Ausland. 2018 war der Geschäftsführer mit seinem Unternehmen bei einem Fechtverein in Shanghai zu Gast, der damals gut 7000 Mitglieder hatte. Zum Vergleich: Der Deutsche Fechter-Bund listet für ganz Deutschland im Jahr 2018 etwas weniger als 23.000 Mitglieder auf.

Nur gehen die Lieferschwierigkeiten von Allstar über den deutschen Markt hinaus. Grund sind die Auswirkungen der Coronakrise, die hat Allstars Zulieferer noch härter getroffen als das Unternehmen aus Reutlingen selbst und die Tatsache, dass die Nachfrage zuletzt wieder deutlich angezogen hat. Allstar benötigt spezielle Materialien in relativ kleiner Stückzahl. Die Fechtjacken etwa sind aus der Dyneema-Faser, die als doppelt so stark wie das aus schusssicheren Westen bekannte Kevlar gilt.

Und der Florett, eine Waffe im Fechtsport, die besonders biegsam sein muss, besteht aus Maraging-Stahl. Der internationale Fechtverband (FIE) gibt Normen vor, was das Material können muss. Um seine Qualität zu gewährleisten, kauft Allstar die Materialien im Ausland ein und verarbeitet sie in Deutschland. Nur so lasse sich die Qualität halten, für die das Unternehmen stehe, sagt Messemer. „Unsere Vorlieferanten sind derzeit nicht in der Lage, die Rohstoffe zu liefern“, sagt er. Teilweise hätten sie auch spezialisiertes Personal entlassen müssen, das fehlt jetzt, wo die Nachfrage wieder anzieht.

Nachdem Allstar seine Bestände 2020 stark abgebaut und die Produktion reduziert hat, sind die Lagerhallen weitestgehend leer. Nun muss Messemer irgendwie zwei Monate aufholen, so sehr verzögerten sich gerade viele Lieferzeiten, sagt er. Das Unternehmen hat bereits reagiert, es ordert Roh- und Hilfsstoffe nun deutlich früher als vor der Coronakrise, damit keine Versorgungslücke mehr entstehen kann. Zudem schieben die Mitarbeiter gerade Überstunden, etwa an Samstagen, um das Material, das reinkommt, schnell zu verarbeiten und die Bestellungen abarbeiten zu können.

Gleichzeitig setzt Messemer darauf, dass Lieferanten bald wieder effizienter arbeiten können. „Hinzu kommt, dass wir einem saisonalen Geschäftsverlauf unterliegen“, sagt er. „Ab Mai läuft die Fechtsaison so langsam aus und die Nachfrage sinkt. Daher sind wir sicher, dass wir in dieser Phase den Rückstand aufholen können.“

Und wie geht es weiter? Im Heimatmarkt erwartet die Branche einen Nachfrageeinbruch. Sven Ressel ist Sportdirektor des Deutschen Fechter-Bunds (DFB). Er blickt mit Sorge in die Zukunft. Sein Sport habe die zurückliegenden zwei Jahre oft völlig stillgestanden, kaum Training, kaum Turniere. „Wir gehen davon aus, dass wir bis zu zehn Prozent unserer Mitglieder über die beiden Jahre verloren haben“, sagt er und was noch schlimmer sei: „Vermutlich haben wir zwei komplette Jahrgänge verloren, das werden wir erst in ein paar Jahren spüren.“

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Zum Glück macht Allstar seinen Hauptumsatz inzwischen außerhalb Deutschlands.

Mehr zum Thema: 13.000 Unternehmen in der EU sollen künftig für ihre komplette Lieferkette haften. Die EU-Kommission wird den Vorschlag am Mittwoch vorlegen – trotz starker Kritik innerhalb der Behörde.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%